Der fliegende Holländer. Фредерик Марриет
selbstsüchtig handeln.«
»Ich will offen mit Euch reden, Philipp,« entgegnete Amine. »Ihr behauptet, mich zu lieben – ich weiß nicht, wie Männer lieben – wohl aber, wie ich lieben kann. Wenn Ihr mich jetzt verließet, so fühle ich, dass es in der Tat unfreundlich und selbstsüchtig von Eurer Seite wäre, denn ich – ich würde sterben, Philipp. Ihr sagt, dass Ihr fort müsst – dass das Schicksal dies von Euch fordere – und sprecht von Eurem geheimnisvollen Verhängnisse. Sei es drum – aber kann ich nicht mit Euch gehen?«
»Mit mir gehen, Amine? In den Tod?«
»Ja, auch in den Tod, denn was ist der Tod anders, als eine Erlösung? Den Tod fürchte ich nicht, Philipp, wohl aber Euren Verlust. Und außerdem – ist Euer Leben nicht in der Hand dessen, der Alles geschaffen hat? Woher wisst Ihr denn so gewiss, dass es in den Tod geht? Ihr habt mir angedeutet, Ihr seid erkoren – auserwählt für eine Aufgabe. Wenn dies der Fall ist, so habt Ihr den Tod nicht zu fürchten, denn der Erkorene muss bis zu Erfüllung seines Werkes leben. Ich wünschte, Euer Geheimnis zu kennen, Philipp: der Verstand eines Weibes könnte Euch wohl nützlich werden, und wenn auch nicht, würde es Euch nicht zum Troste, zur Freude gereichen, sowohl Wonne als Leid mit einem Wesen zu teilen, das Euch teuer ist?«
»Amine, teuerste Amine – nur meine Liebe, meine heiße, innige Liebe tritt mir hemmend in den Weg, denn welche Seligkeit wäre es nicht für mich, wenn wir in dieser Stunde schon vereinigt werden könnten. Ich weiß kaum, was ich sagen oder tun soll. Wenn Ihr mein Weib wäret, könnt' ich mein Geheimnis nicht vor Euch verbergen, und ebenso wenig dürfte ich Euch heiraten, bis Ihr es erfahren hättet. Nun, wohlan, Amine, ich will mein Alles auf einen Wurf setzen. Ihr sollt das Geheimnis kennen lernen und erfahren, welch ein unglücklicher Elender ich bin, obgleich nicht durch meine Schuld. Dann mögt Ihr selbst entscheiden, dürft aber dabei nicht vergessen, dass mein Eid im Himmel vernommen wurde und daher von einem Abraten keine Rede sein kann. Behaltet dies im Gedächtnis; und hört meine Geschichte. – Entschließt Ihr Euch dann, einen Mann zu heiraten, dessen Aussichten so bitter sind, so möge es darum sein. Mir wird ein kurzes Glück blühen, – aber für Euch, Amine – –«
»Zögert nicht länger mit Eurem Geheimnis, Philipp,« rief Amine ungeduldig. Philipp erzählte nun ausführlich, was wir dem Leser bereits mitgeteilt haben. Amine hörte schweigend zu, ohne im Laufe der ganzen Geschichte auch nur in einem Zuge ihres Antlitzes eine Veränderung blicken zu lassen. Philipp schloss mit einer Berührung des Eides, den er geleistet hatte. »Es ist geschehen,« fügte er mit wehmütiger Stimme bei.
»Das ist eine wunderbare Geschichte, Philipp,« versetzte Amine. »Doch hört mich an und gebt mir zuerst jene Reliquie, damit ich sie betrachte. – Kann denn wirklich so viel Kraft – ich hätte beinahe gesagt, so viel Unheil – in diesem kleinen Ding liegen? Seltsam! Verzeiht mir, Philipp – aber ich habe doch meine Bedenken über diese Mähr von Eblis. Ihr wisst, ich bin noch nicht stark in dem neuen Glauben, den Ihr und der gute Priester mich in der letzten Zeit gelehrt habt. Ich will die Wahrheit desselben nicht in Abrede ziehen, muss aber doch mit Nachsicht behandelt werden, wenn ich noch nicht so festen Fuß gefasst habe, um nicht zu wanken. Nehmen wir übrigens an, Philipp, dass Alles wahr ist – in diesem Falle würdet Ihr auch ohne Eid nur Eure Pflicht tun. Denkt nicht so niedrig von Aminen, um von ihr zu vermuten, dass sie Euch von dem Rechten abwendig machen wolle. Nein, Philipp, sucht Euren Vater und rettet ihn, wenn Ihr könnt und er Eurer Hülfe bedarf. Aber glaubt Ihr, eine so hohe Aufgabe lasse sich in einem einzigen Versuche vollführen? O nein. Seid Ihr wirklich erkoren, sie zu erfüllen, so werdet Ihr durch alle Schwierigkeiten und Gefahren bewahrt bleiben, bis Ihr das Ziel errungen habt. Ihr werdet nicht sterben, sondern wieder und wieder zurückkehren – werdet Trost, Beruhigung und Liebe in den Armen Eures Weibes finden. Und wenn es dem Himmel gefällt, Euch aus dieser Welt abzurufen, so wird sie, falls sie Euch überleben sollte, Euer Andenken ebenso teuer in ihrem Busen bewahren. Philipp, Ihr habt mir die Entscheidung anheim gegeben – teuerster Philipp, ich bin die Deinige.«
Amine streckte ihre Arme aus und Philipp drückte sie an seine Brust. Noch am nämlichen Abend warb er um sie bei dem Vater; und Mynheer Poots gab seine Einwilligung, sobald der Freier seine Eisentruhe geöffnet und die Gulden vorgezeigt hatte.
Pater Seyser erschien am andern Morgen wieder und erhielt die entsprechende Antwort. Drei Tage nachher läuteten die kleinen Glocken der Kirche von Terneuse lustig zu der Hochzeitsfeier von Amine Poots und Philipp Vanderdecken.
Siebentes Kapitel
Erst im Spätherbst wurde Philipp durch eine Aufforderung von Seiten des Kapitäns, auf dessen Schiffe er sich hatte anwerben lassen, aus seinem Liebestraume geweckt – denn was sind leider alle Freuden dieses Lebens anders, als ein Traum? So seltsam es auch erscheinen mag – von dem Tage an, der Philipp in Aminens Besitz setzte, hatte er nicht länger über sein zukünftiges Geschick gebrütet, das zwar hin und wieder in seiner Erinnerung auftauchte, aber ebenso schnell wieder daraus entweichen musste, um vorderhand vergessen zu bleiben. Philipp meinte, es sei hinreichend, seine Verbindlichkeiten zu erfüllen, wenn die Zeit käme, und obgleich die Stunden im Fluge entschwanden, und Tage, Wochen und Monate mit der einem wandellos ruhigen Glücke eigentümlichen Schnelligkeit auf einander folgten, so mochte er doch in Aminens Armen nie an sein Gelübde zurückdenken, während natürlich seine junge Gattin sorgfältig bemüht war, einen Gegenstand zu vermeiden, der nur die Stirne ihres angebeteten Gemahls mit düsteren Wolken umziehen konnte. Ein paarmal hatte der alte Poots allerdings von Philipps Abreise zu sprechen angefangen, aber Aminens unwilliges Stirnrunzeln und ihr gebieterischer Befehl – denn sie kannte nur zu gut die schmutzigen Beweggründe ihres Vaters, und konnte ihn zu solchen Zeiten nicht ohne Abscheu ansehen – machten ihn verstummen. Der alte Mann pflegte dann ganze Stunden damit zu verbringen, dass er in dem Besuchszimmer auf- und abging und seine Augen auf die Schränke heftete, wo die silbernen Gefäße jetzt in ihrem ganzen früheren Glanze strahlten.
Eines Morgens, im Monat Oktober, ließ sich ein Pochen mit den Faustknöcheln an der Haustür vernehmen. Da diese Einleitung auf einen Fremden hindeutete, so ging Amine hinaus, um zu öffnen.
»Ich möchte mit Herrn Philipp Vanderdecken sprechen,« sagte der Fremde mit halbflüsternder Stimme.
Der Mann, der Amine also anredete, war eine kleine, magere Person, in dem Anzuge der holländischen Matrosen jener Zeit, und hatte eine Dachsmütze tief in den Kopf gedrückt. Die Züge seines leichenblassen, kleinen Gesichtes waren scharf geschnitten, seine Lippen bleich und sein Haar ein Gemisch von Rot und Weiß. Er hatte nur sehr wenig Bart, und der ganze Mann bot eine Außenseite, die nur schwer über sein Alter ein Urteil fällen ließ. Vielleicht war er ein siecher Jüngling, der früh zum Greise heranreifte, vielleicht auch ein alter Mann von frischer Konstitution, aber wenig Fleisch. Der wichtigste Zug in dem Äußern dieses Menschen, der auch sogleich Aminen's Aufmerksamkeit fesselte, war das Auge – denn er hatte nur ein einziges, das rechte Lid war geschlossen und der Augapfel im Innern sichtlich geschwunden; das linke Auge besaß aber in Vergleichung mit der Größe des Gesichtes und des Kopfes ganz ungewöhnliche Dimensionen – es stand weit hervor, war durchscheinend, wässerig und bot einen sehr unangenehmen Anblick, da es weder oben noch unten mit Wimpern versehen war. Überhaupt war dieser Gesichtsteil so merkwürdig, dass man, wenn man den Mann ansah, den Blick nicht davon verwenden konnte. Es war hier nicht von einem Menschen mit einem einzigen Auge die Rede, sondern man sah ein einziges Auge, mit einem Menschen daran. Der Körper war nur das Gemäuer des Leuchtturms und erregte ebenso wenig Aufmerksamkeit, als dieses in Vergleichung mit der Flamme, welche dem kühnen Matrosen zur Richtschnur dienen soll. Bei näherer Betrachtung fand man übrigens, dass der Mann, obgleich klein, doch zierlich gebaut war; seine Hände hatten weder die Derbheit, noch die Färbung, welche man sonst bei den Seeleuten trifft; seine Züge waren im Allgemeinen trotz ihres scharfen Schnittes regelmäßig, und auch in seinem unterwürfigen Wesen lag ein Ausdruck von Überlegenheit, ein gewisses unbeschreibliches Etwas, das fast Grauen einzuflößen vermochte.
Aminens dunkle Augen hafteten für einen Moment auf dem Besucher, und als sie ihn eintreten hieß, drang es ihr eiskalt durch's Herz, ohne dass sie sich hätte einen Grund dafür angeben können.
Philipp war nicht wenig