Die Begegnung. Ralf Wider

Die Begegnung - Ralf Wider


Скачать книгу
wollte er herausfinden, wieso die Grauen keine Haare hatten. Doch das würde vielleicht ein wenig schwieriger werden…

      Ferry tauchte aus seinen Gedanken auf, als Moana zu brabbeln begann. Es war irgend etwas Unverständliches, doch dazwischen tauchten immer wieder "Ah-nu" und "Mo-a" auf. Der Name des grauen Babys und ihr eigener, in Babysprache. Sie schien stark daran interessiert, mit der Mama ihres neuen Spielkameraden Konversation zu machen. So hörte es sich jedenfalls für Ferry an. Aber vielleicht war seine Tochter auch einfach eine kleine Quasselstrippe. Das würde sich bald genug herausstellen.

      Das Schwierigste würde die Sprache sein, davon war Ferry überzeugt, als er sich mit Laura, Hand in Hand, der Königin genähert hatte.

      Die Kinder hatten sich sofort angefreundet gehabt bei dem überraschenden Besuch der Grauen im Garten des Blockhauses der Familie Black in P1. In ihrer kindlichen Neugier und Unschuld hatten die Kinder die Brücke geschlagen zwischen zwei Völkern, ohne dabei auf das Aussehen oder die Hautfarbe zu achten. Daraufhin hatten Laura und Ferry den Mut aufgebracht, sich der Fremden zu nähern und einen ersten persönlichen, physischen Kontakt mit der ausserirdischen Lebensform aufzunehmen.

      Wie man das so aus dem Fernsehen kennt, wenn sich fremde Völker treffen, hatte man sich erst einmal vorgestellt.

      Ferry hatte die Hand auf seine Brust gelegt und "Ferry" gesagt. Seine Stimme klang belegt. Er räusperte sich. Laura hatte seine Geste kopiert und "Laura" gesagt. Auch ihre Stimme wackelte ein wenig und sie schluckte trocken, um den Kloss in ihrem Hals loszuwerden. Der Kloss sass dort, seit sie vor wenigen Minuten geglaubt hatte, ihre Kinder seien in akuter Lebensgefahr.

      Die Königin hatte ihren länglichen Kopf leicht zur Seite geneigt. Es sah aus, als ob sie zu verstehen versuchte, was die zwei Fremden Wesen ihr zu sagen versuchten. Schliesslich legte sie ihre Hand ebenfalls auf ihre Brust und sagte "Annunfala".

      Ferrys Herz schlug bis in den Hals. Er spürte, dass seine Ohren zu glühen begannen. Sie sprachen mit einem Alien! Es war schier unfassbar. Die Grauen konnten sprechen und es klang zwar fremd, aber es schien eine richtige Sprache zu sein, wie die Menschen sie sprachen!

      Die graue Königin, die eigentlich gar nicht grau war, wiederholte ihren Namen. Das A war langgezogen, und die Betonung folgte auf der nächsten Silbe. Es klang wie Ah-Nún-fala. Ihre Stimme war weich und melodisch, sie klang ein wenig wie heller Glockenklang. Doch es lag auch etwas Heiseres darin, etwas Kehliges, als ob das A mit viel Atem herausgepresst wurde.

      Laura wagte den nächsten Schritt. Sie machte einen kleinen Schritt auf das fremde Wesen zu und streckte die Hand aus. Sie hielt sie dabei nicht senkrecht, wie zum Handschlag, sondern aufrecht, die Handinnenseite nach vorne. Das sollte wohl zeigen, dass sie nichts Böses wollte und nichts in der Hand hatte. So interpretierte Ferry das auf jeden Fall. Er hielt den Atem an und war gespannt, wie die Fremde darauf reagieren würde.

      "Hallo, Ah-Nún-fala.", sagte Laura mit fester Stimme. Ferry fand, dass sie den Namen sehr ähnlich wie die Namensträgerin ausgesprochen hatte. Das mochte daran liegen, dass Laura einfach ein Sprachgenie war. Sie konnte sowas.

      Annunfala blinzelte. Sie schien erstaunt. Sie starrte auf Lauras ausgestreckte Hand. Nach einem kurzen Moment machte sie jedoch auch einen Schritt auf Laura zu und hob ihren Arm in der gleichen Weise wie Laura. Zaghaft streckte sie den Arm aus, bis sich die beiden Handflächen berührten. Die beiden Frauen, oder Weibchen - Mütter war vermutlich die beste Bezeichnung - zuckten bei der Berührung simultan zusammen. Dieselbe Reaktion hatten sie zuvor schon bei den Kindern beobachten können. Doch sie liessen die Handflächen aufeinander liegen.

      "Laura.", sagte Annunfala zögernd und blickte ihr Gegenüber mit grossen Augen an. Sie sprach Lauras Namen "Laa-uu-ra" aus, wobei das R sehr kehlig klang, ähnlich dem R, wie es französischsprachige Menschen aussprachen, fast schon ein "ch".

      Laura lächelte. Die Königin blinzelte wieder, scheinbar erstaunt. Dann lächelte sie ebenfalls, wenigstens empfand Ferry es so. Dabei entblösste Annunfala einen Teil ihres Gebisses. Die Grauen hatten keine einzelnen Zähne, wie die Menschen. Es sah eher aus wie eine durchgehende Hornplatte, oder ein einziger, breiter Zahn, der an der Oberfläche fast glatt war und keine herausstehenden Kronen zeigte.

      Laura drehte den Kopf zu Ferry und nickte ihm zu. Sie hatte ihren fordernden Blick aufgesetzt, der keine Widerrede zuliess. In ihren Augen schien "nun mach schon!" zu stehen. Ferry schluckte und machte einen zögernden Schritt auf die Königin zu. Ihm war heiss. Er schwitzte. Er wusste nicht, was er denken sollte. Er würde gleich einen Alien anfassen!

      Wie ferngesteuert hob sich sein rechter Arm. "Anun-fala", brachte er hervor. Er war sich bewusst, dass seine Aussprache nicht so gut gewesen war wie Lauras. Er würde üben müssen. Er konnte spüren, dass er rot wurde.

      Annunfala schien seine Bemühungen zu würdigen, denn sie lächelte auch ihn an. Sie löste ihre Hand von Lauras und legte sie zaghaft auf die seine. Ein kurzer Energiestoss fuhr durch Ferrys Hand. Auch er zuckte zusammen, während die Königin ruhig blieb. Sie schien sich bereits an das Phänomen gewöhnt zu haben. Doch Ferry hatte sich schnell wieder gefasst. Es war nicht unangenehm gewesen, nur überraschend. Es hatte sich wie ein kleiner Energietransfer angefühlt. Es war ähnlich gewesen wie damals, als er seine Hände auf Lauras schwangeren Bauch gelegt hatte. Eine Art Kribbeln, das anzeigte, dass die berührte Person viel Energie in sich trug. Laura hatte damals die Energie von gleich drei Menschen in sich getragen. Erstaunlicherweise schien der Energiefluss bei den Grauen ähnlich zu sein. Wiederum war Ferry verblüfft von der frappierenden Ähnlichkeit der Grauen mit den Menschen. Die Hand mit den vier Fingern fühlte sich warm an. Wärmer als Ferrys. Sie war glatt und weich, dennoch fest. Ferrys Hände waren dagegen schwielig und rauh. Das waren sie, seit er in der Küche seines Bistros gekocht hatte, aber mit dem Bau des Blockhauses hatten sich die Schwielen noch deutlich verstärkt.

      Die Königin blinzelte wieder. "Ferry.", sagte sie. Es klang wie "Fää-rri", wobei das R wiederum fast ein "ch" war, ein sehr gutturales R.

      Ferry setzte ein schüchternes Lächeln auf und nickte bestätigend, um Annunfala zu signalisieren, dass sie seinen Namen gut ausgesprochen hatte. Er hoffte, dass sie das Kopfnicken richtig würde interpretieren können. Es gab Völker, bei denen die Kopfbewegungen anders gedeutet wurden, auch bei den Menschen.

      Doch die Königin lächelte und versuchte die Kopfbewegung zu imitieren. Es schien Ferry, als ob diese Art der nonverbalen Kommunikation nicht gebräuchlich war bei den Grauen. Offensichtlich gab sie sich Mühe, sich den Bräuchen ihrer Gegenüber anzupassen.

      Wieder ging es Ferry durch den Kopf, dass es extrem schwierig sein würde, miteinander zu sprechen. Namen auszutauschen, war eines. Doch richtige Konversation zu machen, etwas ganz anderes.

      Neben ihnen im Gras quietschte Moana auf. Es hatte energisch und ein wenig vorwurfsvoll geklungen. Sie fühlte sich vermutlich vernachlässigt und fand es gar nicht toll, dass sich die Erwachsenen nur mit sich selbst beschäftigten. Um einer Krise in Form von sehr lautem Geschrei entgegenzuwirken, hob Laura ihre Tochter hoch. Diese hörte augenblicklich auf, Geräusche von sich zu geben, doch sie schien unruhig und quängelig. Sie zappelte und strampelte, so dass Laura sie von sich strecken musste, um nicht getreten zu werden. Annunfala machte wieder eins dieser Muttergeräusche, einen ergriffenen, wimmernden Laut, der wohl in sämtlichen Kulturen als "Ach, wie niedlich!" erkannt werden würde.

      Laura blickte erstaunt zu ihr hinüber und nach einem kurzen Zögern hielt sie der Königin ihr Kind hin. Ferry war so überrascht von dieser Geste, dass er es total verpasste, zu widersprechen. Er fand das gerade keine so gute Idee. Frieden hin oder her, aber er fand es äusserst befremdlich, dass ein Alien sein Kind in die Arme nehmen sollte! Was dachte sich Laura dabei?

      Die grossen Augen der Fremden schienen noch grösser zu werden. Zögernd streckte sie ihre Arme aus und nahm das Kind behutsam aus Lauras Händen. Sie schloss ihre dünnen Arme um Moana und betrachtete sie eingehend. Dann berührte sie ganz zaghaft den dunklen Flaum auf dem kleinen Köpfchen. Wieder gab sie dieses sehnsüchtige Muttergeräusch von sich.

      Moana schien sich bei der Fremden sehr wohl zu fühlen, die Agitation von vorhin war wie verflogen. Fasziniert betrachtete sie die Hand mit den vier langen,


Скачать книгу