Filme fahren. Ulrike Melzer

Filme fahren - Ulrike Melzer


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      Judith hatte Musik von Django Reinhardt aufgelegt und wedelte mit Tüchern herum. Die beiden führten den seltsamsten und dämlichsten Tanz auf, den ich je gesehen hatte. Felix ging, peinlich berührt, in die Küche.

      Feiern - Kapitel 6

      Die Oranienstraße war laut und unbarmherzig. Im Wohnzimmer gab es nur Ruhe. Ruhe, Musik, Felix ließ mich in Ruhe, Judith auch. Ich saß immer am gleichen Platz, hinter dem Vorhang, der nur einen Spalt geöffnet war und die Welt nicht rein ließ, nur so weit, wie ich das wollte.

      Ich ging am Tresen vorbei, grüßte kurz, manchmal nur ein Nicken und Lächeln, „Das Gleiche, wie immer?“, fragten sie. „Wie immer“, sagte ich dann, und ging zu meinem Platz, wie immer, nicht besetzt. Felix hatte schon die Kerze angezündet und brachte einen Mokka mit Kardamom. „Nicht viel los heute, oder?“, fragte er, ohne mich dabei anzusehen.

      Dann wollte er sehen, was ich heute geschrieben hatte. Manchmal, wenn er in Kritiker-Laune war, setzte er sich und hielt lange, etwas wirre Monologe. „Du musst bedenken, dass nicht zählt, was andere tun. Das ist unwichtig. Wichtig ist nur, was du tust, niemand kann sehen, wie du siehst. Niemand.“ „Du bist ja ein Philosoph.“ Das schien ihm zu gefallen. „Ja, ich bin viel rumgekommen, hab einiges gesehen.“ „Und wo?“ „Überall. USA, Italien, Frankreich, Australien...“

      „Warum bist du dann hier?“

      „Ich bin hier geboren und aufgewachsen. Hier ist meine Familie, ich kann nicht einfach wegziehen. Ich wollte immer weg, aber dann ist mir klargeworden, ich gehör nach Berlin.

      Weil du hierhin gehörst, kannst du nicht woanders sein. Das wirst du auch noch merken.“

      Dann ging er.

      Zurück in der Wohnung sah ich Karen, sie hing in der Küche rum, der Fernseher lief.

      Er lief immer. Immer MTV. Karen hatte eine Flasche Wein geöffnet.

      „Und, was ist der Stand der Dinge?“

      „Welche Dinge?“

      „Also bei mir ist nichts. Bei mir ist immer nichts.“ Ich trank Wein.

      „Aber das ist doch scheiße.“

      Karen trank das Glas aus.

      „Bei mir und Jasper ist es eben so.“

      „Wie?“

      „Naja, da ist nichts, nicht das Normale. Aber wir haben anderes, wir sind … das ist was Spirituelles.

      Hört sich dämlich an. Aber ich glaub an den ganzen Scheiß, wirklich ich glaub dran.

      Es passiert doch immer was, ständig. Ich seh ihn jeden Abend, es kann jeden Moment was passieren.“

      „Erzähl mal von dir und Jasper.“

      Jasper war ein DJ aus London, der in Berlin aufgewachsen war. Er legte im Palace auf und Karen und er waren seit ihrer Kindheit beste Freunde. Sie teilten das Arzt-Kinder-Schicksal, zogen sich in Karens Kinderzimmer zurück, wenn Jasper mal wieder zur Kindertherapie gehen sollte. Karen und Jasper, sie waren für ihre Eltern ewige Experimente, jede Emotion, die nicht in ihr Weltbild passte, was fast auf jede Emotion zutraf, galt als Zeichen einer Krankheit. Man konnte sich immer optimieren und war ein Spiel nicht lehrreich, wurde es verboten. Die Fantasiewelt ihrer Kindheit hatten sie mitgenommen in den Palace.Jasper war schwul, was Karen nicht davon abhielt, ihn als ihre große Liebe zu bezeichnen.

      „Er war irgendwann einfach wieder da. Er stand neben mir und wir haben geredet. Über den ganzen Kram. Du weißt schon, Gott und Liebe und alles eben. Manchmal hören wir die ganze Nacht Musik. Trance“. Sie kicherte. „Und wenn wir aufwachen, gucken wir Golden Girls. Er hält meine Hand, wenn wir aufwachen. Manchmal beobachtet er mich und dann sehen wir uns an, reden die ganze Nacht kein Wort.“

      „Ist er wirklich schwul?“

      „Ist das schwul?“

      „Reicht dir das?“

      „Ach du wieder, hol mal ne neue Runde.“

      Die Sonne ging unter, wir saßen auf dem Balkon.

      Karen redete wieder von Jasper. „Er hat gesagt, er liebt mich.“

      „Na dann...“

      „Ach, was kann ich mir davon kaufen?

      Er meinte damit, du bist meine beste Freundin. Ich will nicht eine von den Schwuletto-Witwen sein.“

      „Was is´n das?“

      „Na, die verzweifelten Weiber, die sich an ihre schwulen besten Freunde klammern und selbst keinen abkriegen. Aber weißte, das Schlimmste ist ja, ich will keinen anderen, ich will Jasper, ich bin glücklich.“

      „Ich kenn das.“

      „Ach nee, immer noch der Starrer, oder was? Ist doch nicht dein Ernst! Milosch meinte, der ist verheiratet? Und Kinder hat der auch, oder?"

      „Ja und? Dein Jasper ist schwul. Schwul und verheiratet, also..."

      Sie lachte laut. „Jaja, wir sind schon verkorkst, echt mal.

      Aber Jasper und ich - wir kennen uns - wir sind Freunde, weißte wie?"

      „Ja und? Ich würde Niko auch gern kennen. Das ist nur nicht so einfach wie bei euch. Man hat doch irgendwann so ein Gefühl - als wäre man angekommen. So, das ist es jetzt. Das ist der einzige Mensch, der passt, mit dem du zusammen sein willst. Ich wusste es einfach, ohne groß darüber nachzudenken. Dazu muss ich nicht alles von ihm wissen. Ich hab eh das Gefühl, als würden wir uns schon kennen, aus nem anderen Leben, oder so. ich versteh´s ja auch nicht. Wenn man den gefunden hat, warum denn noch weiter suchen?“

      „Ja, klaro, kenn ich. Aber den Niko find ich komisch, sorry. Hab den jetzt mal besser kennengelernt. Der ist mit Margit befreundet, diese komische, alte Punktante mit den lila Haaren. Jedes Mal, bevor ihre Schicht beginnt, hören sie 'Transmission' von Joy Division." Ausgerechnet Transmission. Das war mein Lied, mein Soundtrack.

      „Aber bei uns läuft was falsch. Wir sollten jetzt suchen, so ein paar Jahre.“

      Karen lächelte versonnen.

      „Ja, ja.“

      „Trotzdem kann ich gar nicht daran zweifeln oder hinterfragen oder so. Es ist einfach wahr und ich muss damit leben.“

      „Nichts passiert umsonst, nichts!“

      „Meinst du?“

      „Quatsch nicht, trink lieber noch was. Warum muss alles, was du sagst, so klingen, als ob es aus einem Buch kommt?“

      Mein Kopf drehte sich, wir quatschten blödes Zeug, so machten wir das oft.

      Dachten nicht nach über die Zukunft, oder was aus uns werden sollte. Irgendwann begann der Tag und ging über in die Nacht,

      die Grenzen verwischten.

      Feiern - Kapitel 7

      Karen schlief irgendwann einfach ein.

      Ich machte den Fernseher aus und legte mich auf die Matratze.

      Irgendwann klingelte es. Ein Wecker.

      Dann nochmal, schrill und laut. Es war gerade mal Sechs Uhr.

      Dann passierte etwas sehr Merkwürdiges: Karen und Milosch standen auf, machten das Licht an und dann ertönte Hyper Hyper.

      "Yeah!" Milosch klatschte in die Hände und tanzte in Boxershorts durch die Wohnung.

      Karen suchte sich Klamotten aus, ich saß auf der Matratze und sah ihnen zu.

      "Seid ihr jetzt völlig bescheuert?"

      "Wir müssen zur Arbeit".

      Ich kapierte noch immer nicht.

      "Na Afterhour." Karen verdrehte die Augen. "Haste noch nie von gehört?"


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