Elektra. Sophokles
ihre Stimm’ erhebend, mich mit schlimmer Schmähung ein:
[18]»Du gottverhasste Ausgeburt, ist dir allein der Vater
tot? Gibt es keinen andern Menschen, der in Trauer ist?290
Verrecke elend! Mögen nie vom jetz’gen Wehgeheul
die Götter drunten dich befreien!«
So kränkt sie hemmungslos, allein, wenn sie von jemand hört,
Orestes werde kommen, rasend dann
tritt sie zu mir und schreit: »Bist du nicht mir an diesem schuld?295
Ist dies nicht dein Werk, die aus meinen Armen
Orestes du geraubt und heimlich weggebracht?
Doch sei gewiss: Du wirst noch büßen, wie du es verdienst!«
So bellt sie, und daneben steht und hetzt
in gleicher Art wie sie ihr löblicher »Gemahl«,300
er, dieser Feigling durch und durch, der Schädling sondergleichen,
der nur mit Weiberhilfe Schlachten schlägt.
Ich aber, immer harrend, dass Orestes kommen wird,
um alledem ein End’ zu setzen, geh zugrund in meiner Pein.
Denn immer schiebt er’s vor sich her zu handeln und löscht so305
mir jede nahe oder ferne Hoffnung aus.
In solcher Ausweglosigkeit, ihr Lieben, ist nicht Mäßigung,
nicht ehrfurchtsvolle Scheu erlaubt: O nein, in schlimmer Lage
kann man nicht anders, als auch Schlimmes zu verüben!
§1.
Doch sage, ist Aigisthos in der Nähe, während du310
so zu uns redest, oder ist er außer Haus?
[19]EL. Ja klar! Denk ja nicht, wär er in der Näh, ich käme
zur Tür hinaus! Jetzt aber weilt er auf dem Land.
CH.
So kann mit größerem Vertrauen ich mit dir
mich unterhalten, wenn sich’s so damit verhält.315
EL.
Da er jetzt fort ist, frage nur! Was ist’s, das dir beliebt?
CH.
So frage ich dich, was du von dem Bruder meinst:
Kommt oder schiebt er es hinaus? Ich will es wissen.
§1.
Er sagt es, ja, doch sagt er’s auch, tut nichts von dem er, was er sagt.319
CH.
Zu zaudern liebt der Mann, der sich an Großes wagt.
EL.
Doch ich hab ihn gerettet ohne Zaudern.
CH.
Mut! Edel ist er, so, dass er den Seinen hilft.
EL.
Ich bau darauf, denn sonst hätt ich nicht lange Zeit gelebt.
CH.
Sag jetzt nichts mehr! Ich sehe deine Schwester,
Spross vom selben Vater, von derselben Mutter,325
Chrysothemis, aus dem Hause Totengaben
in ihren Händen tragen, wie man sie nach Brauch den Untern weiht.
CHR.
(tritt aus dem Palast). Was denn für Reden kamst du an des Torwegs Ausgang
nun wieder hier zu führen, Schwester,
und willst auch nach so langer Zeit nicht lernen,330
sinnlosem Zorn nicht wirkungslos zu frönen?
Indes, so viel ist mir bewusst, dass mich
der jetz’ge Zustand quält, so dass, bekäme ich
die Macht, ich zeigen wollte, wie ich denke über sie!
Jetzt aber in der Not reff ich die Segel lieber,335
will nicht zu handeln scheinen, wo ich doch nicht schaden kann.
[20]Ich wünschte, dass auch du dich so verhältst.
Das Recht ist freilich nicht bei dem, was ich da sage,
es ist bei deinem Urteil. Aber wenn ich frei soll leben,
muss ich in allem hören auf die Mächtigen.340
EL.
Empörend wirklich ist’s, dass du, die Tochter deines Vaters, ihn
vergisst und nur zu deiner Mutter hältst.
Denn all die Vorhaltungen, welche du mir machst,
hat sie dir beigebracht, und aus dir selber sagst du nichts.
So wähle eins von beiden: Ob du unklug sein,345
ob klug und deiner Lieben nicht gedenken willst.
Zwar sagst du eben: Fändest du die Kraft,
du wolltest deinen Hass auf sie wohl offenbaren;
doch will um jeden Preis ich meinen Vater rächen,
wirkst du nicht mit und hältst mich ab von meiner Tat.350
Gesellt sich so zu allen Übeln nicht noch Feigheit?
Denn lehre du mich oder lern von mir, welch ein
Gewinn mir würde, hörte ich mit meinen Klagen auf!
Leb ich denn nicht? Zwar schlimm, ich weiß, jedoch genügt es mir.
Die aber kränke ich, so dass ich den Verstorbenen355
mit Ehren würdige – falls dort es einen Sinn für Ehren gibt.
Doch du, du meine »Hasserin«, du hassest nur
dem Wort nach, in der Tat jedoch spannst du zusammen mit des Vaters Mördern.
Ich freilich würde nie, und böte einer mir359
die dir bescherten Gaben an, mit denen du jetzt prunkst,
mich denen unterwerfen. Aber dir sei reich
der Tisch bestellt, dein Leben ström’ im Überfluss dahin!
Dass ich mich selber nicht betrübe, dieses Wissen sei
[21]allein mir Nahrung. Deine Vorzugsstellung reizt mich nicht.
Noch wärest du erpicht darauf, wärst du besonnen. Aber jetzt, da dir365
es freigestellt, des allerbesten Vaters Kind zu heißen,
sei du geheißen nach der Mutter! So erweist du dann den meisten dich als schlecht,
hast du den toten Vater doch verraten und die Deinen!
CH.
Ja nichts im Zorne, bei den Göttern! Denn es liegt in eurer beider Reden
Gewinn, wenn du nur lernen wolltest,370
dich ihrer zu bedienen und der deinen sie.
CHR.
Ich für mein Teil, ihr Frauen, bin ganz gut vertraut
mit ihren Reden und hätt nichts davon erwähnt,
wenn ich nicht wüsste, dass sehr großes Unheil sie
bedroht, das ihre langen Klagen enden soll.375
EL.
So sprich’s