Die Begegnung. Ralf Wider

Die Begegnung - Ralf Wider


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zugeschaut. Wieder lag ihr Kopf leicht zur Seite geneigt. Sie schien verstehen zu wollen, was vor sich ging.

      "Ah-nun-gálan.", sagte sie und hob das Kästchen hoch, so dass Ferry es anschauen konnte. Es klang wie Babysprache, und schien ausdrücken zu wollen, dass das kleine, metallische Teil ungefährlich war.

      "Ein A-N-Wort! Ich glaube, das ist gut!", flüsterte Laura. Ferry nickte. Es war ihm auch aufgefallen. Er senkte seinen Blick auf das Objekt. Es war glatt und schien aus Metall gefertigt zu sein. Auf der Oberfläche des Objekts erkannte er zwei kleine Leuchtdioden, die gelb leuchteten. Ausserdem war da eine Art Knopf, eine kleine, runde Erhebung, in der Mitte des Kästchens. Immer noch misstrauisch, zwang er sich, zu nicken. Es war okay. Er gab Annunfala damit das Zeichen, dass sie mit dem Kästchen machen sollte, was sie vorhatte.

      Die Königin drückte einen ihrer Finger auf den Knopf. Dann führte sie das Objekt an Ferrys Kopf heran. Langsam liess sie es vor seinem Gesicht und danach um seinen Kopf herum wandern. Als sie an seiner linken Schläfe angekommen war, piepte das Gerät. Ferry drehte den Kopf zu dem Kästchen und sah, dass eine der Dioden nun blau leuchtete. Annunfala nickte. Sie schien zufrieden. Wieder drückte sie den Knopf. Die zweite Leuchtdiode sprang auf Blau und das Gerät gab ein neuerliches Piepen von sich, diesmal etwas sonorer. Dann entfernte sie das Gerät von Ferrys Schläfe, um es sich selbst an den Kopf zu halten. Sie hielt es ebenfalls an ihre Schläfe. Wieder drückte sie den Knopf. Die beiden Leuchtdioden sprangen zurück auf Gelb, um gleich darauf wieder auf Blau zu wechseln. Es piepte lange. Fasziniert schaute Ferry dem Vorgang zu.

      "Ah-nun-gálan.", wiederholte die graue Königin. In Ferrys Kopf hallte es. Ihm wurde ein wenig schwindelig, als ob er zu schnell aufgestanden wäre. Der Hall in seinem Kopf glich einem Echo, das zwischen zwei steilen Felswänden hin- und her geworfen wurde. Das "Ah-nun-gálan" wurde dutzendfach in seinem Kopf gespiegelt, verworfen, zerschellte, wurde wieder zusammengeführt, schwoll an zu einem Kanon mit hundert Stimmen. Ferry schüttelte den Kopf, um den fremden Klang loszuwerden. Doch urplötzlich war der rauschende Geräuschpegel verschwunden und Ferry hörte in seinem Kopf nur noch ein einziges Wort, klar und deutlich: "Dolmetscher".

      Er blickte Annunfala in die grossen, schwarzen Augen, ungläubig. Sie schien zu lächeln. Dann wiederholte sie das Wort. In Ferrys Ohren kam "Ah-nun-gálan" an, er war sich dessen bewusst, doch sein Hirn registrierte simultan und messerscharf, dass die Königin "Dolmetscher" gesagt hatte. Es war, als ob eine Stimme direkt in seinem Kopf sprechen würde, während das akustische Signal, das von den Ohren kam, unterdrückt wurde.

      Annunfala legte den Kopf leicht zur Seite.

      "Ah-nanah?", fragte sie. Gut? Ferry hatte sie sofort verstanden. Seine Augen wurden gross und rund.

      "Ja, es funktioniert! Das ist fantastisch!", antwortete er atemlos.

      Annunfala nickte. Sie hatte "Ah-ta, nana-to! Ah-naga naga ho!" verstanden. Genau, was Ferry gesagt hatte.

      Die Königin wandte sich Laura zu und wiederholte den Vorgang.

      Kapitel 3 - Der Ältestenrat

      Lisa Moana und Luís Guillermo lagen in ihrem Zweier-Kinderwagen ein paar Meter vom Tisch entfernt und schliefen.

      Tony hatte mit einem verschwörerischen Grinsen eine zweite Flasche des hauseigenen Chardonnays gebracht, sich selbst auch ein Glas eingeschenkt, um sich darauf dezent zurückzuziehen. Essen würde es später geben. Monica hatte ihm signalisiert, dass die kleine Gruppe zuerst noch etwas Wichtiges zu besprechen habe.

      An dem Tisch auf der Terrasse des Restaurants Te Whau sassen vier Master und ein Commander. Der Ältestenrat, angeführt von Master Monica, die wie immer ein luftiges, langes Sommerkleid trug, unter dem man ihre Uniform nur erahnen konnte, hatte sofort ein Treffen anberaumt, als er die Nachricht von Laura und Ferry erhalten hatte. Die weiteren Mitglieder des Rates, Master Wei und Master Paris, hatten sich nicht die Mühe gemacht, sich umzuziehen. Auf der kleinen Künstler- und Weinidylle-Insel vor Auckland scherte sich niemand darum, wie man herumlief. Ihre weissen Master-Uniformen, auf deren Epauletten je ein Stern prangte, leuchteten in der Sonne. Obwohl es Winter war in Neuseeland, strahlte die Sonne von einem tiefblauen Himmel.

      Es war tatsächlich ungewöhnlich warm für diese Jahreszeit, und Commander Laura Hidalgo räkelte sich genüsslich in der Sonne. Sie liebte die Wärme. Es war ihr erstes Treffen mit dem Ältestenrat auf Waiheke, bisher kannte sie diese Treffen nur aus den Erzählungen ihres Mannes. Sie hatte es sich nicht nehmen lassen, ein schickes Sommerkleidchen anzuziehen, in leuchtendem Rot mit weissen Tupfen. Sie fand es nicht richtig, in P0 in Uniform herumzulaufen. Ausserdem war es ihr immer noch etwas peinlich, dass sie als Commander des Black Commands eine schwarze Uniform bekommen hatte. Sie sagte immer, dass sie darin wie Catwoman aussähe. Ferry vermutete jedoch insgeheim, dass sie nach der Geburt der Zwillinge noch nicht ganz auf ihrem Wunschgewicht zurück war und sich der etwas weiblicheren Rundungen schämte. Ihm gefiel das, er fand, dass sie zum Anbeissen aussah. Aber sie gefiel ihm auch in dem Sommerkleidchen.

      Master Ferry Black, Leiter der P1 Armed Forces, nahm geniesserisch einen weiteren Schluck von dem kräftigen Weisswein. Daran konnte man sich gewöhnen, fand er. Auch er trug seine Uniform, im Gegensatz zu den anderen Mastern war seine jedoch schwarz. Er hatte immer eine schwarze Uniform gehabt, seit er als junger Pilot die Black Squad übernommen hatte. Eine Spielerei der Toilette, die alle Uniformen bereitstellte, und auf deren Entscheidungen man keinen Einfluss nehmen konnte. Toiletten funktionierten fast komplett autonom.

      Auf Ferrys Schultern prangte seit Neuem der Master-Stern. Er war zu stolz gewesen, um diese Uniform heute nicht zu tragen. Am Tag nach der Begegnung mit Annunfala hatte ihm die Toilette die Master-Uniform zugestanden. Obwohl - es gab nebst der Farbe noch einen weiteren, kleinen Unterschied an seiner Uniform. Master Paris hatte ihn soeben darauf angesprochen.

      "Sag mal, Ferry, was soll der Kringel da neben dem Stern?" Paris deutete auf Ferrys Epauletten. Neben dem Stern, der den Grad eines Meisters bekundete, prangte ein weiteres Symbol in Gold. Es war bogenförmig und ähnelte einer Rune, oder einem Zeichen, das mit Pinsel gemalt worden war.

      Ferrys Ohren begannen zu leuchten. Es war ihm peinlich, dass er, als jüngster Master der Runde, etwas Zusätzliches auf den Schultern trug. Auch Laura hatte dieses Zeichen auf ihren Gradabzeichen, neben den vier breiten Goldstreifen.

      "Also, wenn wir Fala richtig verstanden haben, dann ist das ein Zeichen in der Schrift der Grauen, die einen hohen Funktionsträger bezeichnet. So etwas wie einen Staatsmann oder einen Diplomaten oder so. Die Erklärung war ein wenig verwirrend, da ihr Staatssystem und ihr soziales System irgendwie anders aufgebaut sind. Wir glauben, dass ihr die richtigen Worte gefehlt haben, um es genau zu erklären. Und der Dolmetscher scheint nur Worte zu übersetzen, die in beiden Sprachen deckungsgleich sind. Es ist ein bisschen schwierig…", erklärte Ferry.

      "Aber als sie uns das zweite Mal besuchte, hat sie das Zeichen sofort erkannt!", warf Laura ein. "Es schien sie auch nicht weiter zu stören, dass wir diese Zeichen trugen, sie fand es gut." Mit einem Augenzwinkern in Ferrys Richtung ergänzte sie: "Viele A-und-N-Worte!" Sie lachte ihr ansteckendes Lachen. Ferry stimmte in ihr Lachen ein.

      Die Meister des Ältestenrates schauten sich jedoch fragend an und Laura beeilte sich, ihnen die Interna zu erklären.

      "Uns ist aufgefallen, dass in der Sprache der Grauen die guten Dinge unüblich häufig mit A beginnen und viele Ns haben. Diese Worte werden hell und offen ausgesprochen. Schlechte Dinge werden eher gezischt oder geknurrt und enthalten überdurchschnittlich viele CHs und Konsonanten wie P, T, G und K, zum Beispiel. Also haben wir uns jedes Mal gefreut, wenn wir ein Wort nicht übersetzt bekamen, wenn es viele As und Ns hatte… Wir sind dann einfach davon ausgegangen, dass es etwas Gutes ist… " Die drei Master nickten gewichtig, zum Zeichen, dass sie verstanden hatten. Sie schienen sehr beindruckt.

      "Und wie genau funktioniert dieser Dolmetscher?", hakte Master Wei in seinem chinesisch gefärbten Englisch nach. Ferry tippte an die linke Seite seines Kopfes.

      "Annunfala hatte diese kleine Black Box, mit der sie unsere Köpfe abgesucht hat. Scheinbar hat das Gerät unsere Funkverbindungs-Implantate


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