Elektra. Sophokles
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Sophokles
Elektra
Übersetzung und Anmerkungen von Kurt Steinmann
Nachwort von Markus Janka
Reclam
2013, 2021 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen
Covergestaltung: Cornelia Feyll, Friedrich Forssman
Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen
Made in Germany 2021
RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart
ISBN 978-3-15-961905-7
ISBN der Buchausgabe 978-3-15-014230-1
[5]Die Personen des Dramas
DER ALTE ERZIEHER (ERZ.)
ORESTES (OR.)
ELEKTRA (EL.)
CHOR EINHEIMISCHER (mykenischer) JUNGFRAUEN (CH.)
CHRYSOTHEMIS (CHR.)
KLYTAIMESTRA (KL.)
AIGISTHOS (AI.)
(Stumme Person: PYLADES)
[7]Prolog (1–120; 1. Teil 1–85, 2. Teil 86–120). Vor dem Königspalast in Mykene. Vorn Götterbilder, darunter ein Altar Apollons. Der Tag bricht an. Der alte Erzieher, Orestes und sein Freund Pylades treten auf. Sie sind bewaffnet und tragen Wanderstäbe und breitkrempige Reisehüte.
ERZ.
Sohn Agamemnons, der das Heer vor Troja einst
befehligte, nun bist du hier und darfst
all das erblicken, was du innig immer schon dir wünschtest.
Denn das alte Argos, deines Sehnens Ziel, ist dies:
der geweihte Grund der von der Bremse Fortgehetzten, die Tochter war des Inachos,5
und, Orestes, das dort ist des Wölfe tötenden, des Gottes
Markt: Lykeios, und zur Linken dort der Hera
berühmter Tempel. Hier aber, wo wir hingekommen sind,
sag dir, dass du Mykene vor dir siehst, das reich an Gold,
und dort, reich an Vernichtung, das Haus der Pelopiden,10
von wo ich einst aus deines Vaters Schlachtung,
von deiner Schwester gleichen Blutes dich empfangend,
hinweg dich trug, hinaus dich rettete und groß
dich zog so weit ins Mannesalter, dass du rächst des Vaters Mord.
So gilt es jetzt, Orestes, und du der Freunde liebster,15
Pylades, eiligst, was zu tun ist, zu bedenken.
Denn es erweckt uns schon der Strahlenglanz der Sonne
zu hellem Lied der Vögel morgendliche Stimmen,
und hingeschwunden ist die schwarze Sternennacht.
Drum, ehe nun der Männer einer aus dem Hause tritt,20
[8]besprecht euch miteinander, denn wir sind nun an dem Punkt,
wo nicht mehr der Moment zum Zaudern ist, sondern zum Handeln höchste Zeit.
OR.
O liebster du der Männer, meiner Diener, wie du deutlich mir
Beweise zeigst, dass du loyal gesinnt bist gegen mich!
Denn wie ein Rassepferd, und wäre es auch alt,25
in der Gefahr sein Feuer nie verliert,
vielmehr die Ohren spitzt, genauso treibst auch du
mich an und folgst, der ersten einer, selbst.
So will ich denn, was ich beschlossen habe, offenbaren,
du aber leihe meinem Wort ein scharf Gehör,30
und verfehle ich das Richtige, verbessre mich!
Als ich zum Sehersitz von Pytho kam,
um zu erfahren, wie ich für den Vater
von seinen Mördern Sühne mir verschaffen soll,
gab Phoibos mir die Weisung, die du gleich vernehmen wirst:35
allein und unbeschützt von einem schildbewehrten Heer
mit Listen heimlich mit gerechter Hand das Blutbad zu vollziehn.
Da wir nun solchen Götterspruch vernommen,
so gehe du, sobald Gelegenheit dir winkt,
in dieses Haus und forsche alles aus, was dort geschieht,40
damit du mir mit sichrer Kenntnis klar berichten kannst.
Gewiss wird man dich nicht bei deinem Alter und nach langer Zeit
erkennen, wird Verdacht nicht hegen, da dir silbern blüht dein Haar.
Tisch diese Mär auf: Gastfreund seiest du
[9]und von Phanoteus kämst du her, dem Phoker,45
denn dieser ist der nächste ihnen von den Waffenbrüdern.
Und melde ihnen, es bekräftigend durch Eid,
tot sei Orestes durch ein unausweichliches Geschick, da er
bei Pythos Siegeskämpfen aus dem radgetriebenen
Gefährt geschleudert worden sei; darauf beruhe dein Bericht!50
Doch ich, hab ich des Vaters Grab, wie er gebot,
zuerst mit Opferspenden und vom Haupt geschnittner Lockenpracht
geehrt, kehr’ wieder dann zurück hierher,
die Urne mit den Bronzewänden in den Händen tragend,
von der auch du ja weißt, dass im Gesträuch sie ist versteckt,55
damit mit irreführendem Bericht erwünschte Kunde
ich ihnen bring, es sei mein Leib dahin,
bereits vom Feuer aufgezehrt, verkohlt zu Asche.
Denn was bekümmert’s mich, wenn ich, dem Wort nach tot,
in Wirklichkeit gerettet bin und Ruhm daraus gewinne?60
Ich denk, kein Wort, das uns Gewinn einträgt, kann Unheil bringen.
Denn oft schon hört’ ich auch von weisen Männern,
die man irrtümlich totgesagt; doch dann, wenn sie nach Hause
zurückgekehrt, ehrt man sie umso mehr.
So, hoff ich zuversichtlich, werd auch ich infolge dieser Kunde65
den Feinden lebend als ein Stern erstrahlen noch!
Doch, väterliche Erde und ihr Heimatgötter,
verleiht mir Glück auf diesem meinem Gang,
[10]auch du, mein Vaterhaus! Denn als dein Reiniger
komm rechtens ich, von Göttern angestiftet.70
Und schickt mich nicht erfolglos weg aus diesem Land,
nein, lasst mich neuen Reichtum gründen, wiedererwecken dieses Haus!
Gesprochen habe ich nun dies. An dir ist’s, Alter,
zu gehen nun und nachzukommen deiner Pflicht!