Herbstnebel. Heribert Weishaupt
zeitig nach Hause zu ihrer Tochter kam. Auch schien es, dass ihre Eltern, in erster Linie ihre Mutter, gut mit ihr klar kamen. Natürlich versuchte Nicole in bestimmten Situationen ihren Dickkopf durchzusetzen, ihre Mutter war allerdings konsequenter, als Lisa angenommen hatte.
Lisa war glücklich, dass sie und auch ihre Tochter sich wieder gut mit ihren Eltern verstanden. Nicht nur, weil ihre Eltern ihr den Rücken für ihre berufliche Tätigkeit freihielten, sondern auch, weil sie nach ihrer Scheidung Halt und Verständnis bei ihnen gefunden hatte. Für ihre Tochter waren Oma und Opa ein Glücksfall, denn grundsätzlich mochte sie beide sehr.
Das Verhältnis zu ihren Eltern war jedoch nicht immer so gut gewesen, wie zurzeit.
Als Jugendliche hatten ihre Eltern viele Probleme mit ihr. Nicht, dass sie Schulprobleme hatte, nein, sie war eine gute Schülerin, der das Lernen leicht fiel. Wahrscheinlich viel zu leicht, denn sie verbrachte die Zeit, die andere Mitschüler zum Lernen brauchten, mit der Erforschung von Unbekanntem und Außergewöhnlichem. Immer wieder wollte sie die starren Zwänge ihrer Eltern aufbrechen und Neues kennenlernen und erleben.
So war es gar nicht verwunderlich, dass sie mit sechzehn zum ersten Mal Haschisch probierte. Es war auf einer Party ihrer besten Freundin. Sie hatte sich mehr davon versprochen und das ständige Nachfeuern, damit der Joint richtig brannte, fand sie nur ätzend. Im Gegensatz zu einigen Klassenkameraden blieb es bei diesem ersten Versuch – zumindest vorerst.
Mit siebzehn lernte sie Stefan kennen. Er war fünf Jahre älter und er faszinierte sie im höchsten Maße. Immer einen coolen Spruch auf den Lippen, lässig gekleidet und grundsätzlich gegen alles, was die „Alten“ sagten oder verlangten.
Nachdem sie mit 18 das Abitur gemacht hatte – ohne Mühe mit der Note 1,8 – zog sie von zu Hause aus und in seine Wohnung ein. Obschon der Begriff Wohnung bei Weitem zu hoch angesiedelt war. Es war ein schäbiges Loch. Eine Einzimmerwohnung in einem alten Mietshaus. Nicht renoviert und die Möbel bestanden ausschließlich aus Kisten und aus selbst zusammengezimmerten „Möbeln“. Lediglich das Bett hatte er von einem Freund geschenkt bekommen und es war fast neu. Hierin verbrachten sie die längste Zeit des Tages. Sie liebte ihn, oder meinte zumindest ihn zu lieben. Ob er sie auch liebte, wusste sie nicht. Obschon ihre wenigen, verbliebenen Freundinnen sagten, dass er nur ihren Körper zu seiner Befriedigung benutzte, konnte sie nicht von ihm lassen. Sie hatte keine Aussprache bei ihm und ein Gespräch über Probleme oder über die Zukunft fand nicht statt. Inzwischen war sie regelmäßige Haschischraucherin geworden. Gemeinsam rauchten sie das Gras und danach liebten sie sich und vergaßen die Welt um sich herum.
Um eine Ausbildungsstelle zu suchen, fehlte ihr die Energie. Er hielt sie beide mit Arbeitslosengeld, später Sozialhilfe und mit dubiosen Gelegenheitsjobs über Wasser. Manchmal erhielt er Geld von seinen Eltern. Dann war großer Bahnhof angesagt: Tolles Essen, neue Kleidung für sich und auch für sie und natürlich Drogen.
Grundsätzlich war sie einsam. Einsamer als bei ihren Eltern. Wenn sie allein war und Stefan seinen „Geschäften“ nachging, weinte sie viel. Sie weinte wegen Stefan, der sie enttäuscht hatte, über die Welt, die so ungerecht zu ihr war und auch ein wenig über sich selbst, weil sie keine Änderung herbeiführen konnte. Sie fühlte sich wie eine Pflanze, die kein Wasser erhält, die zu vertrocknen und einzugehen droht. Sie hatte bei ihren Eltern ein streng konservatives Leben kennen gelernt – das wollte sie auf keinen Fall für sich. Aber je mehr sie nachdachte, desto mehr sehnte sie sich nach einem geregelten Leben, einer befriedigenden Aufgabe und keine Abhängigkeit mehr von Sex und Drogen.
Irgendwann brachte Stefan härtere Sachen mit nach Hause: Amphetamine und einige Male Ecstasy. Sie blieb jedoch beim Haschisch, auch wenn es ihr unendlich schwer fiel.
Stefan hatte sich inzwischen beide Arme und Schultern tätowieren lassen. Eines Abends, sie hatten nochmals beide Hasch geraucht und sich wie immer anschließend geliebt, verlangte er von ihr, dass sie sich ebenfalls ein Tattoo machen lassen sollte. Er bestand darauf, dass sie sich seinen Namen auf ihren Unterarm tätowieren lassen würde. Sie lehnte das strikt ab und es kam zu einem heftigen Streit. In dessen Folge packte sie ihre wenigen Sachen und kehrte reumütig zu ihren Eltern zurück. Wo hätte sie auch sonst hin gehen sollen?
Sie hatte längst erkannt, dass sie dieses Leben mit Stefan nicht mehr wollte und endlich war sie so weit, eine entscheidende Wende ihres Lebens herbeizuführen.
Spät, aber nicht zu spät, begann sie das Studium bei der Polizei und heiratete einen Mann, den sie heute als „überhasteten Fehlgriff“ bezeichnete. Von diesem Mann trennte sie sich ohne Reue. Auf ihre Tochter aus dieser kurzen Ehe, war sie dagegen mächtig stolz. Danach hatte sie keine feste Beziehung mehr. Den einen oder anderen One-Night-Stand, auch gab es zwei Beziehungen, die einige Wochen andauerten. Aber das war‘s. Keiner der Männer erfüllte ihre Ansprüche, die, so meinte sie, nicht zu hoch waren.
Jetzt lag sie wie fast immer allein im Bett und schaute an die weiße Zimmerdecke ihres Schlafzimmers. Sie war froh, dass sie nicht in der völligen Dunkelheit des Raumes gefangen war. Das eindringende Licht der Straßenlaternen sorgte für genügend Helligkeit, damit sie ihre Einrichtungsgegenstände schemenhaft erkennen konnte. Ihre Gedanken waren weit in die Vergangenheit gedriftet. Zum ersten Mal seit ihrem Amtsantritt im KK 11 hatte sie nicht an den grässlichen Mord auf der Burg gedacht.
Morgen war Samstag, aber für sie würde das kein freier Tag sein. Solange dieser irre Mörder umherlief, würde es keinen freien Tag für sie geben. Und wieder waren ihre Gedanken bei ihrem und Ronnis Fall. Ja, Ronni – sie war froh, dass er der Kommissar war, den sie unterstützen sollte. Aber nicht nur das. Sie war auch froh, dass sie den Mann Ronni Kern kennengelernt hatte. Sie hatte ja bisher in ihrem Leben nicht die besten Erfahrungen mit Männern gemacht. Ronni schien anders zu sein, als die Männer, die sie bisher kennengelernt hatte. Sie fand, er war einfach sympathisch, nett und verlässlich. Oder war da womöglich noch mehr, das ihren Blick für die Realität trübte? Nein, eher nicht. Sie kannte den Mann doch erst seit ein paar Tagen.
Das letzte Mal, als sie zur Uhr blickte, war es 0:45 Uhr. Danach übermannte sie endlich die Müdigkeit und mit angenehmen Gedanken schlief sie ein.
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