Feuerblüte III. Катя Брандис

Feuerblüte III - Катя Брандис


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      Alena nickte – es ging ihr genauso. Sie ärgerte sich nur darüber, dass sie den Geschichtenerzähler vorhin in der Schänke nicht einfach angesprochen hatte. Damit hatte sie sich eine wertvolle Chance entgehen lassen, mehr über Alix zu erfahren!

      Doch die Gelegenheit, das nachzuholen, sollte schneller kommen, als ihr lieb war.

      ***

      Von allen Farbwäldern, die es in Daresh gab, fand Jorak den Blauen Wald am eindrucksvollsten. Hier glänzten die Blätter in allen Schattierungen von Hellblau bis zum tiefen Indigo. Doch durch diesen Wald zu reisen war nicht sehr angenehm: Die Baumart, die hier wuchs, hatte kurze, massige Stämme und dichte Kronen. Es drang kaum Licht hindurch zum Boden, man brauchte selbst dann eine Lampe oder Fackel, wenn die Sonne am höchsten stand und den Wald in ein traumhaft blaues Licht tauchte.

      „Niccht meine Lieblingsfarrbe“, teilte Cchraskar ihnen mit.

      Alena blickte interessiert auf. „Hast du denn eine? Das wusste ich gar nicht.“

      „Manchmal blaugrau. So wie das Fell von Nachtwisslern. Manchmal rot. Hübsch, das. Manchmal auch Gelb. Wie die Sonne. Wärmt so schön, wärmt.“

      Jorak musste lächeln. „Wenn du ein Mensch wärst, würdest du dir wahrscheinlich auch so einen scheußlich-bunten Mantel zulegen wie dieser Geschichtenerzähler.“

      Wie durch einen glücklichen Zufall stießen sie gegen Abend auf eine Schänke – es war das erste Haus, das sie seit ihrem Abschied aus dem Dorf sahen. Dem gedrungenen Gebäude der Erd-Gilde dienten vier lebende Bäume als senkrechte Eckbalken. Man konnte leicht sehen, dass das Haus schon sehr alt war. Dadurch, dass die Bäume wuchsen, hatten die Bewohner oben schon ein paar Stockwerke anbauen können.

      „Ich glaube, heute können wir uns mal ein richtiges Bett leisten“, stöhnte Alena.

      Jorak nickte grimmig. „Falls sie einen wie mich reinlassen. Einen Versuch ist es wert.“ Wie so oft schlug er den Kragen seines Umhangs hoch, damit er nicht so leicht als Gildenloser zu erkennen war. Er wollte auf keinen Fall, dass sich die Blamage von gestern wiederholte. Es war ihm furchtbar peinlich, dass Alena nun praktisch für ihn sorgen musste, weil niemand ihm etwas verkaufen würde. Natürlich hätte er problemlos etwas zu Essen besorgen können, er war gewohnt, sich zu beschaffen, was er brauchte. Aber nachdem Alena über die mögliche Zechprellerei dieses Erzählers so entsetzt gewesen war, hatte er seine Zweifel, ob eine zusammengestohlene Mahlzeit ihr schmecken würde – und das wäre dann noch viel, viel peinlicher!

      Mit den Fackeln, die vor den Türen leuchteten, und dem traditionellen Gasthaus-Schild, das zwei ineinander verschränkte Hände zeigte, wirkte das Gebäude sehr einladend. Der Wirt, der ihnen entgegentrat, war ein dunkelhaariger, muskulöser Mann mit dichtem Bart – sein Amulett wies ihn als einen der friedlichen Erdleute aus. „Friede den Gilden!“, sagte er mit einer tiefen, heiseren Stimme. „Kommt doch rein.“

      Jorak war froh, dass er es so problemlos geschafft hatte, ins Gasthaus zu gelangen. Aber nur, bis das Essen kam. Eine mürrische Frau brachte ihnen ein Mahl aus angebrannten Frühlingsmehl-Pfannkuchen und völlig zerkochten Kurg-Sprossen. „Entweder hat der Koch zu viel Beljas gekaut oder er ist einfach schlecht“, murmelte Alena und verzog das Gesicht.

      Außer ihnen waren nur zwei andere Gästepaare da, die nach dem exotischen Schnitt ihrer Kleidung von weither zu kommen schienen – Jorak tippte auf Vanamee und den Süden von Nerada. Sie hatten schon ein paar Polliak intus, waren aber trotzdem noch klar genug im Kopf, um sich über das schlechte Essen zu beklagen.

      „Komisch“, sagte Cchraskar und hob das Gesicht in die Luft, um zu schnuppern. „Der Witterung nach müssten eigentlich viel mehr Leute da sein, viel mehr.“

      Alena blickte ihn mit gerunzelter Stirn an. „Seltsam. Vielleicht riechst du die Gäste, die vorher hier waren?“

      Wie aufs Stichwort öffnete sich die Tür und ein blonder Mann mit buntem Mantel schlenderte herein. Jorak musste ein Auflachen unterdrücken. Da war er wieder, der Geschichtenerzähler! Na, diesmal würde er ihnen einiges erklären müssen.

      Der Erzähler setzte sich, winkte den Wirt heran – und runzelte die Stirn. Jorak konnte verstehen, was er sagte: „He, wo ist Zentar? Krank etwa?“

      „Krank, ja“, erwiderte der Wirt mit seiner heiseren Stimme. „Ich bin sein Cousin und helfe hier aus.“

      Der Fremde betrachtete die Bedienung. „So. Und Arelyn?“

      „Auch krank. Sie haben sich alle angesteckt. Ein Pech aber auch!“

      Langsam stand der Geschichtenerzähler auf. „Schade, eigentlich wollte ich die beiden nur begrüßen und dann weiterreisen.“ Doch dann fiel sein Blick auf Jorak und Alena. Er zögerte, setzte sich dann ganz langsam wieder. „Aber vielleicht nehme ich doch ein Zimmer für die Nacht.“

      Was geht hier eigentlich vor?, dachte Jorak. Gerade wollte er Alena vorschlagen, sich zu dem Fremden hinüberzusetzen und sich mit ihm zu unterhalten, da traf ihn ein warnender Blick des Erzählers. Irgendwie begriff Jorak, was der Fremde ihm damit sagen wollte. Zeigt nicht, dass ihr mich kennt!

      „Lasst uns hochgehen auf unsere Zimmer“, schlug Jorak stattdessen vor, und Alena nickte. Cchraskar tappte hinter ihnen her, als sie sich vom Wirt ihr Zimmer zeigen ließen. Es war eine fensterlose, kleine Kammer ganz oben im Gasthaus, unter einer Dachschräge aus roh gezimmerten Balken. Außer einem Bett, einem runden Teppich aus Kirwani-Wolle und einer Waschschüssel enthielt sie nichts. Es roch nach Holz und frisch gewaschenem Bettzeug.

      Beim ersten Blick auf das gemütlich aussehende Bett stellte Jorak fest, dass auch er todmüde war. Er hatte sich immer noch nicht ganz an den Luxus gewöhnt, in einem richtigen Bett zu nächtigen statt auf der Straße oder in einem Stall.

      Aber auch das wäre ihm jetzt egal gewesen, Hauptsache er konnte mit Alena zusammen sein. Manchmal schien ihm sein Glück noch immer unfassbar. Kaum hatte der Wirt die Tür hinter sich geschlossen, nahm er Alena in die Arme und strich ihr zärtlich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Habe ich dir heute schon gesagt, dass ich dich liebe, Feuerblüte?“

      Alena lachte. „Heute noch nicht“, meinte sie und küsste ihn, bis ihnen beiden die Luft ausging. Dann warf sich Alena angezogen aufs Bett. „Morgen unterhalten wir uns aber mit diesem Erzähler. Dann soll er uns nochmal erklären, was in Vidrano los war!“

      Jorak nickte. „Er hat mir vorhin einen ganz seltsamen Blick zugeworfen. Keine Ahnung, was das alles soll.“

      „Jedenfalls hat er uns schon mal die Erklärung geliefert, warum das Essen hier so schlecht ist. Wenn der Wirt und die Köchin krank sind, kann das ja nichts werden.“

      „Na, hoffentlich stecken wir uns nicht an. Vielleicht hätten wir doch im Wald übernachten sollen.“

      Jorak streifte sich das Hemd über den Kopf, um sich zu waschen. Das Wasser war eisig kalt, aber klar und frisch. Gerade als er sich gründlich abreiben wollte, klopfte es leise und verstohlen an die Tür. Mit einem Satz sprangen Alena und Cchraskar auf.

      Draußen stand der blonde Geschichtenerzähler. „Schnell, lasst mich rein, bevor mich jemand sieht! Es ist wichtig!“

      „Na, da bin ich ja mal gespannt“, sagte Alena.

      „Du kannst gerne unterss Bett kriecchen, unters Bett, da findet dich keiner“, schob Cchraskar nach.

      Der Blonde verzog das Gesicht und schlich sich herein. „Nur, dass eins klar ist“, flüsterte er. „Ich bin nur wegen euch geblieben – sonst wäre ich jetzt schon weit weg und in Sicherheit.“

      „Was meinst du damit, in Sicherheit?“ Jorak legte den Lappen hin, mit dem er sich gewaschen hatte.

      „Habt ihr nicht gemerkt, dass hier etwas gewaltig faul ist? Das Gasthaus in der Hand von völlig fremden Leuten, und dass der Wirt und alle seine Leute krank sind, nehme ich denen keinen Moment lang ab!“

      Jetzt waren Jorak und Alena wieder hellwach. „Was hat das zu bedeuten?“


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