SPQR - Der Fluch der Mumie. Norbert Wibben

SPQR - Der Fluch der Mumie - Norbert Wibben


Скачать книгу
breit und tief, dass die Gefahr besteht, mit dem Rad hineinzugeraten. Und genau das passiert in diesem Augenblick.

      Die Kommissarin versucht, den Sturz abzufangen, doch das misslingt völlig. Was im Einzelnen geschieht, bekommt sie nicht mit. Auch im Nachhinein vermag sie die Details des Unfalls nicht abzurufen. Sie stellt lediglich erstaunt fest, dass sie sich unerwartet auf dem Boden befindet. Inge richtet sich erschrocken auf. Sie starrt dabei auf die rechte Hand. Dort steht der kleine Finger in ungewöhnlichem Winkel ab. Schnell entschlossen fasst sie diesen unwillkürlich mit Links und zieht ihn in die ursprüngliche Stellung zurück. Er musste aus dem Gelenk gesprungen sein. Schmerzen verspürt sie seltsamerweise nicht, obwohl er bereits anschwillt.

      Passanten treten besorgt zu ihr und fragen, ob sie Hilfe benötigt. Doch die scheint nicht nötig, da sie von allein aufstehen konnte. Gebrochen ist offenbar nichts! Sie tastet sich vorsorglich ab, klopft den Staub von der Hose und betrachtet anschließend das Fahrrad mit kritischem Blick. Das hat nur wenig abbekommen, wie sie schnell feststellt. Eine Beschädigung ist lediglich am hinteren Schaltwerk der Kettenschaltung erkennbar, das leicht verbogen und dadurch aus der Spur gebracht ist. Mit etwas Druck gelingt es, das zumindest notdürftig zu richten. Gummihandschuhe aus dem Koffer verhindern dabei, dass ihre Hände vom Kettenöl beschmiert werden.

      Inge schimpft innerlich, nur durch ihre Unachtsamkeit diesen Sturz verursacht zu haben. Sie ist froh, offenbar derart glimpflich davongekommen zu sein. Sie steigt auf und fährt zu ihrem ursprünglichen Ziel weiter.

      Bei der Ankunft am Kaufhaus verschließt sie das Rad mit einem Bügelschloss. Aus dem Koffer nimmt sie ein vorbereitetes Hinweisschild, dass sie zusätzlich durch das Schloss sichert. Auf dem Schild steht: »Polizei im Einsatz. Finger weg!« Sie hofft, dass das mögliche Fahrraddiebe abschreckt und nicht nur zu deren Belustigung beiträgt. Als sie den Helm wegschließt, stellt sie fest, dass an ihm Spuren vom Sturz zu erkennen sind. Anders als vorhin wahrgenommen, muss sie doch mit dem Kopf auf dem Boden aufgeschlagen sein. Der Schutzhelm hat seine Funktion offensichtlich bestens erfüllt, sonst hätte sie jetzt vermutlich mindestens Abschürfungen und eine heftige Gehirnerschütterung, wenn nicht gar Schlimmeres.

      Der mögliche Fall eines versuchten Handtaschenraubs konnte inzwischen aufgeklärt werden. Einer der zwei hinzugerufenen Streifenpolizisten hatte in der Zwischenzeit genau das gemacht, was die Kommissarin vorgehabt hat. Während der vermeintliche Täter und sein Opfer unter Aufsicht des einen Beamten im Büro des Kaufhausleiters auf das Eintreffen von Inge Husmann warteten, hatte der andere den Tathergang recherchiert. Dabei stellte sich heraus, dass die Behauptung des jungen Mannes am wahrscheinlichsten erschien.

      Auf den Vorschlag des Polizisten, auf eine Anzeige zu verzichten, wollte die ältere Frau jedoch nicht eingehen. Sie schüttelte vehement den Kopf und schimpfte lauthals darüber, dass die Täter von der Polizei geschützt würden, anstatt diese außer Landes zu verweisen.

      Inge Husmann lässt sich von dem Beamten die Ermittlungsergebnisse mitteilen und tippt einige Fakten in ihr Handy. Das vermeintliche Opfer ist kaum zu beruhigen. Die Kommissarin erkennt, dass sich die Dame, vom fremdländischen Aussehen des Mannes beeinflusst, beständig mehr in Rage redete. Deshalb schließt sie die Ermittlungen vor Ort und wendet sich mit entschlossenem Blick an die zeternde Kundin.

      »Unserer Meinung nach trifft den von ihnen Verdächtigten keine Schuld an dem Vorfall. Von Zeugen des Geschehens wird bestätigt, dass er durch ihren Hackenporsche, ich meine natürlich Einkaufstrolley, zu Fall gebracht wurde. Lediglich sein Griff an ihren Arm, liebe Frau, rettete ihn davor, unsanft auf dem Boden aufzuschlagen und sich möglicherweise zu verletzen.«

      »Das ist eine Unverschämtheit«, beginnt diese aufzubegehren. »Ich bleibe dabei, dass er mir die Handtasche zu entreißen versuchte. Ich habe doch sein heftiges Zerren, um sie mir zu stehlen, genau gespürt! Daran hinderten ihn nur mein lautes Geschrei und das Eingreifen anderer Kunden.«

      »Die haben jedoch seine Version des Geschehens bestätigt und zu Protokoll gegeben. Ihnen bleibt natürlich frei, den jungen Mann anzuzeigen. Das müssten sie auf dem Polizeirevier machen. Ich rate jedoch davon ab. Ich verfasse einen Bericht, genau wie dieser Kollege, in dem die ermittelten Fakten aufgeführt werden. Sollte Herr …«, sie blickt auf ihre Notizen im Handy, »…, wenn Herr Murat Osakin seinerseits Anzeige gegen sie erstatten will, beispielsweise wegen versuchter, fahrlässiger Körperverletzung, hat er eine gute Chance, von dem Vorwurf eines misslungenen Handtaschendiebstahls freigesprochen zu werden. Deshalb mein Rat, belassen wir es dabei, dass zum Glück niemand zu Schaden gekommen ist!« Einen kurzen Moment vergleicht die Kommissarin die Frau gedanklich mit einem Goldfisch. Deren Mund öffnet und schließt sich, ohne einen Laut von sich zu geben. Danach dreht sich diese wortlos um und stampft schnaufend von dannen.

      Auf der Rückfahrt vom Kaufhaus denkt Inge Husmann an die Dankesäußerungen des jungen Mannes, der bereits befürchtete, wegen seines ausländischen Aussehens keine Aussicht auf eine gerechte Untersuchung des Vorgangs zu haben. Sie ermahnt sich, ihre Aufmerksamkeit in die Gegenwart zu richten und besser auf die Straßenverhältnisse zu achten. Ihr kleiner Finger ist inzwischen dick und blau angelaufen. Er schmerzt derart stark, dass sie beschließt, nach einem in die PC-Tastatur getippten Bericht zum Krankenhaus zu fahren. Sie sucht Clas Hinnerk noch schnell vor dem Hinausgehen auf.

      »Ich hatte einen Fahrradunfall«, teilt sie ihm mit. Sie will ihn darauf vorbereiten, dass sie womöglich ein paar Tage ausfallen wird. »Bis auf einen Schlag gegen meinen Helm und einen ausgerenkten, kleinen Finger, ist mir nichts geschehen. Die Hand möchte ich vorsichtshalber röntgen lassen.«

      Inge wundert sich beim Aufwachen, dass sie offenbar in einem fremden Bett liegt.

      »Wo … bin ich?«, fragt sie sich, dabei kommt kein Laut über ihre Lippen. Ihre Augenlider versuchen, sich zitternd zu heben. Sie kraust ihre Stirn. Weshalb gelingt das nicht? Dass sie sich nicht zu Hause befindet, spürt sie an der ungewöhnlichen Härte der Matratze. Es muss fast Mittag sein, so hell, wie es durch ihre geschlossenen Lider schimmert. Warum liegt sie derart lange in einem Bett, wo immer das auch steht? Denn wo sie ist, will ihr nicht klar werden.

      Plötzlich blitzten die Bilder vom Sturz mit dem Rennrad in ihrem Kopf auf. Dann ändert sich die Szene. Sie sieht die Situation im Kaufhaus und ebenso die Rückfahrt zum Kommissariat im Zeitraffer. Am Schreibtisch hatte sie ihren Bericht geschrieben und dabei Aussetzer beim Blick auf den Bildschirm gehabt. Da sie außerdem zunehmende Schmerzen in der rechten Hand spürte, wollte sie ihren Kollegen informieren und danach zum Krankenhaus fahren.

      Inge nickt kurzzeitig ein und wacht erschrocken wieder auf. An die Fahrt zum Spital hat sie keinerlei Erinnerung. Sie weiß nur, von Clas Hinnerk auf den Innenhof begleitet worden zu sein, wo sie taumelte. Womöglich brach sie sogar zusammen, denn die Bilder setzen an dieser Stelle aus. Sollte sie sich inzwischen in einem Krankenhausbett befinden? Sie hatte die Absicht, dort … Plötzlich erinnert sie sich.

      »Genau, ich wollte meinen Finger röntgen lassen. Warum schmerzt der nicht mehr, sollte ich den Sturz nur geträumt haben?«

      Ihr Kollege könnte sie zum Hospital gebracht haben, wo sie sich auf einer Liege in der Notaufnahme befindet. Dann stammt die Helligkeit womöglich von einer starken Untersuchungslampe. Oder liegt sie bereits auf einer OP-Liege oder in einem Stationsbett? Sie hat nicht viel Erfahrung mit Situationen in Krankenhäusern. Sie ist zuletzt als Besucherin in einer Klinik gewesen. Wie war das noch? Genau! Sie hatte in Schwerin am Bett von Clas Hinnerk gesessen, dessen einbandagierter Kopf und blasses Gesicht kaum von dem weißen Laken zu unterscheiden waren. Sie seufzt.

      »… da bist ja wieder!«, ist das Nächste, was Inge Husmann vernimmt. Die Stimme kommt ihr bekannt vor.

      »Clas, bist du das? Wo bin ich?«, versucht sie zu sagen.

      Ihre Worte werden nicht gehört, so leise erklingen sie. Anstatt ihres Kollegen antwortet eine fremde Frau.

      »Sie möchten vermutlich wissen, wo sie sind. Richtig?«

      Inge beabsichtigt, mit dem Kopf nickend, die Bestätigung zu geben. Sofort spürt sie eine aufsteigende Übelkeit und einen Brechreiz. Dem will sie vor einer Fremden


Скачать книгу