Der Weg nach Afrika. Helmut Lauschke

Der Weg nach Afrika - Helmut Lauschke


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einer solchen Gemeinschaft die unbezwingbare Kraft erwuchs, mit der das Ziel zu erreichen war.

      Die Koevoet machte weiter ihre nächtlichen Razzien im Hospital und nahm auf die Patienten keine Rücksicht. Es kam immer wieder vor, dass sie die Schlafenden auf dem Betonboden vor der Rezeption aus dem Schlaf scheuchte, die sich ausweisen mussten, und Männer schlug und in die 'Casspirs' warf, die sich nicht ausweisen konnten. Der Superintendent mit der Knolle auf der Nase und den Schlaffalten im Gesicht, der hemdsärmelig von seinem grossen Schreibtisch mit der leeren, matt polierten Tischplatte aus die Morgenbesprechungen führte und einmal mit kreideweissem Gesicht aus der Besprechung wegrannte, beim Fallen vor der Tür von Dr. Ferdinand noch aufgehalten wurde, um sich auf der Toilette auszukotzen, weil er am Abend vorher vom Kommandeur zum Abendessen eingeladen war, wo er sich die Augen rot getrunken hatte, und der Frage, wo denn der Mensch hingekommen sei, als das rüde Verhalten der Koevoet angesprochen wurde, schlichtweg aus dem Weg lief und sich auf der Toilette für den Rest der Besprechung eingeschlossen hatte, dieser Superintendent sass weiterhin hemdsärmelig hinter dem Schreibtisch, auch wenn seine Hemdsärmeligkeit eine Attrappe war, die nichts bewirkte. Er ging weiterhin unangenehmen Fragen aus dem Weg, indem er sich im entscheidenden Moment das Taschentuch aus der Hosentasche zerrte, es sich vors Gesicht hielt und kräftig und solange hinein schnäuzte, bis sich das Momentum des Antwortgebens verzogen hatte, wobei er das rechte Brillenglas gleich mit zudeckte, wenn er die Brille nicht rechtzeitig abnahm, weil es zu eilig war. Da mutete ihm als Einäugiger aber auch keiner eine Antwort zu. Er war nicht dumm, und so zog er es vor, sich mit dem Taschentuch hinter dem Clownsgesicht zu verstecken, wenn es um ernste Dinge ging und eine Antwort wirklich erwartet werden musste. Der Toilettenlauf gegen die Zeit mit ihren Problemen blieb sein einsamer Höhepunkt.

      Zeichen der Zuspitzung der Lage

      Die jungen Kollegen in Uniform, die ihre Dienstzeit abgeleistet hatten, wurden nicht mehr durch neue ersetzt. Das war ein deutliches Omen der zugespitzten Situation, wo sich noch die Frage ergab, wann sich die letzte Spitze abgespitzt hatte, oder noch vorher abbrach, was politisch und militärisch dem Ende gleichkommen musste. Es gab neue Gesichter im Besprechungsraum, Gesichter der asiatischem Prägung, wenn auch nicht so schlitzäugig wie ein japanisches, chinesisches oder mongolisches Gesicht. Es waren Philippinos, die aus Südafrika kamen und gleich ihre Frauen und Kinder mitbrachten. Zu erklären war das Kommen dieser kurz gewachsenen Bleichgesichter mit den kubischen Köpfen und sanften Gesichtszügen zu diesem Zeitpunkt eigentlich nicht und noch weniger, dass sie gleich die Familien mitbrachten. War es ihnen in ihrer Heimat, oder als Emigranten in Südafrika so schlecht ergangen, dass sie hier das Paradies fanden oder zu finden glaubten, wo der Krieg erbarmungslos tobte, fragte sich Dr. Ferdinand. Er musste sich Zeit lassen, um eine plausible Antwort darauf zu finden. Ein asiatisches Gesicht gab ihm von jeher Rätsel auf, weil er es nicht lesen konnte und nie wusste, ob ein Lächeln wirklich ein Lächeln war, oder ob sich das Gegenteil dahinter verbarg. Er wusste nur soviel, dass das asiatische Gesicht asiatische Dimensionen des zweigesichtigen Januskopfes hatte, das mit Vorsicht gesehen werden musste. Zu diesem Gesicht passte der Würfelkopf dazu, der von vorn und hinten und von den Seiten betrachtet werden konnte, ohne dass das Gesicht das asiatische Lächeln verlor.

      Es war schon etwas Unglaubliches, in solche Gesichter zu blicken, in die sich die Ereignisse unweit der angolanischen Grenze nicht einzudrücken schienen, wo doch die letzte Entscheidungsschlacht, bei der soviel auf dem Spiele stand, bereits in vollem Gange war. Das sagte jedenfalls der südafrikanische Brigadier, der vom Pulverfass sprach, auf dem die Weissen sässen, das jederzeit hochgehen kann. Gehörten die Philippinos nicht auch auf dieses Fass?, fragte sich Dr. Ferdinand, oder waren sie rassenmässig von diesem Fasssitzen ausgeschlossen? Er wusste es nicht, erfuhr aber schon nach zwei Wochen, dass ihnen Häuser im Dorfe, das durch das Warnschild "For Whites Only" gekennzeichnet war, von der Administration zugewiesen wurden. Dr. Ferdinand kam beim Sehen und Denken nicht um den biogenetischen wie burisch politischen Januskopf herum. Die Philippinos waren älter und schon im Alter, dass sie von Enkelkindern sprachen und pensionsberechtigt waren, denen das offensichtlich nicht genügte, oder ihnen das Recht des Alters nicht vergütet und ausgezahlt wurde, weil das korrupte System im Heimatland ihnen das Pensionsgeld gekürzt oder weggefressen hatte. Es musste etwas mit dem Geld zu tun haben, warum nun diese asiatischen Gesichter mit der spanisch überstrichenen Tradition und dem katholischen Glauben hier auftauchten, davon war er überzeugt. Die Philippinos waren 'practitioners', also keine Fachärzte, die an den ländlich abgelegenen Hospitälern der herabgesetzten Qualifikation für die Farbigen und Schwarzen vorwiegend in der Natalprovinz, im Osten Südafrikas, gearbeitet hatten, wo die Überfälle der Zulus an den Weissen dramatisch zugenommen hatten, sie beraubten und töteten, weil auch dort die Eingeborenen sich gegen die Weissen auflehnten und sich auf traditionelle Weise mit Stöcken und Spiessen für die schwarze Armut am weissen Reichtum rächten. Dr. Ferdinand traute den Philippinos, weil sie eben Asiaten waren, die sich über dreihundert Jahre die europäische Verformung mit dem besonderen Sinn fürs Geld aufsetzen liessen, den asiatischen Riecher für die Zukunft in mehr Sicherheit und den westlich verdrehten Verstand zur klaren Berechnung gleichermassen zu, die sich in Noten und Münzen auch in der Fremdwährung auszahlen musste. Er nahm deshalb diese lächelnden Janusgesichter als weiteres Omen für das nahende Ende, die das Schicksal vorletztlich vom indischen Ozean bis vor die angolanische Grenze hoch gewürfelt hatte. Die neuen Kollegen wurden der inneren Medizin mit den Tuberkulosesälen, der Kinderheilkunde und dem 'Outpatient department' zugewiesen. dass es für die operativen Fächer keinen Ersatz für jene Kollegen in Uniform gab, die nach Dienstableistung nach Südafrika zurückgekehrt waren und nicht mehr ersetzt wurden. Ein Gutes hatte es, dass unter denen, die das Hospital verlassen hatten, auch der 'Leutnant des Teufels' war, dem ein ärztlicher Teamgeist von Anfang an zuwider war, weil er die Zerstörung im Kopf hatte, an der ihm bis zum Schluss mehr gelegen war und sie hinterhältig und mit List betrieb, als sich um seine Patienten zu kümmern.

      Für Dr. Ferdinand bedeutete es mehr Arbeit, weil die Kollegen in der Chirurgie noch unerfahren waren. Es bedeutete gleichzeitig mehr Seelenfrieden, weil ihm keiner mehr mit böser Absicht hinterherstieg. Er freute sich, dass er den jungen Kollegen in der Orthopädie hatte, der sich anstrengte, sich geschickt beim Assistieren und beim Durchführen kleinerer Operationen anstellte und bei den Patienten und Schwestern aufgrund seiner Freundlichkeit beliebt war. Auch hatte er es als Schriftsteller mit seinem Buch weitergebracht, wo er das Leben des jungen Ehepaars in dem kleinen Dorf an der Palliser Bucht doch nicht so schwer machte. Der junge Ehemann in Wellington hatte eine Arbeit als Mechaniker in einer Autowerkstatt gefunden, und seine hübsche junge Frau war im vierten Monat schwanger, die von den Dorfbewohnern neugierig angeblickt, nun aber auch freundlich gegrüsst wurde. Der junge Pastor, der ihnen den anglikanischen Ehesegen gab, hatte sich gegen die Gemeindeglieder durchgesetzt und der schwarzen Ehefrau den Zugang zum sonntäglichen Gottesdienst erwirkt. So war der Unterschied zum burisch verquerten, anachronistischen System der Rassentrennung in Südafrika doch erkennbar.

      Die Sonnenauf- und -untergänge waren feurig wie eh und je. Die Sicherheitsvorkehrungen im Dorfe sind drastisch verschärft worden. So wurde es den Weissen unter Strafe untersagt, die schwarze 'Memme' (Putz- und Bügelfrau) oder irgendeinen Schwarzen über Nacht im Hause schlafen zu lassen. Die Weissen machten sich Sorgen, was kommen würde, und die Angst hatte sich auf ihre Augen geschlagen. Keiner traute der Zukunft noch recht über den Weg, zu verfahren war die politische Kiste. So verwunderte es nicht, dass sich die Gesichtszüge in Richtung einer Selbstrettung vergröberten nach dem Motto: 'Rette sich, wer kann!' Es war Samstagnachmittag. Dr. Ferdinand setzte sich in den blauen Käfer und fuhr zum Postamt, um nach seiner Postbox 1416 zu sehen, die leer war. Er stieg wieder ein und setzte die Fahrt zum Dorfausgang bis zur Sperrschranke fort, wo die doppelte MG-Stellung auf dem Dach des wiederhergestellten Wasserturms war, die von einem Ring fünffach übereinander geschichteter Sandsäcke eingefasst und gut getarnt war. Dr. Ferdinand zeigte sein 'Permit', konnte sitzen bleiben, als zwei Wachhabende in den leeren Innenraum sahen, der eine von rechts, der andere von links, Motorhaube und Kofferraumdeckel hochhoben und wieder fallen liessen, ohne das Reserverad anzuheben, und die Schranke zur Weiterfahrt hochstellten. Der Versuch, die tiefen Schlaglöcher über die folgenden zweihundert Meter bis zur 'T'-Kreuzung der Teerstrasse, jener strategisch bedeutsamen Ostwestverbindung, zu umfahren, glückte


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