Genesis VI. Alfred Broi
schnelle Schritte und erhob sich schließlich kraftvoll in die Luft. Umuras folgte ihm mit dem zweiten Tier dichtauf. Zunächst ging ihr Flug steil nach oben, dass alle schon Angst hatten, sie würden gegen das Höhlendach krachen, doch die Elay beendeten rechtzeitig ihren Steigflug und flogen mit ausgebreiteten Flügeln eine ausgedehnte Schleife, bevor sie wieder ziemlich steil zu Boden rasten, wo sie knapp über den Köpfen der Menschen in Richtung Trichter flogen, über den sie direkt an die Oberfläche Santaras gelangen würden.
V
Lobos hatte die Führung übernommen und Mavis und die anderen waren ihm gefolgt, gespannt auf das, was er ihnen zeigen würde.
Der Gedanke, die Vorstellung, dass die Kamarulu an jenem unheilvollen Tag, als die ihnen allen bekannte Welt mit der Invasion der Fremden buchstäblich im Chaos versunken war, nicht zerstört worden sein sollte, war einfach…unglaublich – und deshalb so schwer vorstellbar, dass Mavis beinahe Angst verspürte, wenn er es versuchte.
Denn natürlich konnte er nicht verhindern, dass seine Gedanken bereits einen Schritt weiter hetzten: Wenn die Kamarulu nicht zerstört worden war, könnte sie dann womöglich sogar noch so intakt sein, dass man sie…?
Stopp! Mavis musste sich mit aller Macht zwingen, seine Gedanken nicht weiter zu formulieren.
Mittlerweile hatten sie die Höhle verlassen und waren noch tiefer in das Labyrinth aus Stollen vorgedrungen. Dabei schwoll das Brummen, dass anfangs nur unterschwellig zu vernehmen war, sehr schnell weiter an. Außerdem spürte er immer deutlicher eine Erschütterung des Bodens. Auch wurde die Luft zunehmend kälter.
Damit war klar, wo sie sich befanden. „Wir nähern uns den Wasserfällen!?“ sagte Mavis dann auch und schaute Lobos direkt an.
Der Admiral nickte mit einem Lächeln. „Und es wird gleich noch sehr viel lauter werden!“ Er blickte auch die anderen an, die ihm ebenfalls zuhörten. „Folgen sie mir einfach, bis wir auf der anderen Seite sind! Dort können wir dann reden! Okay?“ Er wartete, bis alle ihm zunickten, dann wandte er sich an zwei seiner Männer im Hintergrund und nickte ihnen zu. „Okay!“
Eigentlich war Mavis davon ausgegangen, dass sie jetzt durch einen weiteren Durchgang an der rechten Seite gehen würden, der sie zur Kamarulu führte.
Er war daher überrascht, dass die beiden Männer an die linke Wandseite traten und einer von ihnen mit der rechten Hand in eine kleine, unscheinbare Felsnische langte, in der sich ein natürlicher Griff aus Felsgestein befand, um den er jetzt seine Finger legte und daran zog. Er brauchte einiges an Kraft und stemmte seinen linken Arm gegen die Felswand, dann aber löste sich ein kreisrundes Stück Felsen mit einem Durchmesser von rund dreißig Zentimetern aus der Wand. Der Mann zog es etwa einen halben Meter heraus, dann ließ er davon ab. Während der andere Mann ihm einen von zwei Holzstäben in Unterarmlänge reichte – den anderen behielt er selbst -, konnte Mavis die Apparatur jetzt besser erkennen. Es handelte sich um zwei kreisrunde Steinplatten gleicher Größe. Die eine war die, in der der Griff eingearbeitet und die unscheinbar in der Felswand versenkt gewesen war, die andere befand sich in gleicher Position parallel dazu etwa zehn Zentimeter hinter ihr. Verbunden waren beide durch ein armdickes, vierkantiges Eisenrohr, das waagerecht aus der Wand ragte und jeweils durch ihre Mitte verlief. Zusätzlich gab es gut ein Dutzend daumendicke Holzpflöcke, die beide Felsplatten in Abständen verteilt an den Rändern zusammenhielten und – wie Mavis jetzt sehen konnte - den Holzstäben, die die beiden Männer nun in die Zwischenräume einführten, als Befestigung dienten. Am Ende gelang es den Männern damit, die Steinplatten und somit das Eisenrohr zu drehen, woraufhin ein dumpfer Mechanismus in Gang gesetzt wurde, der letztlich dazu führte, dass eine Felsplatte, von der rechteckigen Form einer großen Tür aus er Stirnwand zur Seite gezogen wurde.
Daraufhin erschien dahinter ein weiterer schmaler Gang aus Felsgestein und von der ersten Sekunde an, da die Verbindung zu ihm hergestellt worden war, wurde das Rauschen von Wasser immer lauter. Innerhalb von zwei Sekunden war es zu einem mächtigen Dröhnen angeschwollen, wie es nur die gewaltigen Massen eines riesigen Wasserfalls zu erzeugen im Stande sind.
Dann war der Durchgang komplett geöffnet und die beiden Männer hielten inne. Lobos nickte ihnen zu, setzte sich in Richtung Gang in Bewegung und deutete Mavis und den anderen an, ihm zu folgen.
Sie hatten kaum ihren ersten Schritt in den Gang hineingemacht, da schlug ihnen kalte, feuchte Luft entgegen, die beständig in Böen in Bewegung war und sich wie ein klammes Leichentuch auf ihre Haut und ihre Kleidung legte. Decke, Wände und auch der Boden waren feucht und etwas rutschig, sodass sie ihre Schritte sorgsam wählten, zumal die Feuchtigkeit Dunstschleier bildete, die die Sicht beeinträchtigten. Zusätzlich verstärkte sich das Dröhnen des rauschenden Wassers in dem engen Gang noch und wurde zu einem Brüllen in ziemlich hoher Tonlage.
Mavis konzentrierte sich darauf, dicht hinter Lobos zu bleiben und gleichzeitig dafür zu sorgen, dass er Melia nicht verlor. Er hatte zu diesem Zweck ihre Hand genommen, doch spürte er keinen Gegendruck, als wäre es ihr egal, ob er sie hielt oder nicht, was ihn weiter verunsicherte, da er ja bereits zuvor das Gefühl gehabt hatte, dass etwas mit ihr nicht stimmte.
Nach etwa zehn Metern weitete sich der Gang, das Brüllen ließ nach und wurde wieder zu dem mächtigen Rauschen von sehr viel Wasser, das alle weiteren Geräusche einfach verschluckte.
Plötzlich drehte sich Lobos zu ihnen um und deutete mit der rechten Hand zu Boden, wo Mavis einen kleinen Absatz im Boden erkennen konnte. Irgendetwas Metallisches lag auf dem Felsen und überdeckte ihn vollständig. Als er den ersten Schritt darauf gemacht hatte, spürte er wie die Erschütterungen durch das Wasser deutlicher wurden.
Nur wenige Schritte später hatten sie das Ende des Ganges erreicht und ein Schwall dichterer Dunst umfing sie. Lobos ging weiter, die anderen folgten ihm. Nach wie vor bewegten sie sich auf dem metallischen Untergrund. Dann hatten sie den Dunstschleier durchbrochen und die Umgebung wurde heller. Mavis erkannte schnell, warum, denn sie befanden sich jetzt in einer Art Tunnel, deren Wände und Decke teilweise aus Plexiglas, teilweise aus Stahlplatten bestanden. Sie waren auf verschiedene Weise miteinander verbunden – genietet, einige sogar geschweißt, andere einfach nur überlappend zusammengestellt – konnten aber keinen in sich geschlossenen Raum bilden. Überall gab es Spalten und Risse, durch die beständig Wasser rann und Wände und den Boden nässte. Hier und da waren sogar Lücken in der Tunnelhaut. Dort klang das Rauschen heller und es war deutlich das Wasser zu sehen, dass mit hoher Geschwindigkeit herabschoss und eine weißgraue, undurchdringliche Wand bildete.
Je weiter sie gingen, desto dumpfer klang das Dröhnen. Dort, wo sich an der halbrunden Decke Plexiglas befand, konnte man sehen, wie das Wasser auftraf und die enorme Wucht, die es besaß, erahnen.
Nachdem sie rund dreißig Meter zurückgelegt hatten, wurde das Trommeln auf dem Dach allmählich leiser und hörte sich mehr wie ein starker Regenguss an. Als sie wieder an einer Lücke in der Tunnelwand vorbeikamen, bildete das Wasser keine undurchdringliche Wand mehr, sondern sie konnten hindurch in ein grauschwarzes Nichts blicken, in dem sich bei genauerem Hinsehen einige regelmäßige Konturen erkennen ließen, die metallisch glänzten.
Sie gingen weiter und aus dem starken Regenguss wurde nur noch ein leichter Sommerregen. Jetzt konnten sie auch durch die Plexiglasplatten in der Decke hinaus nach oben sehen und dort so etwas wie eine gewaltige Fassade erkennen, die metallisch glänzte, jedoch noch immer nur unscharfe Konturen offenbarte. Bei ihrem Anblick jedoch schlug Mavis Herz höher, da er wusste, was diese Fassade darstellte. Ein kurzer Blick zurück zeigte ihm, dass auch Vilo, Cosco und Tibak so dachten. Er schaute auch Melia an, doch die schien aufmerksam nach draußen zu sehen und reagierte nicht auf ihn. Am Ende ihrer Gruppe konnte er dafür Leira erkennen. Das monströse, aber unglaublich gutherzige Bärenwesen füllte den kompletten Gang aus und wirkte nicht sonderlich erfreut über die enge Umgebung, was Mavis zu einem kurzen Lächeln veranlasste, welches sie jedoch eher säuerlich erwiderte.
Als Mavis sich dann wieder nach vorn wandte, konnte er am Ende des Tunnels ein wenig Helligkeit erkennen, die mit weiteren Schritten noch etwas stärker wurde.
Dann endlich hatten sie das Ende erreicht.