Am Hof Karls des Großen. Felix Dahn

Am Hof Karls des Großen - Felix Dahn


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die führte, von dem mit firnem Schnee und Eis bedeckten Felsengipfel des hohen Berges herab ein ganz schmaler, kaum mannsbreiter Klettersteig, in steilstem Anstieg drüben, in schroffstem Absturz hüben: nur Steinbock und Luchs und der verwegenste Gemsenjäger wagen sich auf den schwindelnden Pfad: hart vor dessen Mündung hatte der Herzog sein Zelt aufgeschlagen. Ich hatte etwas höher oben die vorderste Wache: mondlose Nacht war's, kurz vor Hahnenkraht, ich lehnte an einer finster schattenden Eiche: denn das verlöschende Wachtfeuer warf wechselndes Licht bis zu meiner Höhe herauf: Totenstille ringsum: nur der Steinkauz klagte zuweilen in den schwarzen Felsen über mir: da blitzte plötzlich um den nächsten Vorsprung des Gesteins helles, blendendes Fackellicht: »Feinde!« schrie ich, »Feinde! – Zu den Waffen!« wollte ich weiter rufen: ich konnte nicht! Grauen erstickte mir die Stimme: denn hart vor mir stand, im hellsten Schein zweier Fackeln, die zwei Männer dicht hinter ihm trugen, grellrot beleuchtet, ein Gewaltiger, um mehr als Haupteslänge mich überragend, ganz in funkelndes Erz gehüllt: »Vorwärts, Neffe Roland« rief er, mit furchtbar dröhnender Stimme; »drauf, Held Oliver von Viane; der Herr hat sie in unsre Hand gegeben! Sankt Peter und Sankt Denis!« Hoch blitzte ein Schwert: zersplittert wie Glas zersprang bei seinem Streich meine gute Klinge von Aquileja: derselbe Streich spaltete meine Ringbrünne und drang noch ein gar ansehnlich Ende in meine rechte Brust: – da – ich spür es noch.« Und er legte die Hand auf die schmerzende Rippe. »Ich stürzte: über mich hinweg sprangen die drei Männer: bevor mir die Sinne vergingen sah ich noch den Herzog vor seinem Zelt grimme Hiebe tauschen mit dem zur Rechten – Roland von Bretagne war's, wie ich später erfuhr – gar bald fiel der Herzog: seinen Bannerträger hinter ihm, den Gastalden von Nola, durchspeerte der andre Begleiter: – das war Herr Oliver von Viane. Dann aber sah ich nichts mehr als von dem Felspfad herab zahllose Fackeln, Helme, Speere der Franken: ›Herr Karl und Sieg‹, riefen sie: da schwanden mir die Sinne.« – »Armer Bruder,« seufzte Paulus und griff nach der abgemagerten Hand.

       »Das ist nicht Menschenwerk,« meinte der Abt. »Ich hörte davon raunen: ja, schon singt man im Volk ein Lied davon: Herr Karl, unfähig, die Clusen auf der breiten Straße zu stürmen, flehte zu Sankt Denis: urplötzlich stand vor ihm ein Jägersmann, der sich erbot, eine kleine erlesene Schar auf nur ihm bekanntem Felsensteig so zu führen, daß sie im Rücken der Langobarden auftauchen solle. So geschah's: aber als Herr Karl dem Jäger danken und lohnen wollte, verschwand er im Nebel der Berge. Es war der Engel des Herrn. Dem Willen Gottes muß man sich fügen.« – »Ei, das kann ich nicht! Noch nicht! Kann ich nur erst wieder das Schwert heben, wollen wir doch sehen, ob der verfluchte Engel« – beide Mönche bekreuzten sich – »verzeiht, ehrwürdiger Abt! – ihm jedesmal hilft. Aber damals freilich hat der engelhafte Jägersmann – hätt' ich ihn doch an der Gurgel! – die Schlacht, ja den Krieg entschieden.« – »Wie ging das zu?« forschte Paulus. »Wo ist der König, seine – seine Sippe, wo der Herzog? In Pavia ...?«. »Verloren ist alles. Nachdem die Franken uns im Rücken standen, – wie vor der Stirn, – waren die Clusen nicht zu halten: alles floh nach Pavia. Aber bald erschien vor der Stadt der furchtbare Herr Karl: Mangel, Hunger, Entsetzen, – der König ergab sich und sein Haus.« – »War Adalperga, ... war die Frau Herzogin ...?« – »Nein! Sie war ja in dem sichern Benevent geborgen. König Desiderius ward gefangen: er ward mit seiner Gattin in ein fränkisch Kloster abgeführt ...« – »So ist kein Reich der Langobarden mehr!« rief Paulus in tiefem Weh, sprang auf und erhob beide Hände.

      »Doch!« antwortete der Abt, »aber sein König heißt – Karl. Nicht eine Provinz des Frankenreichs, – ein eigen Königreich bleibt Langobardien.« – »Das – das ist ein Trost,« seufzte Paul. – »Nein, kein Trost,« knirschte der Wunde. »Und da mein Herzog lebt, – frei und in Sicherheit –, so hoff' ich, alsbald heißt Langobardiens König ... Arichis.«

      »Hüte dich,« warnte der Abt, scheu nach der Türe blickend. »Sogar vor meinen Mönchen: – schweige.«

      »Wo, wo weilt der Herzog. Er ist also frei?« fragte Paulus. – »Es gelang ihm, aus der Gefangenschaft, sobald Herrn Rolands Schwertstoß ein wenig geheilt war, zu entspringen und nach Benevent zu entkommen, Herr Karl, den dringende Sorgen nach Hause riefen, – die heidnischen Sachsen sind heerend tief ins Frankenland gedrungen – hat Frieden mit ihm geschlossen und ihn als Herzog von Benevent anerkannt, so lang Arichis sich ruhig verhalte. Wird hoffentlich nicht lange dauern.« – »Wie? Man sagt, er hat geschworen: – den Untertaneneid!« mahnte der Abt. – Arichis zuckte die Achseln: »Erzwungener Eid!« – »Gleichviel!« – sprach Paulus, »ein Eid! Gott läßt sich nicht spotten. Schon wieder sinnst du Kampf?« – »Und Vergeltung!« sprach Arichis, die Faust ballend.

       – »Dem Tode kaum entronnen, gewiß durch ein Wunder der Heiligen!« mahnte der Bruder. »Erzähle! Wie ging dir's nach dem Überfall, wie kamst du hierher?« – »Nicht durch ein Wunder der Heiligen, durch – einen ganz andern,« erwiderte Arichis, kopfschüttelnd und tief trinkend »Lang lag ich, wo ich gefallen war, ohne zu denken. Feind und Freund hielt mich wohl für tot. Als ich zu mir kam, war heißer Mittag: hoch stand die Sonne: ringsum alles hell – aber alles still, grabesstill. Angriff, Flucht und Verfolgung hatte beide Heere seit vielen Stunden weithinweggeführt: wohl nach Pavia zu. Ich erhob mich – nur ein Paar Tote um mich her – darunter nicht, den ich ängstlich suchte, der Herzog! Gott hierfür dankend trachtete ich nun, so schwer es ging – ich war schwach, die Wunde brannte! – möglichst verdeckt vor Franken, die etwa in der Nähe streiften, ein paar Berghöfe von Langobarden zu erreichen, die ich auf den Almen in den mittleren Höhen oberhalb unserer Zelte liegen wußte. Mühsam kletterte ich die steilen Pfade hinan: da plötzlich, hart am Abgrund, verließ mich die Kraft, der Speer, auf den ich mich stützte, entfiel meiner Hand und ich stürzte – nach der Rechten hin – tief, tief in den Abgrund.« – »Bruder, Bruder!« seufzte Paulus. – »Und unverletzt kamst du unten an?« forschte der Abt.

       »Ja: ich fiel auf tiefen, weichen Schnee: durch ein Wunder der Heiligen, werdet ihr rühmen. Meinethalben, – diesmal! Aber heraus, herauf aus dem schauerlichen Abgrund hat mir geholfen: – ein anderer. Denn nun ergriff mich alsbald die Angst furchtbaren Todes! Ich rutschte auf allen Vieren, oder aufrecht stehend tastete ich mit den Händen rings umher an den fast kreisrunden senkrechten Felswänden, die, – wie in einem schmalen Turm von wenig Fuß Breite – mich überall umstarrten: nirgends, nirgends ein Aufstieg aus der Abgrundtiefe, nirgends auch ein Spalt, um seitwärts zu entrinnen. Ach, unzähligemale suchte ich alles ab in meinem engen Gefängnis, vergebens strengte ich das Auge an, irgend eine Lücke zu erspähen, stundenlang: – die Sonne war hinter dem hohen Gletscher gesunken –: mich fror: vergebens auch schrie ich – gleichviel, ob Feinde mich hörten, mich fingen! – schrie, bis mir die Stimme versagte: ich sah mich gefangen, rettungslos eingeschlossen in dem schmalen Felsenkerker, nie von Menschenaugen entdeckt: – dem Verschmachten, dem Verhungern preisgegeben!« – »Bruder, lieber Bruder!« – »Warum habt Ihr nicht gebetet?« – »Oh, ich betete, frommer Abt, betete in meiner tödlichen Not heiß, wie wahrlich nie im Leben noch. Ich rief Gott an, den Herrn Christus, Sankt Peter ...« – »Auch Sankt Sabinus?« – »Gewiß, Bruder, unsern Schirmherrn. Ich gelobte ihm eine Kapelle aus all meinem Erb und Eigen zu erbauen. Vergeblich! Ich rief alle Heiligen an, deren Namen ich je vernommen. Umsonst! Umsonst! Ich ward schwächer und schwächer. Verzweifelt warf ich mich in den Schnee, ich schloß die Augen, ich dachte, sie nie wieder aufzuschlagen. Da plötzlich, in dieser furchtbaren Stille, die seit Stunden kein Laut unterbrochen hatte, kein Ton – hör' ich, hoch über mir, wie vom Himmel her, einen lauten Ruf: ich blicke empor: ein Rabe senkt sich krächzend mit regungslos ausgebreiteten Flügeln, langsam, aus Wolkenhöhe, gerade oberhalb meines Hauptes, zu mir herab: ich springe auf: es verscheucht ihn nicht: er läßt sich dicht neben mir nieder, schaut mich an mit seinen runden, klugen, schwarzen Augen, krächzt mir zu und schreitet langsam und feierlich über den Schnee hin – manchmal umblickend, ob ich ihm auch folge? – nach links hin bis vor einen halb manneshohen, dunkelgrauen Felsblock: auf dessen Oberspitze flattert er auf und ruft mich nochmal an: ich folge, ich erreiche den Block: nur ganz wenig schwebt der Vogel auf einen höheren Fels empor, wie um mir Platz zu machen: ich schaue ihm nach, ich fasse den Block mit beiden Händen, – da gibt er nach, gleitet langsam links über den Schnee und zeigt mir einen langgestreckten Spalt in der Felswand, in den von der Ausgangsseite das Licht der eben da draußen zu Golde gehenden Sonne fällt: – ein Weg, ein Ausweg!


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