Der fliegende Holländer. Фредерик Марриет
das war gewiss nicht der Fall; aber ich meinte, wenn Ihr durch die Tür schösset, könnten sie Euer Feuer erwidern und Euch beschädigen. Ich ging daher an die Seite des Fensters, streckte an einem Stock etliche Kleider meines Vaters vor, und da die Räuber auf der Lauer lagen, so machten sie augenblicklich von ihren Waffen Gebrauch.«
»Wahrhaftig, Amine, wer hätte auch so viel Muth und Besonnenheit bei einem so jungen und schönen Wesen erwartet!« rief Philipp überrascht.
»So sind also nur die von der Natur vernachlässigten Leute tapfer?« entgegnete Amine lächelnd.
»Das wollte ich nicht sagen, Amine – aber ich verliere Zeit und muss wieder nach der Tür hinunter. Gebt mir die andere Büchse und ladet diese auf's Neue.«
Philipp schlich abermals die Treppe hinunter, um zu rekonstruieren; ehe er jedoch die Tür erreicht hatte, hörte er in der Ferne die Stimme von Mynheer Poots. Amine, der die Annäherung ihres Vaters gleichfalls nicht entgangen war, befand sich im Nu an der Seite unsres Helden und hielt in jeder Hand eine geladene Pistole.
»Fürchtet nichts, Amine,« sagte Philipp, während er die Tür entriegelte; »es sind nur ihrer zwei, und Euer Vater soll gerettet werden.«
Die Tür ging auf und Philipp stürzte mit seiner Büchse hinaus; er fand Mynheer Poots zwischen den beiden Räubern auf dem Boden liegend. Einer davon hatte eben sein Messer erhoben, um es seinem Opfer in den Leib zu bohren, als eine Kugel durch seinen Schädel sauste. Der letzte Räuber wurde nun mit Philipp handgemein und es folgte ein verzweifelter Kampf, der jedoch bald dadurch entschieden wurde, dass Amine vortrat und dem Strauchdieb eine Pistolenkugel in den Leib jagte. Wir müssen hier unseren Lesern bemerken, dass Mynheer Poots auf dem Heimwege den Knall von Feuerwaffen vernahm, der aus der Richtung seiner eigenen Hütte herkam. Die Erinnerung an sein Geld und seine Tochter – denn wir müssen ihm die Gerechtigkeit widerfahren lassen, dass er sie zärtlich liebte – liehen ihm Schwingen; er vergaß, dass er ein waffenloser, schwacher, alter Mann war und dachte an nichts, als seine Wohnung zu erreichen.
Rücksichtslos und wie ein Wahnsinniger brüllend, eilte er heran und stürzte in die Arme der beiden Räuber, welche ihn ergriffen und auch ermordet haben würden, wäre nicht Philipp so gelegen zu seinem Beistand herbeigekommen.
Sobald der letzte Räuber gefallen war, machte er sich los, um Mynheer Poots zu unterstützen, den er auf seine Arme nahm, und einem Kind gleich in's Haus trug. Der alte Mann befand sich in Folge der Angst und der vorausgehenden Aufregung noch immer in einem Zustande von Delirium. Es stand einige Minuten an, ehe Mynheer Poots zusammenhängend sprechen konnte. »Meine Tochter!« – rief er – »meine Tochter! Wo ist sie?«
»Hier, Vater,« entgegnete Amine. »Gott sei Dank, ich habe keinen Schaden genommen.«
»Ach! mein Kind ist unbeschädigt,« sagte er, seine Augen weit aufreißend. »Ja, es ist ganz recht, – und mein Geld – mein Geld – wo ist mein Geld?« – fügte er auffahrend bei.
»Ganz geborgen, Vater.«
»Ganz geborgen – du sagst ganz geborgen – weißt du es auch gewiss? – Lass mich sehen.«
»Hier ist es, Vater, wie Ihr bemerken werdet – unangetastet. Dankt es einem Mann, den Ihr nicht so gut behandelt habt.«
»Wem? – Was meinst du damit? – Ach ja, ich sehe ihn jetzt – es ist Philipp Vanderdecken – er ist mir vierthalb Gulden schuldig, und dann ist auch noch die Flasche – hat er dich gerettet und mein Geld?«
»Allerdings, und zwar mit Gefährdung seines eigenen Lebens.«
»Gut, gut; ich will ihm die ganze Schuld erlassen – ja, die ganze Schuld; aber das Fläschchen – es ist ihm doch nichts nütz – das muss er mir wieder zurückgeben. Bring mir ein wenig Wasser.«
Es stand einige Zeit an, ehe der alte Mann wieder völlig zur Besinnung kam.
Philipp ließ ihn mit seiner Tochter allein und nahm ein paar geladene Pistolen, um über den Zustand der vier Räuber Gewissheit einzuholen. Der Mond hatte sich inzwischen über den Wolkensaum erhoben und strahlte in lichter Klarheit am Himmel, so dass sich in seinem Scheine Alles unterscheiden ließ. Die beiden Männer an der Türschwelle waren tot, die Andern aber; welche Mynheer Poots ergriffen hatten, noch am Leben, obschon der eine im Sterben lag, der Andere aber aus einer schweren Wunde blutete. Philipp stellte an Letzteren einige Fragen, die jedoch derselbe entweder nicht beantworten mochte, oder konnte. Unser Held nahm daher die Waffen der Räuber an sich und kehrte nach dem Hause zurück, wo er den alten Mann, der von seiner Tochter gepflegt wurde, in einer verhältnismäßigen Fassung antraf.
»Ich danke Euch, Philipp Vanderdecken – ich danke Euch sehr. Ihr habt mein liebes Kind gerettet – und mein Geld – 's ist freilich nur wenig, – sehr wenig – denn ich bin arm. Mögt Ihr lange und glücklich leben.«
Philipp versank in ein Brüten. Der Brief und sein Gelübde tauchten jetzt zum ersten Mal, seit er mit den Räubern zusammengetroffen, in seiner Erinnerung auf und ein düsterer Schatten überflog seine Züge.
»Lange und glücklich? – Nein, nein,« murmelte er mit einem unwillkürlichen Kopfschütteln.
»Und ich muss Euch gleichfalls danken,« sagte Amine, forschend in Philipps Gesicht blickend. »Oh, wie tief bin ich Euch verpflichtet! In der Tat, ich werde es nie vergessen.«
»Ja, ja, sie wird es Euch ihr Leben lang Dank wissen,« fiel ihr der alte Mann in's Wort; »aber wir sind arm, – sehr arm. Ich habe von meinem Geld gesprochen, weil ich so wenig besitze und einen Verlust nicht verschmerzen könnte. Die vierthalb Gulden braucht Ihr mir jedoch nicht zu bezahlen – diese will ich gerne verlieren, Herr Philipp.«
»Und warum auch nur diese verlieren, Mynheer Poots? Ich versprach, Euch zu bezahlen, und werde mein Wort halten. Ich habe Geld genug – Tausende von Gulden und weiß nicht, was ich damit anfangen soll.«
»Ihr – Ihr – Tausende von Gulden?« rief Poots. »Bah, Unsinn! Das macht Ihr mir nicht weiß.«
»Ich wiederhole es Euch, Amine,« sagte Philipp, »dass ich Tausende von Gulden besitze. Ihr wisst, dass ich Euch keine Lüge sagen würde.«
»Ich glaubte Euch schon, als Ihr es meinem Vater sagtet,« versetzte Amine. »Aber dann, wenn Ihr so viel habt, und da ich sogar arm bin, Herr Vanderdecken – –«
Amine legte jedoch die Hand auf ihres Vaters Lippen und der Satz wurde nicht beendigt.
»Vater,« sagte das Mädchen, »es ist Zeit, dass wir uns zurückziehen. Ihr müsst uns für diese Nacht verlassen, Philipp.«
»Nein, das will ich nicht,« versetzte Philipp, »und ebenso wenig gedenke ich mich dem Schlafe hinzugeben. Ihr beide mögt ruhig zu Bette gehen, denn es ist in der Tat hohe Zeit. Gute Nacht, Mynheer Poots. Ich will nur um eine Lampe bitten und dann Euch allein lassen. – Gute Nacht, Amine.«
»Gute Nacht,« erwiderte Amine ihre Hand ausstreckend, »und tausend, tausend Dank.«
»Tausende von Gulden!« murmelte der alte Mann, während Philipp das Zimmer verließ und hinunterging.
Fünftes Kapitel
Philipp Vanderdecken setzte sich unter die Vorhalle der Tür und strich sich das Haar aus der Stirne, welche er dem Fächeln des Windes preisgab, denn die fortgesetzte Aufregung der letzten drei Tage hatte in seinem Gehirne ein Fieber erzeugt, das ihn unruhig und verwirrt machte. Er sehnte sich nach Ruhe, wusste aber wohl, dass diese für ihn nicht vorhanden war. Finstere Ahnungen bedrängten ihn, und in der Zukunft sah er blos eine lange fortgesetzte Kette von Unglück und Gefahr selbst bis zum Tode; aber seine Seele blieb frei von Furcht. Es war ihm, als hätte erst seit drei Tagen sein Dasein begonnen, das zwar traurig, aber nicht unglücklich war. Ohne Unterlass kehrten seine Gedanken zu dem verhängnisvollen Briefe zurück, dessen seltsames Verschwinden entschieden auf einen übernatürlichen Ursprung und auf den Umstand hinzudeuten schien, dass die Botschaft nur ihm allein zugedacht