Frühstücksgeschichten aus Birk. Группа авторов

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uns Jungen eine äußerst spannende Phase. Wir erlebten mit, wie die Organisation Todt (Staatliches Bauunternehmen im 3. Reich unter der Führung von Fritz Todt) den Strand von Wangerooge mit Pfählen und Drähten abdeckte, um das Landen von Lastenseglern zu verhindern, wie auf dem erhöhten Caféplatz „Pudding“ an der Strandpromenade ein riesiges Horchgerät installiert wurde, wie bei Schießübungen der schweren Artillerie (bis 30,5 cm!) der Boden der Insel bebte, wie wir beim Zuschauen an Soldatenbegräbnissen mit Ehrensalut in den Besitz von Platzpatronen kamen, wie wir auf den Gleisen der Inselbahn eine Panzerattrappe schieben durften, an der Soldaten Panzerabwehr übten. – Unsere Eltern wähnten uns weiter in Sicherheit.

      Dann kam der unvergessene 25. April 1945: Wir spielten nachmittags am Strand, als Fliegeralarm – der sogenannte Voralarm – ertönte. Während wir unsere Spielsachen zusammenpackten, um den Heimweg – ca. 500 Meter – anzutreten, ertönte bereits der Hauptalarm. Als „Alarmgewöhnte“ wussten wir: Jetzt wird es ernst. Wir liefen zum Kinderheim, hatten aber keine Zeit mehr, den für uns zugewiesenen Bunker zu erreichen. Im Westen der Insel detonierten bereits die ersten Bomben. Uns blieb nur noch der Weg in den Keller des Nachbarhauses, dem Sitz der Gemeindeverwaltung.

      Da wir mit fallenden Bomben Erfahrung hatten, – langer Pfeifton mit Detonationsknall bedeutete weite Entfernung und keine direkte Gefahr –, bemerkten wir das Näherkommen der Bedrohung am immer kürzer werdenden Pfeifton mit sofortigem Detonationsknall.

      In dem Lärminferno stürzten auf einmal Wände und Decke unseres Schutzraumes ein. Wir waren in Trümmerschutt eingeklemmt und sahen in dem Staub nur noch schemenhaft das Kellerfenster.

      Ich befreite mich von dem eingeklemmten Rucksack und kroch durch den Trümmerstaub zum Kellerfenster hinaus. Ehe wir die Verwüstungen um uns wahrnehmen konnten, riefen Soldaten von der gegenüber liegenden Straßenseite aus einem Bombentrichter, dass wir bei ihnen schnell Deckung suchen sollten. Wir waren froh, dass uns nichts weiter passiert war. Die sich nach Osten entfernenden Detonationsgeräusche der Bomben und der Flak kündigten uns das Ende der Bedrohung an.

      Das Bild der brennenden und zerstörten Häuser vor uns, kannten wir aus unseren Heimatstädten. Neu war die in den nächsten Tagen gewonnene Erkenntnis, dass wir unser Überleben dem nicht Explodieren einer 20-Zentner-Bombe, die als Blindgänger in einem Eisenträger des Hauses steckte, verdankten.

      Die Bedeutung dieses Wunders wurde mir erst im Laufe meines weiteren Lebens bewusst. Es stand noch öfter unter einem besonderen Schutz.

      Auch später wurde mir erst klar, welchen Gefühlen meine Eltern ausgesetzt waren, als sie im Rundfunk von dem schweren Bombenangriff auf Wangerooge mit über 50 Toten hörten.

      Erst mit Kriegsende im Mai 1945 erfuhren sie über das Rote Kreuz, dass ich überlebt hatte.

      Beide Brüder kehrten im Übrigen ebenfalls körperlich unversehrt nach Hause zurück

      Ein literarischer Hinweis auf den Blindgänger findet sich in dem Buch „Zeugnisse aus unheilvoller Zeit“ von Hans-Jürgen Jürgens, Eintrag vom 28.04.1945:

       „… Die Gemeindeverwaltung in der Anton-Günther-Straße (neben Haus „Fredeborg“) ist unbenutzbar, außerdem liegt im Keller ein Bomben-Blindgänger. Bürgermeister Folkerts hat sich deshalb im Postamt ein kleines Büro eingerichtet….“

      Als ich später die für mich besondere Insel Wangerooge auch meiner Frau Erika zeigte, lernten wir den Autor kennen. Er war sehr an meinem Erleben interessiert. Leider konnte ich ihm nichts über den Verbleib einer Schiffsglocke, die auf dem Geldschrank der Gemeindeverwaltung gestanden hatte, sagen. Ich konnte mich nur an den Geldschrank in dem Trümmerchaos erinnern.

      Mir als Zeitzeuge überreichte der Autor sein Buch mit persönlicher Widmung.

       Gerhard Hohmann

       Flucht aus Ostpreußen

      Ich möchte Sie mitnehmen nach Wormditt, wo ich am zweiten Weihnachtstag des Jahres 1938 geboren wurde. Wormditt war ein Städtchen in Ostpreußen, genauer im katholischen Ermland, mit damals rund 8.000 Einwohnern. Dort gab es mehrere Kirchen, besonders die mächtige katholische Johannis-Kirche, ferner ein Krankenhaus, eine Oberschule, sogar ein Amtsgericht, und gut zwei Kilometer vom Marktplatz entfernt den Bahnhof. Übrigens wohnten wir, meine Eltern und vier Kinder, ganz in der Nähe des Marktplatzes in der Obertorstraße. Man lebte vom Handwerk und Handel, versorgte sich mit allem, was das Umland hergab. Die Sommer waren heiß, die Winter frostig kalt, doch die trockene Kälte konnte man auch bei 20 Grad minus gut aushalten. Mein Vater war Gendarm, ritt zu Pferde über Land, sorgte für Ordnung und hat da wohl nicht viel Aufregendes erlebt, wie meine Mutter erzählte. So sehe ich mich auf einem Foto: vier Jahre alt, stolz und glücklich auf einem Polizeipferd vor meinem Vater im Sattel sitzen. Man lebte damals recht sorgenfrei, heiter und friedlich miteinander, wahrscheinlich so wie es Siegfried Lenz in seinen Kurzgeschichten „So zärtlich war Suleyken“ mit ausgeprägtem ostpreußischen Humor beschrieben hat.

      Die Familien väterlicher und mütterlicherseits waren kinderreich und lebten fast alle in Wormditt oder in den umliegenden Dörfern. Man besuchte sich, man feierte häufig und half sich gegenseitig, grad so wie man es konnte. Meiner Erinnerung nach erlebte ich unbeschwerte Kinderjahre. Krieg gab es weit im Osten. Die Sorgen der Mütter und Ehefrauen um ihre in den Krieg eingezogenen Söhne und Ehemänner hielt man von uns Kindern fern.

      Doch das änderte sich 1944. Die Front näherte sich zusehends. Im August hatte die sowjetische Armee die baltischen Länder erobert und war im Nordosten bis an die Grenze Ostpreußens vorgedrungen. Jetzt gab es Flüchtlinge aus den baltischen Ländern, und noch glaubten wir nicht, dass wir bald selber Flüchtlinge sein würden. So wohnte einige Wochen lang ein Fräulein Schulz aus Lettland bei uns. Sie berichtete von Gräueltaten russischer Soldaten, wovon ich aber nicht viel mit bekam und noch weniger begriff. Immer öfter marschierten nun deutsche Soldaten durch die Stadt, und es war nicht klar, ob das militärische Stärke bedeutete oder eher die letzten Aufgebote der deutschen Wehrmacht darstellten. Für mich war das aufregend und ich sehe mich, wie ich mich bemühte, daneben auf dem Bürgersteig mit zu marschieren.

      Aber nun gab es doch manchen Anlass zur Sorge. Immer öfter heulten die Luftschutzsirenen, und wir mussten dann für Stunden einen Keller aufsuchen. Bunker wie im Westen gab es nicht. Ich hatte dabei die Aufgabe, die Aktentasche mit wichtigen Dokumenten (wie Stammbuch, Urkunden, Pass und Fotos) zu tragen. Einmal nachts kam ein Polizist zu uns. Erst meinte ich, es sei mein Vater; doch es war nur ein Kollege von ihm, der lediglich die Verdunkelung unserer Fenster beanstandete und in Ordnung brachte. Manchmal knatterte es stoßweise und die Großen flüsterten: „Ja, das ist unsere Flak. Uns passiert schon nichts.“ Doch einmal passierte doch etwas. In ein Haus in der Nähe des Bahnhofs war eine Bombe niedergegangen, und ein Mann war getötet worden. Dort vor der Stadt waren inzwischen tiefe breite Gräben ausgehoben worden, angeblich unüberwindliche Panzersperren, was nicht recht zu der offiziellen Aussage passte, dass der Feind niemals deutschen Boden betreten werde. Dazu passte auch nicht, dass sich mittlerweile einige in den Westen machten, was dann heimlich geschah. Denn Flucht bedeutete fehlendes Vertrauen am Führer, galt deshalb als Landesverrat und wurde schwer geahndet.

      Tatsächlich hatten russische Divisionen im Oktober 1944 den nordöstlichen Teil Ostpreußens besetzt. Doch blieb es für den übrigen Teil Ostpreußens zunächst noch ruhig. So erinnere ich mich an ein friedliches Weihnachtsfest. Wie immer gab es für jeden einen bunten Teller und für mich, dem Geburtstagskind, die traditionelle Geburtstagstorte. Nur unser Vater war wieder nicht dabei. Er war im Krieg, irgendwo in Kroatien. Von dort hatte er noch Ende November 1944 geschrieben. Wir sollten uns – so schrieb er mit Bleistift – um ihn keine Sorgen machen. Es war der letzte seiner mehreren Feldpostbriefe, das letzte Lebenszeichen von ihm.

      Und dann war es so weit. Gegenüber dem übermächtigen Feind war der Widerstand der deutschen Truppen hoffnungslos. Mitte Januar 1945 hatten die Russen fast ganz Ostpreußen erobert. Frei war nur noch ein Gebiet südlich der Frischen Haffs und damit auch Wormditt. Von den Tragödien im übrigen


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