Das Wesen des Christentums . Feuerbach Ludwig
pure Illusion wäre. Aber weit gefehlt, daß ich der Anthropologie eine nichtige oder auch nur untergeordnete Bedeutung gebe – eine Bedeutung, die ihr gerade nur so lange zukommt, als über ihr und ihr entgegen eine Theologie steht – indem ich die Theologie zur Anthropologie erniedrige, erhebe ich vielmehr die Anthropologie zur Theologie, gleichwie das Christentum, indem es Gott zum Menschen erniedrigte, den Menschen zu Gott machte, freilich wieder zu einem dem Menschen entfernten, transzendenten, phantastischen Gott – nehme daher auch das Wort: Anthropologie, wie sich von selbst versteht, nicht im Sinne der Hegelschen oder bisherigen Philosophie überhaupt, sondern in einem unendlich höhern und allgemeineren Sinne.
Die Religion ist der Traum des menschlichen Geistes. Aber auch im Traume befinden wir uns nicht im Nichts oder im Himmel, sondern auf der Erde – im Reiche der Wirklichkeit, nur daß wir die wirklichen Dinge nicht im Lichte der Wirklichkeit und Notwendigkeit, sondern im entzückenden Scheine der Imagination und Willkür erblicken. Ich tue daher der Religion – auch der spekulativen Philosophie oder Theologie – nichts weiter an, als daß ich ihr die Augen öffne, oder vielmehr nur ihre einwärts gekehrten Augen auswärts richte, d. h. ich verwandle nur den Gegenstand in der Vorstellung oder Einbildung in den Gegenstand in der Wirklichkeit.
Aber freilich für diese Zeit, welche das Bild der Sache, die Kopie dem Original, die Vorstellung der Wirklichkeit, den Schein dem Wesen vorzieht, ist diese Verwandlung, weil Enttäuschung, absolute Vernichtung, oder doch ruchlose Profanation; denn heilig ist ihr nur die Illusion, profan aber die Wahrheit. Ja die Heiligkeit steigt in ihren Augen in demselben Maße, als die Wahrheit ab- und die Illusion zunimmt, so daß der höchste Grad der Illusion für sie auch der höchste Grad der Heiligkeit ist. Verschwunden ist die Religion und an ihre Stelle getreten selbst bei den Protestanten der Schein der Religion – die Kirche, um wenigstens der unwissenden und urteilslosen Menge den Glauben beizubringen, es bestehe noch der christliche Glaube, weil heute noch die christlichen Kirchen, wie vor tausend Jahren, dastehen und heute noch, wie sonst, die äußerlichen Zeichen des Glaubens im Schwang sind. Was keine Existenz mehr im Glauben hat – der Glaube der modernen Welt ist nur ein scheinbarer Glaube, ein Glaube, der nicht glaubt, was er zu glauben sich einbildet, nur ein unentschiedner, schwachsinniger Unglaube, wie dies von mir und andern hinlänglich bewiesen worden – das soll doch noch in der Meinung gelten, was nicht mehr in sich selbst, in Wahrheit heilig ist, doch wenigstens noch heilig scheinen. Daher die scheinbar religiöse Entrüstung der gegenwärtigen Zeit, der Zeit des Scheines und der Illusion, über meine Analyse namentlich von den Sakramenten. Aber man verlange nicht von einem Schriftsteller, der sich nicht die Gunst der Zeit, sondern nur die Wahrheit, die unverhüllte, nackte Wahrheit zum Ziele setzt, daß er vor einem leeren Scheine Respekt habe oder heuchle, um so weniger, als der Gegenstand dieses Scheines an und für sich der Kulminationspunkt der Religion, d. h. der Punkt ist, wo die Religiosität in Irreligiosität umschlägt. Dies zur Rechtfertigung, nicht zur Entschuldigung meiner Analyse von den Sakramenten.
Was übrigens den eigentlichen Sinn der insbesondre in der Schlußanwendung gegebenen Analyse von den Sakramenten betrifft, so bemerke ich nur, daß ich hier den wesentlichen Inhalt meiner Schrift, das eigentliche Thema derselben, besonders in Beziehung auf ihre praktische Bedeutung, an einem sinnlichen Beispiel veranschauliche, daß ich hier die Sinne selbst zu Zeugen von der Wahrhaftigkeit meiner Analyse und Gedanken aufrufe, ad oculos, ja ad tactum, ad gustum demonstriere, was ich durch die ganze Schrift ad captum dozierte. Wie nämlich das Wasser der Taufe, der Wein und das Brot des Abendmahls in ihrer natürlichen Kraft und Bedeutung genommen unendlich mehr sind und wirken, als in einer supranaturalistischen, illusorischen Bedeutung; so ist überhaupt der Gegenstand der Religion im Sinne der Schrift, also im anthropologischen Sinne aufgefaßt, ein unendlich ergiebigerer und reellerer Gegenstand der Theorie und Praxis, als im Sinne der Theologie; denn wie das, was im Wasser, Wein und Brot als ein von diesen natürlichen Stoffen Unterschiednes mitgeteilt wird oder vielmehr werden soll, nur etwas in der Vorstellung, Einbildung, aber nichts in Wahrheit, in Wirklichkeit ist, so ist auch der Gegenstand der Religion überhaupt, das göttliche Wesen im Unterschiede vom Wesen der Natur und Menschheit, d. h. wenn die Bestimmungen desselben, wie Verstand, Liebe usw., etwas andres sein und bedeuten sollen, als eben diese Bestimmungen, wie sie das Wesen des Menschen und der Natur ausmachen, nur etwas in der Vorstellung, in der Einbildung, aber nichts in Wahrheit und Wirklichkeit. Wir sollen also – ist die Lehre der Fabel – die Bestimmungen und Kräfte der Wirklichkeit, überhaupt die wirklichen Wesen und Dinge nicht wie die Theologie und spekulative Philosophie zu willkürlichen Zeichen, zu Vehikeln, Symbolen oder Prädikaten eines von ihnen unterschiednen, transzendenten, absoluten, d. i. abstrakten Wesens machen, sondern in der Bedeutung nehmen und erfassen, welche sie für sich selbst haben, welche identisch ist mit ihrer Qualität, mit der Bestimmtheit, die sie zu dem macht, was sie sind – so erst haben wir die Schlüssel zu einer reellen Theorie und Praxis. Ich setze in der Tat und Wahrheit an die Stelle des unfruchtbaren Taufwassers die Wohltat des wirklichen Wassers. Wie »wässerig«, wie trivial! Jawohl, sehr trivial. Aber eine sehr triviale Wahrheit war seinerzeit auch der Ehestand, welchen Luther auf den Grund seines natürlichen Menschensinns der scheinheiligen Illusion des ehelosen Standes entgegensetzte. Das Wasser ist mir daher allerdings Sache, aber doch zugleich wieder nur Vehikel, Bild, Beispiel, Symbol des »unheiligen« Geistes meiner Schrift, gleichwie auch das Wasser der Taufe – der Gegenstand meiner Analyse – zugleich eigentliches und bildliches oder symbolisches Wasser ist. Ebenso ist es mit dem Wein und Brot. Die Bosheit hat hieraus den lächerlichen Schluß gezogen: Baden, Essen und Trinken sei die Summa summarum, das positive Resultat meiner Schrift. Ich erwidre hierauf nur dieses: wenn der ganze Inhalt der Religion in den Sakramenten enthalten ist, es folglich auch keine anderen religiösen Akte oder Handlungen gibt, als die bei der Taufe und beim Abendmahl verrichtet werden, so ist allerdings auch der ganze Inhalt und das positive Resultat meiner Schrift: Baden, Essen und Trinken, sintemal und alldieweil meine Schrift nichts ist, als eine sachgetreue, ihrem Gegenstand sich aufs strengste anschließende, historisch-philosophische Analyse – die Selbstenttäuschung, das Selbst bewußtsein der Religion.
Eine historisch-philosophische Analyse, im Unterschiede von den nur historischen Analysen des Christentums. Der Historiker zeigt, z. B. wie Daumer, daß das Abendmahl ein aus dem alten Menschenopferkultus stammender Ritus ist, daß einst statt des Weines und Brotes wirkliches Menschenfleisch und Blut genossen wurde. Ich dagegen mache nur die christliche, im Christentum sanktionierte Bedeutung desselben zum Objekt meiner Analyse und Reduktion und befolge dabei den Grundsatz, daß nur die Bedeutung, welche ein Dogma oder Institut, mag dieses nun in andern Religionen vorkommen oder nicht, im Christentum, natürlich nicht im heutigen, sondern alten, wahren Christentum hat, auch der wahre Ursprung desselben ist, inwiefern es ein christliches ist. Oder er zeigt, wie z. B. Lützelberger, daß die Erzählungen von den Wundern Christi sich in lauter Widersprüche und Ungereimtheiten auflösen, daß sie spätere Erdichtungen sind, daß folglich Christus kein Wundertäter, überhaupt nicht der gewesen ist, den die Bibel aus ihm gemacht hat. Ich dagegen frage nicht darnach, was wohl der wirkliche, natürliche Christus im Unterschiede von dem gemachten oder gewordenen supranaturalistischen gewesen ist oder sein mag; ich nehme diesen religiösen Christus vielmehr an, aber zeige, daß dieses übermenschliche Wesen nichts andres ist, als ein Produkt und Objekt des übernatürlichen menschlichen Gemüts. Ich frage nicht: ob dieses oder jenes, überhaupt ein Wunder geschehen kann oder nicht; ich zeige nur, was das Wunder ist, und zwar nicht a priori, sondern an den Beispielen von Wundern, die in der Bibel als wirkliche Begebenheiten erzählt werden, beantworte aber damit gerade die Frage von der Möglichkeit oder Wirklichkeit oder gar Notwendigkeit des Wunders auf eine Weise, die selbst die Möglichkeit aller dieser Fragen aufhebt. So viel über meinen Unterschied von den antichristlichen Historikern. Was aber mein Verhältnis betrifft zu Strauß und Bruno Bauer, in Gemeinschaft mit welchen ich stets genannt werde, so mache ich hier nur darauf aufmerksam, daß schon in dem Unterschiede des Gegenstandes, wie ihn auch nur der Titel angibt, der Unterschied unsrer Werke angedeutet ist. B[auer] hat zum Gegenstand seiner Kritik die evangelische Geschichte, d. i. das biblische Christentum oder vielmehr biblische Theologie, Str[auß] die christliche Glaubenslehre und das Leben Jesu, das man aber auch unter den Titel der christlichen