Haller 18 - Weihnachten. Группа авторов
Mädchen kicherte, ballte ihre Finger zu kleinen Fäusten und steckte sie unter die Achseln, als wollte Jesus sie kitzeln.
»Magdalena.«
»Magdalena!« Er riss die Augen auf. »Das ist aber ein schöner Name. Ich kannte mal eine Maria Magdalena …«
»Krieg ich jetzt ein Geschenk?«, unterbrach ihn das Kind.
»Was wünscht du dir denn?«, imitierte Jesus seinen Vorgänger.
»Eine Barbie!« Und die junge Frau hinter dem Sessel wies lächelnd Magdalenas Mutter mit ausgestrecktem Arm den Weg zum Puppenregal. Ein gebastelter Flügel löste sich bei der Bewegung ab, und das falsche Christkind verschwand hinter dem Thron, um ihn aufzuheben. Ihr Lächeln hingegen ließ die junge Frau für diesen Tag hinterm goldenen Stuhl liegen.
»Und was wünscht du dir, was man nicht kaufen kann?«, fragte Jesus das Kind. Er hatte einen größeren Kopf als Luzifer, deshalb legte ihn das Bartgummiband die Ohren an.
Die Antwort des Mädchens kam schnell: »Ein’ Dinosaurier.«
Jesus räusperte sich. »Ich meine, was anderes, was man nicht kaufen kann.«
»Ein’ ander’n Dinosaurier.«
Jesus seufzte, versuchte mit einer Hand sein Ohr aus seiner Gummibandfessel zu befreien und gerade, als er zu weiteren Erklärungen ansetzen wollte, kam ein breiter Kerl auf das Podest gestürmt und packte ihn am Kragen und schüttelte den Sohn Gottes. Das Mädchen fiel von Jesus ab und kullerte vom Podest zu seiner Mutter, die laut aufschrie. Der Atem des Angreifers roch nach Alkohol und seine mangelnde Standhaftigkeit, die er beim Schütteln an den Tag legte, ließ vermuten, dass neben dem Atem auch der ganze Mann mit Alkohol durchtränkt war.
»Vier Stunden war ich in der Besenkammer eingesperrt, bis mich jemand gefunden hat! Vier Stunden! Und ich habe mir die Seele aus dem Hals geschrien! Und hätte nicht jemand dort in der Kammer eine Flasche Whisky versteckt, wäre ich vermutlich verdurstet!«, schimpfte er weiter.
»Verschwinde, du Betrüger, ich bin der Weihnachtsmann!«, brüllte er weiter, bevor er sich verschluckte und kurz innehalten musste. Der Geruch seines Atems ließ vor Jesus’ inneren Augen die grünen Hügel Schottlands entstehen. Er riss sich aus seinen Visionen, rief: »Den Weihnachtsmann gibt es doch gar nicht!«, und befreite sich von dem Bart, den der Mann nun ergriffen hatte, um Jesus vom Podest zu zerren.
»Den Weihnachtsmann gibt es gar nicht?«, kreischten unzählige Kinderkehlen zugleich und eh sich die Männer versehen konnten, wurden sie von den starken Armen der Sicherheitsleute gepackt und durch die Etagen des Kaufhauses gezerrt, während sich eine breite Gasse Richtung Tür bildete, als würde Moses das Meer erneut teilen.
Handys wurden zur Aufnahme gezückt, jemand zog Jesus die Mütze vom Kopf und auch das kam ihm aus einem anderen Leben bekannt vor, auch wenn ihm dieses Mal ausnahmsweise niemand bespuckte oder eine Dornenkrone aufsetzte.
Auf dem Bürgersteig biss der Wind eisig in seine nackten Zehen und er war froh, noch den roten, warmen Mantel mit dem weißen Kragen zu tragen. Es hatte zu schneien angefangen und der spätnachmittägliche Himmel war mittlerweile nur noch durch die blinkende Weihnachtsdekoration der Geschäfte und die Straßenlaternen beleuchtet.
Der konkurrierende Weihnachtsmann war auf die Knie gestürzt, rappelte sich auf, während die Passanten einen Bogen um die beiden seltsamen Gestalten machten.
»Wegen dir bin ich meinen Job los, du Freak«, pöbelte der Betrunkene und Jesus seufzte, weil er wohl wieder erklären musste, dass er kein Freak, sondern Jesus, ehemals Christkind, sei.
Doch dazu kam es nicht. Der Kerl packte ihn an den Halsumschlägen seines Mantels und schleuderte den ganzen Jesus, samt Christkind-Vergangenheit, auf die mehrspurige Straße vor dem Kaufhaus. Eine Straßenbahn nährte sich; Jesus spürte die kalten Schienen auf seiner Wange, Schneeflocken benetzten seinen schmerzenden Körper, da wurde ihm schwarz vor Augen.
»Vielleicht solltest du ein bisschen mehr Gottvertrauen haben, mein Sohn.« Sein Vater half ihm aus dem Mantel und ließ das Kleidungsstück zwischen den Wolken zur Erde fallen.
»Was ist passiert?«, fragte Jesus, die Augenlider noch schwer und geschwollen. Der Kopf schmerzte und lähmende Müdigkeit ließen ihn sich schwer auf eine Wolke setzen. Er befühlte seinen Kopf, seine Arme und Beine, die alle unversehrt waren. Gott seufzte und hielt ihm ein Handy hin, das er aus Jesus’ Weihnachtsmannmantel gezogen hatte und spielte ihm ein YouTube-Video vor. Jesus erkannte sich, auf den Schienen am Boden liegend, Schneegestöber über seinem bewusstlosen Körper, hörte die Schreie der Passanten, sah die Lichter der sich nähernden Straßenbahn. Und wie aus dem Nichts sprang ein hünenhafter Mann in einem todschicken Anzug auf den Asphalt, klaubte Jesus vom Boden und verschwand mit ihm in der Dunkelheit.
»Das, mein Sohn«, erklärte Gott Jesus, »ist höllisch gute PR-Arbeit. Vielleicht sollte ich doch noch einmal meinen Standpunkt über eine Zusammenarbeit mit Luzifer überdenken«, und der Allmächtige ließ das Handy ebenfalls durch die Wolken in Richtung Erde plumpsen.
»Ach bitte«, fand Jesus nach großem Staunen seine Sprache wieder, »bitte auch noch einmal das mit den Dinosauriern überdenken«, und lächelte bei dem Gedanken, Magdalena einen Wunsch erfüllen zu können, den man nicht kaufen konnte.
Astrid Hammerthaler: Baumschmuck in Freiheit
Anne Buchmann: Dissonanz
Sie waren in die Dämmerung hineingefahren. Der Mann saß am Steuer, die Frau auf dem Beifahrersitz. Hinter der Kuppe lag die Stadt verborgen unter einer Decke aus gelben Lichtern. Die Frau sah über die Schulter zurück.
Bald schon würden sie ankommen, sie würden hineingehen und so tun, als sei alles in Ordnung, als sei es normal, dass sie dort waren, ausgerechnet an diesem Abend. Im Radio lief Last Christmas. Er nahm eine Hand vom Steuer und drehte den Ton ab. Sie blieb zurück mit dem Motorengeräusch und ihren Gedanken. Schon einmal waren sie dort gewesen. Das war nicht lange her. Sie erinnerte sich an den Spielautomaten neben der Garderobe. Schräg gegenüber die Theke aus dünnem Furnier. Davor die Rückansicht eines Mannes, der stumm sein Glas umfasste. Das Sitzfleisch quoll aus dem tiefen Bund seiner Jeans. Durch das lichterkettenbekränzte Panoramafenster hatte man die Autos und Lastwagen auf sechs Spuren vorüberdonnern sehen.
Sie drehte den Kopf zu dem Mann, der schweigend den Wagen steuerte. Nur eine Sekunde lang sah sie hin und legte die Stirn in Falten.
Sie fragte sich, ob er auch an die Vergangenheit dachte, an diesen Ort, der ihr so unpassend erschienen war. Seine Mutter hatte vorgeschlagen, zur Feier des Tages dorthin zu fahren. Es sei das Einfachste, hatte er zugestimmt.
Der Mann verlangsamte die Geschwindigkeit des Wagens. In ihrem Magen begann es zu kribbeln. Jetzt lagen nur noch der Verzögerungsstreifen und der leere Parkplatz zwischen ihr und –
Sie zog ihr Handy aus der Handtasche und machte ein wackeliges Foto von dem Flachdachgebäude neben der Tankstelle. #Weihnachtsessendeluxe. [Zwinkersmiley].
Noch vor dem Parkplatz erreichte sie eine Antwort. Auf dem Display leuchtete das Bild eines Tellers. Darauf schmiegten sich zwei Wiener Würstchen an hausgemachten Kartoffelsalat, Tannengrün im Hintergrund. Bildunterschrift: Ich Spießer [Zwinkersmiley].
Der Mann hielt direkt vor der Eingangstür. Beim Aussteigen sah sie durch das Panoramafenster. Die Lichterkette blinkte nervös. Sie erinnerte sich an das Essen, an die zu ockerfarbenen Bergen aufgestapelten Convenience-Produkte. Sie presste eine Hand auf den Magen.
Er war bereits einige Schritte vorausgegangen und hielt ungeduldig die Tür auf. Wenn sie hinein ginge, würde sie ihr Einverständnis erneuern. Dieser Nicht-Ort würde ein unwiderruflicher Teil ihrer Biografie werden, dachte sie und dann malte sie sich aus, wie sie stritten. Er würde aufbrausen. Damals, würde er sagen, damals wäre es für sie auch in Ordnung gewesen. Ob sie es noch wisse, als sie an Weihnachten einfach