Der Weg nach Afrika. Helmut Lauschke

Der Weg nach Afrika - Helmut Lauschke


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schreiben, als das Telefon läutete, und die Schwester von einer siebzehnjährigen Kreissenden sprach, die ihr erstes Kind nicht auf natürlichem Wege zur Welt bringen kann, weil sich der Föt nicht aus der Querlage in die gewünschte Kopftieflage drehen lässt. Mit der Einladung von Dr. Lizette zum Abendessen im Hinterkopf, wo sich ihr rausgekehrter Optimismus als Trugschluss herausstellte, wies er die Schwester an, Dr. Nestor, der die Narkose machen musste, und die Schwestern im 'theatre' vom Notfall in Kenntnis zu setzen und die Patientin unverzüglich zum Op zu bringen, da er sich auf den Weg zum Hospital mache. Er hatte das weisse Hemd mit den langen Ärmeln und die dunkle Hose, seine Sonntagskleidung, angezogen, als er sich in den VW-Käfer setzte und den Weg in drei Minuten zurücklegte, da die Wachhabenden an der Sperrschranke des Dorfausgangs ihn kannten und diesmal von der offiziellen Anweisung der Autokontrolle absahen. Er stellte das Auto mit Beginn der Dämmerung vor den beiden Fenstern der Schmalseite der Intensivstation ab, sah zu den Menschen vor der Rezeption hinüber, die dabei waren, ihr Nachtlager mit Pappen und Decken auf dem Betonboden vorzubereiten, eilte schnurstracks zum Op-Haus, hängte die Sonntagskleidung an den Haken im Umkleideraum und stand grün gekleidet im Korridor, als die Patientin aus dem Entbindungssaal gebracht wurde, die vor Schmerzen stöhnte. Dr. Ferdinand half beim Umlegen der Patientin auf die 'theatre'-Trage und dann im 'theatre l' beim Umlegen von der Trage auf den Op-Tisch. Die Narkoseschwester traf die Vorbereitungen auf dem Narkosetisch, während sich die Op-Schwester nach dem Abtrocknen der Hände in den grünen Kittel helfen liess. Dr. Nestor eilte in den Op und wischte sich mit einem Tuch den Schweiss vom Gesicht. Dr. Ferdinand streifte die Handschuhe über, als er im grünem Kittel den Op-Raum betrat, und die Op-Schwester mit dem Verreiben der braunen Desinfektionslösung über dem stark vorgetriebenen Bauch zugange war. Er half beim Abdecken und Anklemmen der sterilen Tücher. Dr. Nestor hatte den Tubus eingeschoben und schloss ihn an das Narkosegerät an, als die Schwester das Skalpell Dr. Ferdinand in die Hand gab, der unverzüglich mit dem Querschnitt oberhalb der Schambeinfuge begann. Es dauerte etwa acht Minuten, bis ein kräftiger Junge aus der durch Querschnitt geöffneten Gebärmutter entwickelt und von der Nabelschnur getrennt wurde. Dieser 'Kerl' fing gleich an zu schreien, dass ihm die erweckenden Rückenschläge bei herabhängendem Kopf erspart blieben. Eine Schwester nahm den kräftigen Burschen in einem aufgehaltenen, sterilen Tuch in ihre Hände, wickelte ihn ein, legte ihn auf den Babytisch, um ihm mit einem dünnen Plastikschlauch das Fruchtwasser aus Mund und Nase zu saugen, was der Neuankömmling mit einem nasalen Schreien quittierte. Sie legte ihn auf die Waage, wo es der Bursche ohne jegliche Anstrengung bereits auf dreieinhalb Kilogramm an Gewicht brachte. Dann liess er sich die Haut trocken reiben und in ein frisches Tuch wickeln, ohne dagegen etwas zu sagen, weil er sich nach der langen Reise erst einmal ausschlafen wollte.

      Dr. Ferdinand hatte die Wunde am Gebärmutterhals vernäht und die Harnblase darüber mit einigen Einzelknopfnähten fixiert. Während er die Bauchdecke verschloss, meinte die Op-Schwester, weil sie sich über die Häufigkeit von Kaiserschnitten an Wochenenden und Feiertagen unterhielten, dass dieser Ostermontag auffallend ruhig verlaufen sei, was nicht heissen sollte, dass die Nacht nicht noch weitere Kaiserschnitte fordern würde. Der Verband war aufgelegt, die Narkoseschwester hatte die Trage neben den Op-Tisch gefahren, als Dr. Nestor den Tubus aus der Luftröhre zog und der Patientin den Sauerstoff über die Gesichtsmaske durch mehrmaliges Zusammendrücken des Atembeutels in die Lungen blies, was sie mit einer guten Spontanatmung quittierte. Alle fassten zu, um die junge Mutter vom Op-Tisch auf die Trage zu heben, auf der sie in den Aufwachraum gefahren wurde, wo ihr einige Male der Blutdruck gemessen und der Puls über der Speichenarterie am Handgelenk gezählt wurde. Ein neuer Erdenbürger war geboren, der nicht wissen konnte, wie es in dieser Welt aussieht, in die er gekommen war, um sein weiteres Leben hier oder dort zu verbringen. Dr. Ferdinand, der dem Team für die gute Zusammenarbeit dankte, fragte sich im durchschwitzten grünen Hemd, ob der neue Erdenbürger nicht lieber im Mutterleib geblieben wäre, wenn er gewusst oder nur geahnt hätte, was hier auf dem afrikanischen Kontinent unweit der angolanischen Grenze abläuft.

      Dr. Ferdinand warf die durchschwitzte Op-Kleidung in den Wäschesack, erfrischte sich das Gesicht mit dem lauwarmen Wasser aus dem Kaltwasserhahn über dem Waschbecken im Umkleideraum, trocknete das Gesicht in einem frischen grünen Hemd ab und zog sich das sonntägliche Zivil an, liess sich über die Telefonzentrale mit Dr. Lizette verbinden, um ihr zu sagen, dass er sich verspätet hat und sich nun auf den Weg zu ihr machte. Er ging durch die OPD, um sich zu vergewissern, dass keine Patienten auf ihn warteten, und um die Schwestern der Nachtschicht davon in Kenntnis zu setzen, dass er für die nächsten Stunden bei Dr. Lizette zu erreichen sei. Er durchschritt den Ausgang links neben der Rezeption, blickte nach links, wo Männer und Frauen, Mütter mit ihren Kindern auf dem Betonboden unter Decken lagen, um die Nacht hier zu verbringen, weil es die Polizeistunde mit Eintritt der Dämmerung so verlangte. Er fuhr mit dem Auto durch das nicht schliessbare Ausfahrtstor mit den verknickten Rohrpfosten und wünschte dem Nachtpförtner durch das offene Fenster eine gute Nacht. Die Kontrolle an der Sperrschranke des Dorfeingangs war mild, auch wenn von beiden Seiten je zwei Wachhabende das Innere des VW-Käfers nicht ohne Neugier betrachteten, und Dr. Ferdinand ihnen das 'Permit' solange entgegenhielt, bis sie sich am Käfer ausgeguckt hatten und das Papier auch nicht mehr sehen wollten, was irgendein Brief hätte sein können, weil sie sich um das Handgeschriebene mit der Unterschrift des Kommandeurs nicht scherten.

      Dr. Lizette hatte den Namen der Strasse genannt und sie als die Zufahrt zum Militärcamp bezeichnet. Da es drei grosse Camps im Dorfe gab, die zusammen eine Brigade fassten, und nicht alle Strassen ausgeschildert waren, zumindest die Strassenschilder in der fortgeschrittenen Dämmerung nicht gleich zu finden waren, versuchte sich Dr. Ferdinand der Beschreibung entsprechend zu orientieren, indem er einige Dorfstrassen zweimal und langsam durchfuhr und schliesslich vor einem Haus mit Doppelgarage anhielt, das Dr. Lizette mit einem weissen Aussenanstrich beschrieb, was für den Tag gelten konnte, weil nachts auch alle Häuser grau sind. Es war das richtige Haus, und Dr. Lizette freute sich über das Kommen und stellte ihn ihrem Ehemann, dem Psychologen, vor. Das Auto wurde in die Einfahrt gestellt, um dem Risiko des Gerammtwerdens durch ein breites Militärfahrzeug zu entgehen. Dr. Ferdinand entschuldigte sich für die Verspätung und schränkte damit den von Dr. Lizette zuvor geäusserten Optimismus ein, dass es am Nachmittag ruhig im Hospital sein werde, die es, da sie ein gutes Gedächtnis hatte, mit einem Lächeln quittierte. Beide boten ihm einen bequemen Sessel zum Sitzen an, als der Psychologe einen Cooldrink in Form eines eisgekühlten Whisky mit Sodawasser offerierte, und Dr. Lizette die entsprechenden Gläser dreifach auf den runden Klubtisch stellte. Das Ehepaar nahm die anderen beiden Sessel ein, von wo der Ehemann die Gläser füllte und die drei Gläser mit dem eiskalten Stoff nach dem Wort "Gesondheid!" (Prosit) gehoben und auf einen anregenden Abend angetrunken wurden, und der Psychologe sein Glas leerte.

      "Sie kommen also aus Deutschland. Was hat Sie denn hierhergeführt?", war die Eröffnungsfrage des Psychologen, der es von Anfang an wissen wollte und seine Neugier dabei verriet, die so typisch für die Menschen war, die sich mit der Seele und ihren Zuständen beschäftigen und es professionell hinter einem grossen Schreibtisch in den verkürzten Dimensionen des Hör- und Sprechraumes in der Verknotung verstehen, auf einem Blatt Papier notieren, die Notizen unterschiedlich dick unterstreichen, durch balkenförmige Quer- oder Senkrechtstriche das eine Wort vom andern trennen, sodass dem gesprochenen Satz die ursprüngliche Aussage abgeschnitten wird, der Satzgegenstand in der Luft hängt und irgendeiner anderen Satzaussage angekoppelt wird, weil da auf dem Papier auf dem aufgeräumten Schreibtisch in dem eng dimensionierten Raum mit den wenigen, zurechtgestellten Büchern im Regal und den abstrakten Farbdrucken an den Wänden etwas entsteht, was der Person eigentlich nicht mehr gehört, je weiter die Satzbestandteile aus dem gesprochenen Kontext verzogen, herausgezogen oder voneinander verschnitten oder ganz abgeschnitten werden, um sie einer Analyse zugänglich zu machen. Dr. Ferdinand liess das Wort 'Scheidung' fallen, dem er den Mantel des Traumatischen umhängte, so dass der freundlich gesinnte Psychologe es verstand und von der weiteren Befragung zum Persönlichen absah. Er hatte sich offensichtlich sein Bild über den seelischen Zustand des Deutschen gemacht, denn er sprach nun mehr mit den Augen als mit dem Mund.

      Der Arzt in Uniform – das Teufelswerk der Entmenschlichung

      Doch, und weil er es für wichtig empfand, wollte ihm Dr. Ferdinand


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