Das Osmanische Reich. Douglas Dozier Howard

Das Osmanische Reich - Douglas Dozier Howard


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die sich vielleicht nur einmal im Leben ereignete. In einem sozialen Umfeld, in dem diese Begegnung geachtet wurde, konnte die Tekke zu jenem Ort werden, wo man sie erwartete, suchte und möglicherweise in jeder weltlichen Begegnung erhoffte. Für die Sufis waren nicht nur die Koranverse Zeichen (ayet) Gottes, vielmehr offenbarten sich Gottes Eigenschaften in jedem Teil der Schöpfung. Der Scheich unterwies seine Schüler in der Auflösung des Ich, dem Tod des Selbst, der jede echte Gotteserfahrung begleitete und an ihrem Ende stand.

      War die secd in der Moschee die fußfällige Reaktion der Geschöpfe auf den Ganz-Anderen, so war die sema in der Tekke die Umarmung der Liebenden. Musik und Tanz prägten die Gottesverehrung in der Tekke, und das Tor zu ihrer geistigen Tradition war die Lyrik. Sammlungen klassischer Dichtung (Divane) wurden zu einer Theologie mit anderen Mitteln, und Literaturgeschichte fungierte zugleich als Glaubensgeschichte.

      Die Landschaft aus Meistern und Sekten war vielfältig, die Kanäle, über die sie sich gegenseitig beeinflussten, waren vielschichtig und veränderlich.38 Manche Gemäßigte, darunter Rumi und Hacı Bektaş, hatten Wurzeln in Chorasan und im zentralen Eurasien, aber die Herkunft zählte weniger als der emotionale Kontext des türkischen Lebens. In diesem Sinne waren die osmanischen Muslime die eigentlichen Erben von Ibn Arabi. Dieser andalusische Meister hatte nach seiner Pilgerfahrt nach Mekka 1203 zwei Jahrzehnte in den Seldschukenländern verbracht. Sadrettin Konavi, dessen Tekke in Konya ein führendes geistiges Zentrum bildete, waren Ibn Arabis adoptierter Stiefsohn und sein einflussreichster Ausleger.39 Neben dem Koran und den Hadithen waren Ibn Arabis Fusûs al-Hikam („Einfassungen der Weisheit“),40 die üblicherweise mit Hilfe von Konavis Kommentar studiert wurden, einer der beiden weiteren maßgeblichen Texte des osmanischen Islam. Der andere war Rumis Mesnevi, ein spiritueller Klassiker und eine in Verse gefasste schier unbeschreibliche Fundgrube kultureller Verweise. Das menschliche Verlangen nach Transzendenz, das in Ibn Arabis begrifflichem Wortschatz und in Rumis Poesie Ausdruck fand, verband alle osmanischen Sufis. Jedes Mitglied einer Tekke kannte und studierte diese Texte, kopierte und übersetzte sie. Ihr Einfluss durchzog das gesamte kulturelle Leben der Osmanen.

      Die Klage der Rohrflöte

      Die einleitenden 18 Doppelverse von Rumis Mesnevi, der Klage der Schilfrohrflöte über ihre Trennung vom Schilfbeet, aus dem sie fortgerissen wurde, waren Zeilen, die alle Osmanen sofort wiedererkannten:

      Hör’ auf der Flöte Rohr, was es verkündet,

      Hör’, wie es klagt, von Sehnsuchtsschmerz entzündet,

      „Als man mich abschnitt am beschilften See,

      Da weinte alle Welt bei meinem Weh.

      Ich such’ ein sehnend Herz, in dessen Wunde

      Ich gieße meines Trennungsleides Kunde:

      Sehnt doch nach des Zusammenweilens Glück

      Der Heimatferne allzeit sich zurück.

      Klagend durchzog ich drum die weite Welt,

      Und Schlechten bald, bald Guten beigesellt,

      Galt jedem ich als Freund und als Gefährte,

      – Und keiner fragte, was mein Herz beschwerte.

      Und doch – so fern ist’s meiner Klage nicht,

      Den Sinnen nur fehlt der Erkenntnis Licht.

      So sind auch Seel’ und Leib einander klar,

      Doch welchem Aug’ stellt je ein Geist sich dar?“

      Kein Hauch, nein, Feuer sich dem Rohr entwindet.

      Verderben dem, den diese Glut nicht zündet!

      Der Liebe Glut ist’s, die im Rohre saust,

      Der Liebe Seufzen, das im Wein aufbraust.

      Getrennter Liebenden Gefährtin sie,

      Zerreißt das Innerste die Melodie.

      Als Gift, als Gegengift stets unvergleichlich,

      An Mitgefühl und Sehnsucht unerreichlich,

      Gibt sie vom Pfad im Blute uns Bericht,

      Von Medschnuns Liebe singt sie manch Gedicht.

      Vertraut mit diesem Sinn ist nur der Tor,

      Gleichwie der Zunge Kundsmann nur das Ohr.

      In Leid sind unsre Tage hingeflogen,

      Und mit den Tagen Plagen mitgezogen!

      Und ziehn die Tage, lass sie ziehn in Ruh’,

      O du der Reinen Reinster, daure du!

      Den Fisch nur sättigt nie die Flut, doch lang

      Sind dem, der darbt, die Tage, lang und bang.

      Aber mein Wort sei kurz; versteht doch nicht

      Der Rohe, was der Vielgeprüfte spricht.

      Mesnevi oder Doppelverse des Scheich Mewlānā Dschelāl ed dīn Rūmī. Aus dem Persischen übertragen von Friedrich Rosen. München: Georg Müller, 1913, S. 55–57.

      Manchmal gab es durchaus Spannungen zwischen Medrese und Tekke. Yunus Emre, der mystische türkische Dichter des vorausgegangenen Jahrhunderts, hatte die geistige Armut der Ulema karikiert, und bei Rumi findet sich die Zeile: „Ein Intellektueller weiß nicht, was der Betrunkene spürt.“ Und die Mystik hatte ihrerseits unter den osmanischen Ulema ihre Kritiker. Doch während es im osmanischen Islam an Kontroversen nicht mangelte, blieb die gegenseitige Feindseligkeit einstweilen begrenzt. Die arabischen Streitschriften von Ibn Taymiyya aus Damaskus und seinen Schülern hatten noch keinerlei Widerhall in den osmanischen Ländern gefunden. Osmanische Mystik war nicht gleichbedeutend mit Geistfeindlichkeit, und der osmanische akademische Islam versuchte die Berechtigung mystischen Suchens nicht in Abrede zu stellen und lehrte Mystik (tasavvuf) als Unterrichtsfach im Lehrplan der Medresen.

      Yunus Emre über die Ulema

      Den Sinn des Wahren erkannte niemand durch Exegesen, Ihr Derwische, Männer, zum Leben fand nie man mit heuchelndem Wesen!

      Scharia ist nur ein Nachen, das Reale des Ozeans Flut, Die Vielen zum Sprung in das Meer vom Nachen nicht fanden den Mut. Sie kamen nur bis an die Tür und blieben in der Scharia stecken, Sie traten nicht ein. Was innen, das konnten sie nicht entdecken. Wer „Heilige-Schrift“-Exegese betreibt, ist im Wahren Rebell, Er liest den Schriftkommentar, doch der Sinn wird ihm dabei nicht hell.a

      aÜbersetzung: Michael Reinhard Heß, Textbasis: https://tr.wikisource.org/wiki/Hakikatin_m%C3%A2n%C3%A2s%C4%B1 [Zugriff: 19. September 2017]

      Zeit und Schicksal

      Die enorme Bandbreite dieses ganzheitlichen spirituellen und intellektuellen Lebens zeigt sich an jenen Themen, die unter der glatten Oberfläche der berichteten Ereignisse in Aşıkpaşazades Taten und Daten aufscheinen. Das Buch steht in der Tradition zweier älterer Literaturgattungen, der im Titel genannten „Taten“ (menakıb) und „Daten“ (tevarih).41 Beim ersten dieser Vorgängergenres, dem „Buch der Taten“, handelte es sich um das, was mittelalterlich gesta genannt wird, eine Sammlung von Anekdoten über die wundertätige Tugend eines Helden, üblicherweise in Versform.42 Wie die volkstümliche Gattung der Romanze bezogen solche Gesten ihren Inhalt aus Geschichten, die in der mündlichen Überlieferung umliefen. Diese Geschichten waren oft glaubhaft, selbst wenn die Historizität des Helden selbst (es handelte sich stets um Männer) nicht so leicht festzustellen ist. Der Ton der Einzelepisoden reichte von der Hagiographie, wie im Fall Scheich Bedrettins, bis zum Phantastischen. Kämpfe mit Ungläubigen und Dämonen, ein Wettstreit zwischen Derwischen und christlichen Priestern, sie alle waren Schauplätze für Zeichen und Wunder.

      Während die Taten und Daten ihr gaza-Motiv, ihren Militarismus und die Freude an der Gewalt, aus der Gestenliteratur


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