Die Begegnung. Ralf Wider

Die Begegnung - Ralf Wider


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dann mit einem weitaus schlimmeren Gegner auseinandersetzen.", warf Laura mit finsterer Miene dazwischen.

      Monica, Wei und Paris machten betroffene Gesichter. Sie hatten in den letzten Jahrzehnten genug Ärger mit den Grauen gehabt. Das Corps hatte über die Jahre grosse Verluste hinnehmen müssen. Eine Spezies, die noch stärker und blutrünstiger war als die Grauen, die sie kannten, wollte sich niemand zum Feind machen.

      "Können sie dieses Tor denn nicht schliessen?", fragte Monica und ein Ansatz von Verzweiflung war in ihrer Stimme zu hören. Wei und Paris nickten zustimmend, das hatten sie auch gerade fragen wollen. Laura und Ferry schüttelten die Köpfe.

      "Scheinbar nicht.", antwortete Ferry. "Es scheint ähnlich zu funktionieren wie eine Toilette: fliegst du mit der Toilette nach P1, geht die Tür in P0 automatisch wieder auf, sobald du gelandet bist…" Das stimmte, und das war dem Rat auch klar. Man konnte die Toilettentür in P0 nicht beeinflussen, wenn man sich selbst in P1 aufhielt. Das war ein ganz schönes Dilemma.

      "Und nun? Wie soll es weitergehen? Was will Annunfala?", fragte Monica langsam.

      Ferry räusperte sich und wechselte einen vielsagenden Blick mit seiner Frau. Laura nickte.

      "Sie hat um Frieden gebeten. Sie möchten so viele An-Nun wie möglich nach P1 evakuieren und dort ansiedeln. Im Gegenzug hat sie uns versprochen, dass sie uns nicht mehr angreifen. Mittlerweile sind sie so dezimiert, dass sie alle auf Atlantis Platz fänden. Fala sagt, dass ihnen Atlantis genügen würde, und sie alle anderen Siedlungen zu unseren Gunsten aufgeben wollen."

      "Und was meint ihr zu diesem Plan?", kam die Frage von Monica. Ferry überlegte einen Moment. Wieder tauschte er einen Blick mit Laura, die wiederum nickte.

      "Ich - wir - sind der Meinung, dass ihnen Atlantis zusteht. Allein hätten wir die Insel gar nie gefunden. Wir haben weder Anspruch darauf, noch Bedarf. P1 ist mehr als gross genug für unsere beiden Spezies." Erwartungsvoll schaute er in die Runde.

      Nacheinander stimmten die Räte seiner Ausführung zu.

      "Das ist in Ordnung für uns. Wenn wir dafür Frieden bekommen, ist Atlantis, das niemand ausser euch beiden kennt, ein geringer Preis.", sagte Monica bedächtig. "Doch was ist mit dem Tor? Wie wollen sie dieses Problem lösen?"

      Ferry hielt den Kopf gesenkt, doch er spürte die fragenden Blicke des Rates, die auf ihm ruhten. Laura stupste ihn an. Ferry blickte auf und atmete zweimal tief in sein Qì.

      "Annunfala will das Tor zerstören. Sie sagt, es gibt keinen anderen Weg, um ihr Volk zu schützen.", sagte er.

      "Das klingt doch gut! Wo ist das Problem dabei?", horchte Paris auf. Wieder atmete Ferry tief durch.

      "Das Tor muss in P2 zerstört werden. Es geht nicht von P1 aus."

      "Na und? Dann braucht es halt einen Freiwilligen, der sich opfert! Um ein ganzes Volk zu retten, ist das doch wohl nicht zu viel verlangt?", gab Paris zurück.

      "Annunfala sagt, dass es das Wissen und die Kraft einer Königin braucht, um das Tor zu zerstören."

      "Dann braucht es eine freiwillige Königin!", warf Wei ein.

      "Annunfala ist die letzte Königin der Grauen.", gab Ferry zurück. Er hatte den Kopf wieder gesenkt.

      "Und sie will es trotzdem tun? Und zurückbleiben?", fragte Monica behutsam. Ferry nickte langsam und hob dann den Kopf.

      "Wenn die letzte Königin stirbt, dann können sich die An-Nun nicht mehr fortpflanzen. Sie werden in Atlantis in Ruhe ihr Leben zu Ende leben können, aber sie werden aussterben…" Eine Träne rollte über seine Wange. Der Gedanke schien ihm schwer zu schaffen zu machen. Ausser dem leisen Rauschen des Meeres unter ihnen in der Bucht war nichts zu hören. Die Tragweite dieser Entscheidung lastete schwer auf ihnen allen.

      "Jahrzehntelang haben wir um P1 gekämpft. Wir wollten es immer für uns haben. Nun können wir es haben, es ist nur eine Frage der Zeit. Aber wir löschen damit eine gesamte Spezies aus... Ein Genozid, um P1 für uns zu haben! Dieser Preis ist zu hoch für mich!", sagte Ferry. "Sie sind gute Wesen. Sie sind eine wertvolle und interessante Spezies und sie sind hochentwickelt. Seit ich sie kennengelernt habe, sehe ich Vieles mit anderen Augen. Ich mag die Grauen. Ich will nicht untätig zuschauen, wie sie aussterben.", fügte er betreten hinzu.

      "Und was willst du dagegen tun?" Betroffen schauten ihn die Räte an.

      "Ich will nach P2 gehen, um mir die Sache vor Ort anzuschauen. Es muss einen anderen Weg geben! Mittlerweile bin ich recht gut darin, Wege zu finden…" Ferry hatte sehr leise gesprochen. Laura gab ihm einen harten Knuff auf den Oberarm. Er schaute zu ihr hoch.

      "Oh! Entschuldigung. WIR wollen nach P2 gehen, um das zu regeln." Laura nickte energisch.

      "Aber ihr habt Kinder! Ihr müsst an eure Familie denken! Auf keinen Fall lassen wir euch nach P2 gehen, abgesehen davon, dass ich mir nicht vorstellen kann, dass das überhaupt möglich ist!", rief Monica entrüstet. "Nein, wir verbieten es!" Auch die beiden anderen Ältesten protestierten energisch.

      Ferry war aufgestanden, hatte sich an die Brüstung der Terrasse gestellt und sich eine Zigarette angezündet. Er inhalierte tief und liess die Halswirbel knacken. Laura war aufgestanden, um sich um die Kinder zu kümmern, die aufgewacht waren. Als er zu Ende geraucht hatte, drehte sich Ferry zum Ältestenrat um.

      "Wir werden nach P2 gehen, mit oder ohne eure Erlaubnis. Wir werden einen Weg hinein und auch wieder einen hinaus finden. Wir werden alle Annun evakuieren und das Tor schliessen, wie auch immer. Jedenfalls werden wir es versuchen. Das sind wir ihnen schuldig.", sagte er mit fester Stimme. Weiterer Protest erhob sich. "Ihr wisst, dass es niemanden ausser uns gibt, der es machen kann. Niemand sonst hat diesen Draht zu den Grauen, niemand sonst kennt sie so gut wie wir. Wir gehen auf eigene Verantwortung. Alles, was wir verlangen, ist dass unsere Kinder versorgt werden. Falls wir nicht zurückkommen…"

      Kapitel 4 - Aufbruch

      "Hast du alles?", fragte Laura zum gefühlten siebzehnten Mal. Petra rollte mit den Augen. Ferry auch, jedoch hinter Lauras Rücken, weil sie ihn sonst gleich wieder geknufft hätte. Sie mochte es nicht, wenn er mit den Augen rollte.

      "Jaaaa…", bestätigte die kleine Rothaarige in besänftigendem Ton. "Alles da: Windeln, Milchpulver, Nuckelflaschen, Schmusedecken, Salbe, Puder, und zehn Tonnen anderes Material!" Sie hielt die Riesentasche hoch, die Laura gepackt hatte. "Ach ja, und zwei süsse Kinder!", fügte sie hinzu und nickte mit dem Kopf in Richtung des Doppel-Kinderwagens. "Alles gut, Laura, alles im Griff."

      Laura seufzte, schaute noch einmal alles durch und gab sich schliesslich zufrieden.

      Sie standen im Flur der Black'schen Wohnung an der Bertastrasse. Petra, Lauras Assistentin aus der Zentrale, hatte sich noch so gerne bereit erklärt, auf die Kinder aufzupassen. Sie war total vernarrt in die Zwillinge und diese mochten Petra ebenso. Tagsüber würden die Kinder bei Mario im Kinderhort sein und den Rest der Zeit würde Petra auf sie aufpassen.

      Es hatte eine kurze Diskussion zwischen Ferry und Laura darüber gegeben, ob sie die Kinder mitnehmen wollten. Laura wollte die Kinder am liebsten um sich haben, und sie fand, dass sie möglichst viel Kontakt zu Annungach, dem grauen Baby der Königin haben sollten. Ferry fand, dass sie später noch lange genug mit Annungach würden spielen können. Für ihn war klar, dass diese Mission viel zu gefährlich war, um die Kinder mitzunehmen. Sie selbst wussten ja nicht einmal, was sie erwartete. Er hatte Laura vor die Wahl gestellt, mit den Kindern zu Hause zu bleiben, oder ohne die Kinder mitzukommen. Für Laura war jedoch klar, dass sie ihren Mann auf keinen Fall würde allein in eine fremde Parallelwelt reisen lassen. Also hatten sie schweren Herzens beschlossen, die Kinder in Petras Obhut in P0 zurückzulassen. Da sie nicht abschätzen konnten, wie lange sie fort sein würden, hatte Laura eine Milchpumpe eingepackt. Wenn sie zu lange nicht stillte, würde die Muttermilch sonst versiegen. Mit der Pumpe konnte sie die Produktion aufrecht erhalten, auch wenn sie sich dabei ein wenig seltsam fühlte.

      Sie verabschiedeten sich ausgiebig von den Zwillingen. Sie waren sich bewusst,


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