Der Weg nach Afrika. Helmut Lauschke

Der Weg nach Afrika - Helmut Lauschke


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war wie der Blitz, und sein Kleid war weiss wie Schnee, und die Grabhüter erschraken mit Furcht. Markus berichtet von Spezereien, die Maria Magdalena und Maria, die Mutter Jakobs, und Salome nach Ablauf des Sabbats kauften, um den Herrn zu salben. Sie fanden das Grab offen und leer und konnten es nicht erklären. Sie gingen ins Grab und entsetzten sich, als sie einen Jüngling im langen, weissen Kleid drinnen sitzen sahen. Lukas berichtet von den Spezereien und von dem Stein, der vom Grab abgewälzt war, und von zwei Männern mit glänzenden Kleidern, die die Erschrockenen fragen, warum sie den Lebendigen bei den Toten suchen. Johannes spricht von Maria Magdalena, die zum Grab kam, als es noch finster war, und den Stein vom Grabe weggenommen fand. Maria weinte und schaute ins Grab, sah dort zwei Engel sitzen und fragte sie nach dem Leichnam Jesu, als der hinter ihr stand, und sie erkannte ihn an seiner Sprache. Dr. Ferdinand ging den Stationen des Kreuzweges nach und sah vor sich die Männer und Frauen in den zerlumpten, blauweiss gestreiften Jacken und Hosen mit den geschorenen Köpfen, die in Schuhresten und umgebundenen Lappen abgemagert und apathisch durch den Schnee schlurften und an Stöcken hinkten, um den Tod durch Genickschuss wenig später zu bekommen. Was haben die Menschen vom Kreuz gelernt, fragte er sich und konnte sich keine Antwort geben. Das Töten war zum Gewerbe geworden, das professionell getrieben wird, weil es so noch einträglicher ist. In den Türmen der Ministerien und Verwaltungen mit dem pyramidalen Organogramm sassen die Tötungsspezialisten in der vorletzt höchsten Etage, wenn nicht ganz oben. Mit dem guten Fensterblick übersahen und hantierten sie durch Befehle und Erlasse die riesige Tötungsmaschine mit der grossen Walze, bei der es an Sprit und Wartung nicht fehlte, und massen die Effizienz an der Anhäufung von Reichtum und Macht. Den Begriff der Auferstehung wollen sie sich nicht machen, das begreifen sie nicht, weil sie das nicht interessiert. Der Kreuzestod sollte der Menschheit dienen, und die nahm es nicht zur Kenntnis, bediente sich stattdessen der Pyramiden der Menschenverachtung und immer mehr ihrer Fensterblicke, je höher und professioneller ihr unmenschliches Gewerbe wurde.

      Wieder kündigten die Hähne die frohe Botschaft des Tages an. Sie krähten sie kräftig hinaus. Dr. Ferdinand nahm das Krähen zum Anlass, über 'das neue Leben' im Römerbrief zu lesen, was Paulus da zu sagen hatte: "Wir sind durch die Taufe mit ihm begraben in den Tod, damit, gleichwie Christus durch die Herrlichkeit des Vaters von den Toten auferweckt wurde, auch wir in einem neuen Leben wandeln sollen. Denn wenn wir durch die Taufe in ihn eingepflanzt sind, den gleichen Tod zu sterben, dann werden wir ihm auch in der Auferstehung gleich sein." Was für ein glaubensstarker Mensch Paulus war, dass er so etwas sagen konnte. Verdient hatte es die Menschheit nicht, weil sie sich am Bösen verdiente. Das wusste der kämpferische Paulus auch, trotzdem machte er den Menschen Mut, besonders denen, die unter der Gewalt und Rechtlosigkeit litten und keinen Ausweg mehr sahen. Dr. Ferdinand hatte sich die Zeilen eingeprägt und stieg unter die Brause, als das Glöckchen die Burengemeinde zum Ostergottesdienst zusammenbimmelte. Er dachte sich beim Haarewaschen, dass der Schritt zum Guten nur über den Neuanfang getan, das neue Leben nur im neuen Menschen begonnen werden kann. Der Mensch musste stark genug werden, um das Alte und Verdorbene abzustreifen, sich charakterlich zu häuten und den faulen Kern aus sich herauszuschneiden. Wenn er es nur machen würde! Dabei schlug er sich kräftig gegen die eigene Brust. Er legte die Pappe unter ein Blatt Papier und schrieb ein Ostergedicht an einen Menschen, dessen Name und Adresse er nicht kannte:

      Ostern an der Grenze, weil es an der Grenze ist, wo ich sitz und schreibe.

      Bist du durchs Kreuz gegangen, das da in der Nacht im Süden stand und hast die Grenze überschritten, die durch Minenfelder gesichert ist?

      Es ist am Ende der Welt, wo ich sitze und überlege am Ende jener Welt, wo die Grenze das Kleine versiebt, aus dem dann die Wüste wächst, Knochen und Steine verstösst. die nicht durch's Siebloch passen.

      Wenn es noch den Geist an der Grenze gibt, dann soll er das Gute vom Bösen trennen, bevor sich beides in Lagen verschichtet, damit es Ausgrabungen später leichter haben.

      Wenn ich's genauer besehe, was in der Nacht passierte und grenznah unbegreiflich ist, weil dort geschossen und getötet wurde, dann verschlägt es mir die Sprache, denn auf beiden Seiten stehn und liegen sie, die Menschen, als ob sie noch was sagten.

      Was an die Grenze kommt, in Worte ist es nicht zu fassen, dann stehst du hinter mir und sagst, ich solle mich nicht fürchten, weil es anders kommen wird als ich es denk und schreibe.

      Wenn es so ist, dass das Gute kommt, dann muss doch das andere erst gehn, was sonst soll es mit der Grenze, wo sie auf beiden Seiten standen im guten Glauben und der wenigen Habe, dass sich körnig dann versanden, wo sie in Lagen sich verschichten, in die die Zeit sie dann vergräbt mitsamt dem Schmerz und der Geschichte, die gefüllt ist von Versuchen bis zu den tiefsten Schichten, es besser zu machen, um besser zu leben, zu wollen, was sie nicht schafften, weil ihnen der Atem dazu verwehte.

      Verstumpft sind die guten Ansätze, die letzten Stümpfe noch zu sehn, der Wind wird auch sie verdecken, noch bevor der zweite Tag beginnt.

      Es ist Ostern an der Grenze, wo es kein Wiedersehen gibt, und der Abschied lautlos endet.

      Mach du den Anfang neu, lass ihn nicht stehn und dann versanden, solange der Mensch sich noch bemüht. Füll ihm neues Leben ein, füll ihm Freude ins Gefäss des Schmerzes, in den er bis zum Hals versank.

      Mach aus dem Kreuz das neue Leben, stell es wie die Rose hoch ins Fenster, dass es der Wind nicht knickt, und die Wüste es nicht verschichtet und verschluckt.

      Ostergottesdienst der heimischen Gemeinde

      Der Kugelschreiber wollte es nicht fertig schreiben, so nahm er für die letzten drei Zeilen den Bleistift. Dr. Ferdinand hatte sich vorgenommen, den Gottesdienst zum Osterfest in einer schwarzen Gemeinde zu erleben. Er wollte wissen, wie sie, die lutherisch-evangelisch waren, das hohe Fest feierten. Er hatte sich ein weisses Hemd mit langen Ärmeln und eine dunkle Hose angezogen, setzte sich ins Auto, passierte die Schranke am Dorfausgang nach der üblichen Kontrolle. Er fuhr geradeaus bis zur Teerstrasse und liess das eingezäunte Gelände des Hospitals links liegen. Auf der Teerstrasse drehte er nach rechts, überquerte das nur wenig Wasser führende Flussbett des Cuvelai auf der wieder aufgebauten Brücke, die vor über einem Jahr in die Luft gesprengt und nun von einem Soldaten mit geschultertem Gewehr bewacht wurde, bog nach weiteren zwei Kilometern von der Teerstrasse nach links ab in einen kurvenreichen, schmalen Sandweg, auf dem der Sand zwischen den tief eingefahrenen Reifenspuren aufgeworfen war, dass es unter dem Bodenblech kratzte. Der Weg führte an grossen alten Bäumen und gemauerten, kleinen Häusern vorbei, die einst von den finnischen Missionaren bewohnt wurden, von deren Wänden der Putz fiel, weil seit langen Zeiten an den Häusern nichts mehr getan wurde. Er erreichte die fast einhundert Jahre alte, finnische Holzkirche mit dem kurzen, verbalkten Glockenstuhl über dem Kircheingang, die von grossen, alten Bäumen umgeben war, wo sich vor dem Eingang die Menschen mit ihren Kindern eingefunden hatten und miteinander sprachen. Sie waren festlich und bunt gekleidet und hielten Kinder an einer und das Gesangbuch in der anderen Hand. Frieden lag auf den von Sorgen gefalteten Gesichtern. Sie grüssten freundlich das weisse Gesicht, das wiederum einige der schwarzen Gesichter erkannte, die zuvor im Untersuchungsraum 4 vor ihm gesessen hatten. Sie sprachen miteinander in ihrer Sprache, wo vom Afrikaans der Buren nur dann zu hören war, wenn einige Männer und Frauen es gebrauchten, um Dr. Ferdinand ein gesegnetes Ostern zu wünschen. Ihre Augen waren offen, wenn sie ihm ins Gesicht sahen, weil sie wussten, dass er ein Deutscher aus Deutschland war, der mit dem Rassenzirkus nichts zu tun hatte. Er dankte für die freundliche Begrüssung und trat dann wieder zurück, um die Menschen in ihren Gesprächen, die viel zu denken und sich viel zu sagen hatten, nicht zu stören.

      Die kleine Glocke über dem Eingang läutete, deren sanfte Schläge sich in den Baumkronen verfingen, und lud die Gemeinde zum Gottesdienst ein. Die Menschen betraten den Kirchenraum gefasst und erwartungsvoll, die Jüngeren liessen den Älteren den Vortritt, die die vorderen Bänke einnahmen. Der nicht mehr junge Pastor im schwarzen Talar mit der weissen Halskrause stand vor dem matt lackierten, braunen Holzkreuz und begrüsste die eintretende Gemeinde durch freundliches Zunicken in die Gesichter, die sich kannten. Dr. Ferdinand kannte er nicht, dennoch schenkte er ihm einen lächelnden Willkommensgruss, weil es die Botschaft so wollte. Er setzte sich


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