Der Weg nach Afrika. Helmut Lauschke

Der Weg nach Afrika - Helmut Lauschke


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oder chinesisch machen, dass man sich ihrer nicht erwehren kann. Erst, wenn nichts mehr zu holen ist, dann werden sie die ersten sein, die das sinkende Schiff verlassen, weil sie mit den dicken Bäuchen den Boden, mag er noch so beschissen sein, lieber unter den Füssen haben als das Wasser am Hals." Es hatte etwas Infernalisches an sich, was Dr. Witthuhn da von sich gab, doch traute ihm Dr. Ferdinand die bessere Kenntnis zu. Der Burenkenner erhob sich schwerfällig aus dem Sessel und wünschte dem Erstaunten noch einen guten Abend, der ihn zum BMW begleitete, der für eine Wäsche überfällig war. "Es ist alles nicht so schlimm." Mit dieser typischen Bemerkung, die keinen Grund hatte, verabschiedete sich Dr. Witthuhn und fuhr mit dem bläkenden Geräusch eines Lochs im durchgebrannten Auspufftopf davon.

      Dr. Ferdinand machte sich eine Tasse Kaffee und rauchte eine Zigarette dazu. Es fiel ihm schwer, den Nachmittag mit dem Morgen zu verbinden und beides als den Ostersonntag in der Fremde zu begreifen. Er machte sich Notizen über das Fremdartige, als das Telefon klingelte, und Herr C. fragte, ob er seine Botschaft erhalten habe, worauf er die Osterwünsche an ihn und seine Familie erwiderte. Herr C. sprach noch stellvertretend für den Domini, als er den Glauben erwähnte, den jetzt jeder haben müsse, um die schwere Zeit, deren Zukunft keiner absehen könne, durchzustehn. Dr. Ferdinand bejahte den Glauben als eine gute Einrichtung, die allerdings unglaubhaft wird, wenn Menschen nach der Hautfarbe getrennt werden, wo das Hautpigment über die Qualität des Lebens entscheidet. Das wollte Herr C. anlässlich seines Osteranrufs eigentlich nicht hören, und so wurde das Telefonat mit einer Wiederholung der guten Wünsche abgekürzt und beendet. Dr. Ferdinand setzte sich an seinen Gartentisch zurück und versuchte sich zu sammeln, wobei ihm das Atmosphärische des Gottesdienstes am Morgen in der alten, finnischen Missionskirche durch das Gespräch mit Dr. Witthuhn am Nachmittag mit dem Diamantenzwischenfall aus den Fingern zu entgleiten schien. Er stellte die Frage auf das Papier: Wenn Ostern für alle Menschen ist, warum dann nicht auch das Leben? Mehr konnte er in diesem Moment nicht schreiben, nahm das Lineal und unterstrich diesen Fragesatz, indem er nachdenklich und millimeterweise mit Hilfe des Lineals Buchstabe für Buchstabe las, um einer Klärung näherzukommen, was ihm nicht gelingen wollte, weil er für solche Gegensätze keine Lösungsgleichung fand. Der erste Satzteil vor dem Komma hatte keine Brücke zum zweiten Satzteil hinter dem Komma, wo das Istzeichen hingehören sollte, weil da noch nie eine Brücke war. Das unterschied den Bruch der Kommunikation von der Brücke über das Flussrevier des Cuvelai, die da war, als sie weggesprengt wurde, und weil sie da und notwendig war, nach der Sprengung wieder aufgebaut wurde.

      Er zündete sich die Zigarette an und dachte noch eine Weile nach. Er erinnerte sich an den schwarzen Pastor, der ihm vor dem Auto vom guten Zusammenhalt seiner Gemeinde berichtete und es mit der schweren Zeit begründete, in der das Leben so ungewiss geworden war, wo der Krieg viele Familienmitglieder aus dem Leben gerissen hatte. Dann platzte der Mann mit dem verschlagenen Gesicht ins Wohnzimmer, der im holprigen Afrikaans Diamanten verscherbeln wollte, wo ihm erst hinterher durch Dr. Witthuhn dank seiner besseren Kenntnis burischer Hirnwindungen klar wurde, dass dieser Mann als Fallensteller agieren konnte. Schliesslich war der Anruf des Herrn C., der vom Glauben sprach, den man brauche, um die schwere Zeit durchzustehn. Für Dr. Ferdinand waren es drei Dinge an einem Tag, die er nicht zu einem Paket zusammenschnüren konnte und deshalb als drei getrennte Päckchen aufbewahrte. Es war ein Ostersonntag, den er so einsam noch nicht erlebt hatte, als es vom Nachmittag an an Geist und Liebe fehlte, um das Auferstehungsfest mit dem Prinzip der Hoffnung zu verbinden. Er fühlte sich verlassen und verloren, ihn plagte das Gefühl der Nutzlosigkeit. Dabei erinnerte er sich an die Worte Augustins, als er am Schluss seines Werkes 'De trinitate' von sich sagte, dass er versucht habe, mit der Vernunft zu schauen, was er glaubte, und dass er dazu nicht viele, aber die notwendigen Worte brauchte, weil er nicht in seinen Gedanken, wohl aber mit seinem Munde schwieg. Er klagte die Gedanken der Menschen der Eitelkeit an, wie es andere christliche Denker auch taten. Dr. Ferdinand zog sich die Sandalen an und machte einen Spaziergang, der, wie das letzte Mal, an den Militärcamps entlangführte. Eine Kolonne von fünf 'Elands' mit den langen Rohren verliess das erste Camp, um ihre abendliche Patrouille zu fahren. Er ging weiter bis ans Ende des Dorfes, wo der Stacheldrahtzaun den Weg sperrte, und ein aufgestelltes Schild vor Minen warnte. Diesmal traf er keine Menschen dort, die sich die Beine vertraten, weil sie Ostern mit ihren Familien und Freunden verlebten, wo würzige Rauchwolken vom Braten der Steaks und 'Boerewors' (Bauernwurst) aus zahlreichen Vorgärten aufstiegen, und eine rege Geselligkeit zu hören war, wo das grosse Ereignis mit Bier und Wein begossen wurde.

      Diese Art der Geselligkeit konnte er sich bei den Menschen, die aus dem Herzen in der Missionskirche sangen und die Predigt mit Andacht verfolgten, nicht vorstellen. Dort mochte es auch ein Festessen geben, das gegen die zu verzehrenden Fleischmengen der Buren sich sicherlich kümmerlich ausnahm. Aber an Alkohol wollte Dr. Ferdinand bei diesen Menschen nicht denken, dafür war den Menschen der schwarzen Haut der Tag zu heilig, als dass sie ihn auf weisse Art betränken, wofür ihnen das Wasser gut war, das sie von weither holten. Die Vögel zwitscherten ihm aus den Bäumen zu, und dafür war er ihnen dankbar. So blieb er einige Male stehn, um sie länger singen zu hören, was ihm das Orgelkonzert zu Ostern in der Heimat ersetzte. Die Vielstimmigkeit erinnerte ihn an die Polyphonie, die ihm hier auf die natürlichste und bestimmteste Weise zugezwitschert wurde, was musikalisch stimmte und motivisch so reizvoll war, dass Claude Debussy daraus ein quicklebendiges Zwitscherstück fürs Klavier gemacht hätte. Die heiteren, österlichen Stimmen verstummten, als er sich dem zweiten Camp mit den gegenüberliegenden Villen des Brigadiers und seines Nachbarn, dem weissen Sekretär der Bantu-Administration, näherte, weil es aus deren Gärten noch stärker und fleischiger heraus qualmte, und die Geselligkeit der Lautstärke nach schon fortgeschritten war, als aus diesem, durch einen hohen, langgezogenen Sandhügel verdeckten Camp eine Dreierkolonne dreiachsiger 'Ratels' sich auf den Weg dorfauswärts machte, um den weissen Sicherungsauftrag zu erfüllen und die lustigen Gesellschaften beim Verzehr des frisch gebratenen Fleisches mit salatigem Zubehör und dem zunehmenden Alkoholgenuss vor unerwünschten Überraschungen zu schonen.

      So nahm der Sonntagabend seinen Lauf, und die Sterne leuchteten am Himmel auf, als Dr. Ferdinand die Wohnstelle erreichte, einen Blick auf seinen Käfer warf, die Sandalen in der Veranda abstreifte, das Licht im Wohnzimmer anknipste, zur Küche ging, drei Schreiben vom geschmacklosen Brot schnitt, sie mit Margarine bestrich und mit einer Wurstscheibe belegte, den Teebeutel in der Kaffeetasse mit heissem Wasser übergoss und die Sachen auf den niedrigen Tisch vorm Sessel im Wohnraum stellte. Mit dem Abendbrot wollte Dr. Ferdinand den Ostersonntag beenden und danach zu Bett gehn, um für den nächsten Tag ausgeschlafen zu sein, an dem er für den Dienst im Hospital eingeteilt war, der ausser den chirurgischen und orthopädischen auch jene Notfälle aus der Gynäkologie und Geburtshilfe, hier im Wesentlichen die Kaiserschnitte erfasste, da diese Abteilung ärztlich total unterbesetzt war. Nach dem Essen schrieb er noch die zweite Zeile: Das Leben wird friedlicher, wenn alle etwas zu essen haben. Der Frieden liegt im Teilen. Als Dr. Ferdinand diese Zeile schrieb und wie die erste mit dem Lineal unterstrich, hörte er im Geiste noch die Vögel zwitschern, die ihm das Osterständchen beim Abendspaziergang brachten. Er hatte ein Lächeln auf den Lippen, als er das Licht ausknipste, sich ins Bett legte und die Bettdecke bis unters Kinn zog. Er war müde und schlief sofort ein.

      Die Hähne liess Dr. Ferdinand an diesem Morgen öfters krähen, weil es Ostermontag war, so dass er sich im Bett die Lorentz-Transformationen für die Zeit und Raumkoordinaten durch den Kopf gehen liess für die Übergänge von einem Inertialsystem zum andern, die für das Verständnis von Einsteins spezieller Relativitätstheorie bedeutsam sind, weil sie die physikalische Gleichwertigkeit aller Inertialsysteme (in Ruhe) aufzeigt. Die Inertialräume mit den zugehörigen Zeiten haben hypothetisch vierdimensionale Koordinaten, die durch die Lorentz-Transformation miteinander verbunden sind. Im Raum der allgemeinen Relativität kommen dann unterschiedliche Bezugssysteme zur Wirkung, wo die Konstanz des Weltalls die Eigenschaften von Masse, magnetischen Spannungsfeldern und Licht unter ständiger Veränderung ihrer Wirkungsbezüge einschliesst, wo die Zeit sich gegen die Zeitlosigkeit streckt, die rasante Expansion des Universums die Raumgrenze nicht erreicht, wo enorme Evolutionen und Involutionen makro- und mikrokosmisch stattfinden und dabei das Äquilibrium der kosmischen Waage einhalten.

      Es war gegen acht Uhr, als er sich auf den Weg zum Hospital machte. Die Wachhabenden an der Schranke des Dorfausgangs waren gut gelaunt,


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