Am Hof Karls des Großen. Felix Dahn

Am Hof Karls des Großen - Felix Dahn


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zog ein schmerzliches Lächeln um die seinen Lippen des Mönches. Sein Bruder seufzte unhörbar: »Armer Paulus!«

       Der Herzog las weiter: ›Ob du aber schon so weit genesen, dich in den glänzendsten Hof des Abendlands wagen zu wollen, zu können, – das kann ich nicht wissen: das muß ich dir zu prüfen überlassen. Entscheide. Aber rasch: Herr Karl kennt keinen Aufschub. Der Bote sollte dich flugs aus dem Kloster in das Frankenreich entführen. Der heilige Geist erleuchte dich und führe dich zu der richtigen Wahl.‹

      Der Herzog warf das Pergament auf den Tisch: in seinen scharfen Augen blitzte leidenschaftlich ein Gedanke auf: den wollte er wohl gern vor allen verbergen, denn er senkte die Wimpern, als er rief: »Versteht sich! du mußt dem Rufe folgen.«

      Hoch erstaunt sahen alle drei auf ihn: der Gasindus fand zuerst ein Wort: »Wie, Herr? Der gehaßte Karl will Euch dieses goldtreue Herz entführen und Ihr helft dazu?« – »Nun, das Herz,« sprach Frau Adalperga innig, »wird uns wohl bleiben, auch wenn's in Aachen schlägt.« – Da warf sich der so stumme, verhaltene Mönch ihr zu Füßen und küßte den Saum ihres Gewandes: »Dank, hohe Fürstin, für dies Wort, für das Vertrauen: – es heilt gar viele Wunden.« Er erhob sich rasch: »Aber wie sollte ich das Menschengewimmel am Hof Herrn Karls ertragen, ich, der nur gezwungen aus der Cella sogar hierher ging?«

      Einstweilen hatte der Herzog seinen Gasindus am Arm ergriffen, aus dem Tempel geführt und in sein Ohr geflüstert.

      »Ich verstehe,« erwiderte der: »Ja, das ist ...« – »Schweig! Höre weiter! Er soll, er darf ja gar nicht merken, was wir durch ihn erkunden wollen. Aber wenn er uns alles von dort berichtet, dann ...« Und er ging mit ihm ein paar Schritte rund um den Tempel.

       »Also,« sprach Adalperga zu ihrem Freund und sah ihm eindringend in die Augen, »Ihr werdet nein sagen, obwohl der Herzog es wünscht?« – »Ich sage nein.« – Da erhob sie sich von der Bank, trat einen Schritt näher, legte leicht – nur einen Augenblick – die Rechte auf seine Schulter: er erbebte. »Auch, wenn ich es wünsche, wenn ich Euch darum bitte?« – »Adalp ... Frau Herzogin! Ihr mich bitten – mich!« – »Hört den Grund. Jeder Mensch soll dahin eilen, wo er seinen Freunden – und Ihr seid unser Freund, ich weiß es! – am meisten nützen kann: das ist für uns ein Freund dort: – am Hof Herrn Karls. Vernehmt, – aber schweigt gegen alle, auch gegen meinen Gemahl! es ist das erste Geheimnis, das ich vor ihm hehle! – ich ahne, ach nein: ich weiß: der Herzog sinnt auf – – Bruch mit Herrn Karl.« – »Da sei Gott vor!« flüsterte Paulus und erbleichte. »Sein Schwur!« – »Eidbruch! Auch ich zittre davor. Ich fürchte, ich kann den Rachezorn meines Gatten nicht zurückhalten, sobald er sich stark genug wähnt. Er rennt sich, – uns alle ins Verderben. Dann, dann ist mir von höchstem Wert ein Fürsprecher am Hof, ein Freund, ein Liebling des Siegers: – denn das werdet Ihr so sicher werden wie aller Menschen Liebling mit Eurem goldnen reinen Herzen.« – Des Mönches Antlitz verklärte ein edler Glanz: »Zwar wird das mir nie zuteil werden! Aber schon der Gedanke, daß Ihr daran glaubt, und daß Ihr wünscht ...! Ich verspreche Euch, vermag ich es, so rette ich Euren Gemahl aus jeder Gefahr – um jeden Preis!«

       Da traten die beiden Männer wieder in das Tempelrund: der Gasinde flüsterte noch auf den Stufen: »Es wäre freilich gar wertvoll. Aber er geht nicht hin.« – »Wer weiß! Wir sind alle ehrgeizig. – Nun, Paule, wie steht's? Muß ich Euch Gründe nennen? Sagt Ihr noch immer Nein?« – »Ich sage: Ja. Die Frau Herzogin hat mich bekehrt: ich gehe an den Hof Herrn Karls, weil ich – vielleicht – dort Gutes wirken kann.« – »Trefflich,« rief der Herzog mit einem triumphierenden Blick auf seinen Gefolgsmann. »Jedenfalls Besseres als in der Klosterzelle. Und ganz anderes!«

      »Seinem hochehrwürdigen Vater und Herrn Theudemar dem Abt, Paulus, Warnefrids Sohn, der Mönch.

      Hätt' ich auch nicht verbrochen, Euch, dem hohen Paar zu Benevent und meinem herzgeliebten Bruder oft und ausführlich Nachricht zu schreiben von all' dem, was ich seit unserer Trennung erlebt und erfahren im Reiche der Franken, es würde mich das Herz dazu zwingen, die Fülle, die überwältigende Fülle der Dinge, die es bewegen, die es zu sprengen drohen, vor Euch auszuschütten. Es ist eine Welt der Wunder, in der ich lebe: aber das Wunderbarste der Wunder ist er, der Unvergleichliche, der Unschilderbare: ist Herr Karl!

       Ich weiß, hoher Herzog, diese Worte wecken Euren Zorn: aber ich muß der Wahrheit Zeugnis geben: ja, ich muß: es ist Pflicht: denn lernt Ihr die Wahrheit über diesen Mann, den Unbezwinglichen, dann müssen Euch jene Gedanken vergehen, jene Hoffnungen siegreichen Rachekampfes wider ihn, die Euch im geheimen bewegen: – kenn' ich doch Euren trotzgemuten Heldensinn. Ich flehe Euch an, zu Eurem, Eures Hauses, unseres Volkes Heil: – gebt sie auf, jene Hoffnungen, verscheucht sie für immer, fügt Euch in das von Gott Gewollte. Ja, von Gott, nicht von jenem Sterblichen. Denn fest wie all' sein Volk, wie er selbst glaube ich: Herr Karl ist Gottes des Herrn auserkorenes Rüstzeug, seine Kirche zu beschirmen, seinen Namen auszubreiten unter den Heiden, das Reich Gottes auf Erden zu begründen: ich glaub' es, was seine Völker, was auch seine Feinde raunen: der Engel des Herrn schwebt zu seinen Häupten Tag und Nacht: von seinen Augen strahlt ein Glanz, erhaben, blendend und doch so herzgewinnend durch eine wunderbar warme Güte der Seele. Ihn schildern, das kann niemand: erleben muß man ihn!

      Ich sah ihn zuerst in Poitiers, wohin mein treuer Begleiter, Bischof Constantius von Chur, mich über Aosta, Lyon und Limoges zu ihm führte: der Herrscher brachte dort mit eigner milder Hand Hilfe den schwer durch Mißwachs, Hunger und Hunger-Seuche getroffenen Provinzialen: ich traf ihn in der fieberverpesteten Hütte eines armen Winzers; die Ärzte scheuten die Ansteckung, er nicht. Er richtete sich auf von dem Lager des Kranken, über das er sich gebeugt hatte, und sah mich lang an mit seinen großen, die Seele durchdringenden Augen: dann lächelte er, reichte mir die mächtige Hand und sprach: ›Mönchlein, du gefällst mir: in dir ist kein Falsch. Aber zu wenig Blut. Bring du uns dem Himmel näher, – wir wollen dich, du bleicher Geist, der Erde näher bringen.‹

       Von Stund an war mein Herz, mein Geist, mein Wille sein eigen! Wir blieben in Poitiers, bis die Seuche erloschen und der mitgeführte Geldvorrat ausgespendet war, dann begleitete ich den König quer durch Gallien gegen den großen Rheinstrom hin und in seine dortigen Villen zu Metz, Diedenhofen, Düren, endlich hierher, in das große Palatium zu Aachen! Hier erst, in seiner wahren Heimat-Pfalz, ging mir das ganze Wesen des Mannes auf und seine Größe! Nicht das Gedränge der Gesandten all' der Fürsten und Völker, die seine Gunst suchen, vom heiligen Vater bis zum Sultan Arraschid zu Bagdad, von den dänischen, angelsächsischen, den asturischen Königen bis zu den Boten des Kaisers aus Byzanz, – nicht die Geschenke, die Schätzungen, welche sie huldigend ihm zu Füßen legen, erregen mein bewundernd Staunen, – nein, die väterliche Liebe, mit der er unermüdlich der Bedrängten, der Armen, der Hilflosen in seinem weiten Reiche gedenkt. In der Nacht springt er vom Lager und schreibt den Namen eines kleinen Bauern fern in den Alpen Bajuvariens am Inn oder an der Loisach, dessen Hilferuf gegen den gräflichen Unterdrücker noch nicht erhört ist, auf seine schlichte Gedenktafel von Schiefer, er, der schreckliche Schlachtenschlager, der ›eiserne Karl‹, er trägt in der Brust das gütevollste Herz.

      Und sein Geist! Er hat mich gewürdigt der Aufnahme in den Kreis von weisen Meistern, die seinen Hof zu einer hohen Schule machen. Hier lerne ich von dem ernsten Angelsachsen Alkuin, von dem wir ja alle zu lernen haben, hier traf ich den Landsmann Petrus von Pisa, hier den edlen Goten, den schönheitdurstigen und schönheitspendenden Theodulf von Orleans. Und mit so vielen andern noch darf ich Unwürdiger wie mit meinesgleichen verkehren! Und ganz wie einer von uns lebt und forscht und tafelt und scherzt mit uns auch der mächtigste Herrscher des Abendlands, er neckt und läßt sich necken in Prosa und Gedicht, der ›David‹ dieser Tafelrunde, wie wir ihn, jeden Titel und Hofzwang meidend, nennen müssen: wie Alkuin Horatius Flaccus ist Angilbert, des Herrschers vertrautester Rat, Homer und der junge liebenswerte Einhart – auch manche Jungfrau des Hofes findet ihn so! – heißt gar Beleseel nach dem kunstreichen Baumeister der Stiftshütte, weil der Kluge, Feine gar kunstverständig ist in allerlei Bauwerk. Der ist mir von allen der Liebste, meiner Seele der Nächste geworden.

       ›Wie sie wohl meinen Paulus getauft haben?‹ forscht hier mein neugierig


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