Not Available. Daniel Decker
die am Ende doch noch erschienen sind, außerdem einige ausgewählte Songs und Singles.
Doch wie erfahren wir überhaupt, dass es unveröffentlichte Alben gibt? Zum Teil sind es die Musiker*innen selbst, die in Interviews und Büchern über ihre Projekte berichten. Eine Erwartung und eine damit verbundene Nachfrage zu schaffen, ist schließlich Teil des Geschäfts. Manchmal gibt es auch Vorabsingles, bei denen der Hinweis »Taken from the forthcoming Album …« auf manch unveröffentlichtes Werk verweist. Außerdem schaltet das Label bereits Anzeigen, verschickt Promoexemplare und die Platte wird trotzdem im letzten Moment zurückgezogen. Mitunter geben auch Katalognummern den Hinweis auf ein unveröffentlichtes Werk. Besonders gut lässt sich das an den Veröffentlichungen des Labels FACTORY RECORDS ablesen, das ab 1978 mit Werken von Joy Divison, New Order und den Happy Mondays Kultstatus erlangte. Eine Besonderheit des Labels war es, allem durch eine eigene fortlaufende Katalognummer, die stets mit FAC begann, seinen Stempel aufzudrücken. Dazu gehörten nicht nur Tonträger, sondern auch Poster und TV-Sendungen. Mit FAC51 hatte auch der eigene Club Hacienda eine Katalognummer, und der Sarg des verstorbenen Labelgründers Tony Wilson trägt mit FAC501 ebenfalls eine eigene Nummer. Umso deutlicher fallen dann die Leerstellen ins Gewicht. FAC109 wäre eine Solo-12” der Durutti-Column-Cellistin CAROLINE LAVELLE gewesen. 1986 erschien die Maxi »Bad Blood« (FAC156) von QUANDO QUANGO nicht, da sich die Band kurz zuvor auflöste. Das gleiche Schicksal ereilte den »Festival of the 10th Summer«-Sampler (FAC186), das Donovan-Cover »Colours« von Happy-Mondays-Sänger SHAUN RYDER (FAC 292), die Compilation »Our Dance Days« (FAC270) und die HAPPY MONDAYS-Single »Staying Alive / Baby Big Head« (FAC352).
Letztlich steht im Mittelpunkt dieses Buches ganz bewusst eine Mythologisierung der Popkultur, denn Pop-Geschichtsschreibung ist stets die Reproduktion von Mythen. Ob Popmusik als Konsumfetischismus verteufelt oder zum sozialen Widerstand in kultureller Form erhoben wird, ist dabei letztlich egal, denn so oder so findet Popkultur einfach statt.
Das Tragischste, das einem bisher unveröffentlichten Album passieren kann, ist die Veröffentlichung selbst. Meist wird klar, dass die Vorstellung des Ungehörten viel besser als die Realität war. In einer Zeit, in der der alles, sogar wir selbst, allzeit verfügbar sein muss, wohnt der Unverfügbarkeit ein Zauber inne. Es ist wie mit dem Gemüse im Supermarkt, das gerade nicht verkauft wird. Natürlich haben wir unbändige Lust auf Spargel, sobald die Saison zu Ende ist. Und bei den älteren Musikfans – Hi Boomer! – wird der Fetisch des Exklusiven befriedigt. Sei es nun das Wissen über ein bisher unveröffentlichtes Album oder das rare Bootleg. Es ist die Entdeckung, die den Reiz ausmacht, in einer Zeit, in der sonst Algorithmen vermeintlich passende Hörvorschläge in die Playlist pushen. Das ist aber nun bitte nicht nostalgisch verklärend zu verstehen. Nennen wir es einfach einen Schnappschuss des Istzustands und damit eine Garantie für erweiterte Auflagen dieses Buches.
Der Anspruch dieses Buches ist daher die Kurzweil: eine Sammlung von Anekdoten, Mythen, Recherchen und Lügen, Interessantes aus der jüngeren Musikgeschichte, Geschichten übers Scheitern und Klischees von bösen Plattenfirmen, die der wahren Kunst im Wege stehen oder mit frevelhaften Verträgen neue Werke ebenso verhindern wie provozieren. Mir bleibt die Hoffnung, dass dieses Buch eine unterhaltsame Fakten-Schleuder ist, die für amüsanten Trivia-Talk beim hiesigen Treffen der Musiknerds sorgt.
So gibt es die Geschichte vom Gangsta-Rapper, den sein Label fallen ließ, weil er tatsächlich ein Gangsta war, oder die von dem genialen – Puhh, Genies – Künstler – Ach, nur Männer? –, der verrückt wurde, da er seine Ideen nicht umsetzen konnte, oder die von dem Rolling-Stones-Song, der so schockierend war, dass er niemals erschien. Ergänzt wird das Ganze durch unsichtbare Platten oder der unglaublich käsigen Rockband des Horror-Regisseurs John Carpenter.
Wie anfangs erwähnt, entstand die Idee zu diesem Buch bereits 2008 und einige wenige Inhalte erschienen als Artikelserien bei intro.de und auf dem Blog Jahrgangsgeräusche. Diese wurden zum Teil komplett neu recherchiert, überarbeitet oder verworfen. Dennoch gilt mein Dank diesen beiden Publikationen, die den unveröffentlichten Alben eine erste Plattform boten. Außerdem meiner Familie sowie Jonas Engelmann und dem Ventil Verlag. Nicht zuletzt möchte ich den vielen Personen danken, die mit Rat und Tat zur Seite standen wie Saskia Lavaux, Albert Koch, Wolfgang Müller, Sylvia Decker, Zloty Vazquez, Axel Ganz, Johnny Häusler, Katja Vaders, Tobias Vogel und vielen mehr.
WENN MARKT UND LABEL ÜBER VERÖFFENTLICHUNGEN ENTSCHEIDEN
Es gibt viele Gründe, warum ein Album letztendlich nicht erscheint, doch oft liegt es gar nicht an den Künstler*innen selbst. Schließlich war es lange Zeit das Label, das über die Veröffentlichung einer Platte entschied und sich dabei nicht immer auf das eigene Gespür, sondern vor allem auf die Gesetze des Marktes verließ. Sofern sich etwas verkaufen lässt, wird es auch in die Läden gestellt, und wenn es sich nicht verkaufen lässt, dann eben nicht. So klischeebehaftet der Topos der raffgierigen Tonträgerfirmen als Halunken und der idealistischen Künstler*innen als Held*innen ist, so wenig lässt er sich doch in Gänze abstreiten. Trotz aller Kunst folgt auch das Musikgeschäft den Regeln des Kapitalismus.
Dies bekamen auch Superstars wie SONNY & CHER zu spüren. Nachdem ihr Film »Good Times« 1967 an den Kinokassen floppte, nahmen sich die beiden viel Zeit für ihr nächstes Album, »This Good Earth«. Ein Hit war dringend nötig. Doch gleich mehrere Vorabsingles wie »A Beautiful Story«, »Good Combination«, »Plastic Man« oder »Circus« floppten und besiegelten damit das Ende des Albums. ATCO, ihr damaliges Plattenlabel, zog die Notbremse und »This Good Earth« bleibt bis dato unveröffentlicht. Es war offensichtlich, dass das Album keinen Hit enthielt. Angeblich sind weitere Aufnahmen von Songs wie »Honey Lamb«, »Born To Be With You«, »Just a Little« und »Play Me Some Music« gänzlich verschollen.
Ab 1974 ging das Ehepaar dann vorerst getrennte Wege – privat wie geschäftlich. Zwei Jahre später kam es trotz Rosenkrieg und medialer Schlammschlacht zum Comeback. Mit der »Sonny & Cher Show« wollten sie an die Erfolge ihrer »Sonny & Cher Comedy Hour« anknüpfen, doch nach nur zwei Staffeln wurde die Sendung wegen Erfolglosigkeit eingestellt. Dies besiegelte auch das Ende des Comebacks auf Albumlänge. Insgesamt wurden zwar 15 Songs aufgenommen, doch nur die Single »You’re Not Right for Me / Wrong Number« erschien 1977 bei Warner Bros. Records.
Auch Eugene Klein und Stanley Eisen von WICKED LESTER mussten sich von ihrem Label viel Kritik gefallen lassen, bevor sie zu Weltstars wurden. 1972 lernten sie Ron Johnson kennen. Johnson arbeitete als Toningenieur in den legendären Electric Lady Studios, die 1970 von Jimi Hendrix gegründet wurden, und erlaubte der Band, ungebuchte Zeit in den Studios für eigene Aufnahmen zu nutzen. Erscheinen sollte die Platte dann bei Epic. Doch nachdem sie das Album fertigstellten, sagte Epics A&R Don Ellis, dass er die Platte regelrecht hasse. Gene und Stanley wären aber nie zu denen geworden, die sie heute sind, wenn sie nicht eine eigene Version der Geschichte hätten. In dieser waren sie es, die die Platte in die Tonne schmissen. »Wicked Lester fehlte einfach ein typischer Sound, eine Identität mit Wiedererkennungswert.« In ihrer Version war es also nicht Don Ellis, der das Album zurückhielt, sondern die Band selbst, die nicht nur keinen Hit hörte, sondern sich sicher war, dass sie selbst kein Hit waren.
Ein neues Konzept musste her. Gene und Stanley entschieden sich dafür, die Band umzugestalten und sich Künstlernamen zuzulegen. Von nun an waren sie Gene Simmons und Paul Stanley. Auch die neue Richtung war klar. Weg vom Pop, Folk und Country, hin zum energiereichen Hard Rock Richtung Slade und Humble Pie. Daher mussten die restlichen Bandmitglieder weiterziehen. Über eine Anzeige fanden sie Peter Criss als neuen Schlagzeuger und im November 1972 versuchte die Band nochmals Don Ellis von der Qualität der Band zu überzeugen – weiterhin unter dem Namen Wicked Lester. Gespielt wurden drei Stücke: »Deuce«, »Strutter« und »Firehouse«. Außerdem setzte das Trio auf Showelemente, schminkte seine Gesichter komplett weiß und ließ bei »Firehouse« passend zum Thema eine Alarmglocke erklingen. Angeblich dachte Ellis, dass es sich um