Virginia Rose. Hanna Marten
sie ohne ihr Wissen mit unserer Magie zu umspielen oder ihnen Hoffnung auf unsere Existenz zu machen.
Seit Bobs Tod hatte ich mich stets sichtbar gemacht, wenn ich mich für längere Zeit in die Nähe der Menschen gewagt hatte.
Unsichtbar wagte ich keine längeren Aufenthalte mehr, um Unschuldige nicht zu gefährden. Richtete ich mein Augenmerk auf meine Aufgabe, mich um die Natur zu kümmern, stellte dieser Umstand keinerlei Konsequenzen dar. Immer und immer wieder rief ich mir ins Gedächtnis, für wen ich dies alles auf mich nahm und je besser ich diese Aufgabe erfüllte, desto schneller würde die Zeit zu meinen Gunsten entscheiden.
An diese Hoffnung klammerte ich mich seit über einhundert Jahren.
Doch ich hatte keine Ahnung, dass sich die Ereignisse bereits am nächsten Tag überschlagen und meine sämtlichen Erinnerungen an Katie und Bob mich einholen würden.
Nach einer Nacht ohne Schlaf und mit schmerzvollen Erinnerungen machte ich mich nach Sonnenaufgang auf den Weg, dieses Mal gekleidet als moderne junge Frau mit einem dunkelgrün gemusterten warmen Schal und einer schwarzen Lederjacke.
Mein Haar hatte ich zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden und mein Gesicht so gut ich konnte im See gewaschen.
Sobald der Frühling eintraf, würde ich mir ein paar Tage Urlaub in den Bergen gönnen und dem Tal vorerst den Rücken kehren.
Ich begann, Ausschau nach Max zu halten, der mir bei meinem Vorhaben sicher behilflich sein konnte.
Als ich auf Höhe des Rundturmes durch die Ruinen der alten Grundrisse lief, sprang er neben mir plötzlich auf eine Mauer.
„Guten Morgen!“
Ich machte einen Satz zur Seite und wäre beinahe über einen Grabstein gefallen, der schief im Boden verankert war.
„Bist du verrückt, mich so zu erschrecken?“, fuhr ich den Hund an, der auf mich herabsah.
„Sorry, aber du siehst aus wie eine rachsüchtige Dame, wie du so zwischen den Grabsteinen entlangwanderst. Fehlt nur noch das weiße Kleid.“
Ich winkte ab. „Schon klar, du Charmeur. Ich brauche deine Hilfe bei meinem Vorhaben, Informationen über Feen zu bekommen.“
Max legte die Ohren an und blinzelte. „Oh Gott, du leidest an Amnesie? Vielleicht könnten wir für dich eine Fahrt in den Süden engagieren, ich könnte wetten, dass dir etwas mehr Sonne guttun würde.“
Ich winkte ab. „Darum geht es nicht. Es könnte sein, dass jemand von den Einheimischen etwas über Feen weiß und einen Hinweis geben kann, warum mir das passiert.“
Max sprang auf den Boden und trippelte voraus. „Ach deshalb siehst du heute besser aus als gestern, du bist sichtbar.“
Er konnte meiner Meinung nach von Glück sagen, dass er mich in jedem Zustand sehen konnte.
Den Rest des Weges schwieg ich, bis wir auf die Straße traten und sich zu unserer Rechten das Informationscenter und dahinter das Glendalough Hotel erstreckten.
„Die Buden machen erst später auf, wenn die Leute vom Hotel kommen und die Touristen ihre Wandertouren machen“, überlegte ich laut. Dabei sah ich immer wieder die Straße auf und ab, um sicherzustellen, dass niemand mich mit einem Hund reden hörte.
Unterdessen setzten wir unseren Weg in Richtung Hotel und zu den größeren Parkplätzen fort.
„Warum brichst du nicht einfach in das Hotel ein? Ich verstehe sowieso nicht, warum du hier als normaler Mensch verkleidet rumläufst“, sagte Max und kam vor dem Eingang zum Stehen.
„Ich bin mir nicht sicher, wie lange ich fähig bin, mich unsichtbar zu machen, Max. Meine Kräfte, die mir von der Natur gegeben werden, sind schwach. Wie lange ich durchhalten kann, ist ungewiss. Ich muss es riskieren.“
Max trippelte an mir vorbei. „Dann geh wenigstens durch die Hintertür. So kommst du direkt an der Küche und nicht sofort an mehreren Angestellten vorbei.“
Ich nickte. „Gut zu wissen.“
Unser Weg führte uns an der verglasten Kuppel des Restaurants vorbei über eine geschwungene Brücke, die über den kleinen Bach verlief und danach im Hinterhof endete.
Die Tür zur Küche war glücklicherweise unverschlossen, also schlüpfte ich hindurch und Max folgte mir.
Wir befanden uns am Fuße eines langen Korridors. Zu unserer Linken zweigte ein weiterer kleiner Gang ab, aus dem Geräusche von klirrendem Besteck und dem Spülbecken zu hören waren, dazu mehrere Stimmen. Offenbar ging es in dieser Richtung in die Küche. Max und ich steuerten den Korridor entlang bis zu dessen Ende, an dem eine Schwingtür uns in das Herz des Hotels eintreten ließ: Mit dunklem Parkettboden ausgelegte Gänge, deren Wände weinrot tapeziert waren, führten rechts in einen Vorraum mit zwei gemütlichen Sesseln und einem Kamin. Links schwangen sich zwei mit Teppichen ausgelegte Treppen hinauf in die Gästezimmer.
Ich ging mit Max in Richtung des Kamins und drehte einen der Sessel mit der Lehne um, sodass ich mich für eine Minute unbemerkt mit ihm besprechen konnte. Offenbar waren wenige Gäste anwesend, denn es herrschte Stille.
„Wonach suchst du überhaupt?“, fragte Max. „Wenn du Hinweise willst, kannst du im Hotel niemanden ansprechen. Sie würden dich fragen, was du hier zu suchen hast.“
Ich sah mich immer wieder nach allen Seiten um. „Nicht, wenn ich ihren Fragen zuvorkomme. Wo ist die Rezeption?“
„Den Gang rechts entlang“, lautete die geflüsterte Antwort des Hundes. Ich stand auf und ging so selbstverständlich wie möglich den geheißenen Weg. Meine Nervosität machte sich durch meinen pochenden Herzschlag bemerkbar und der Drang, mich unsichtbar zu machen, war übermächtig. Doch wenn ich nichts Neues erfuhr, konnte ich mich womöglich bald von meinen Fähigkeiten verabschieden.
Die Rezeption stellte sich als unbesetzt heraus.
Als ich mich umsah, fiel mein Blick auf den Türbogen, hinter dem sich scheinbar der Speisesaal befand. Ich huschte hinüber, wagte einen Blick um die Ecke und zuckte sofort wieder zurück:
Direkt an der Wand hinter dem Eingang unterhielten sich zwei Damen gemütlich vor zwei Tassen Tee und leer gegessenen Frühstückstellern. Ich entschied mich, zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal in das Hotel zurückzukehren, als ich ihren Gesprächsfaden aufschnappte: „… ist entsetzlich kalt für diese Jahreszeit. Ich frage mich, ob es tatsächlich am Klima liegt“, sagte die Dame, die mit dem Rücken zu mir saß und einen dicken Tweed-Mantel trug.
„Woran denn sonst? Wetterschwankungen sind in diesem Jahrhundert bereits an der Tagesordnung, Betty. Außerdem werden wir auch nicht jünger, Liebes. Es gab bereits bessere Jahre, in denen wir uns hier zu unseren Touren getroffen haben, erinnerst du dich?“, widersprach ihre Freundin.
„Dem Tal geht es schlecht, daran liegt es. Der Geist der Natur ist geschwächt, so hat der Winter leichtes Spiel. Du weißt genau, dass in diesen Wäldern Naturgeister umherwandeln. Ein Ort, der noch weitestgehend unberührt geblieben ist von dem, was man Industrialisierung nennt!“, fuhr Betty fort.
Ich drückte mich so gut es ging gegen die Wand, während Max neben mir um die Ecke spähte, die Ohren gespitzt.
„Du glaubst tatsächlich immer noch daran? Erinnerst du dich an den Tod der beiden Menschen vor einigen Jahren? War ganz groß in der Zeitung. Diese Kellnerin hat hier gearbeitet und der Landstreicher kannte sich hier auch bestens aus. Und das Schlimmste war natürlich diese junge Malerin vor acht Jahren“, sagte ihre Freundin. Ich spürte, wie mein Herzschlag zu stolpern begann. Wovon redete diese Frau?
„Was passierte mit der Malerin?“, fragte Betty. Ich schob mich unwillkürlich näher heran und prüfte, ob jemand in der Nähe war, doch noch immer war niemand zu sehen.
„Sie geriet bei Wind und Wetter vor der Küste mit ihrem Boot in Bedrängnis. Es war furchtbar. Das Boot kenterte und man hat zwei Tage