Winnetou Band 1. Karl May
»Ja. Die Büffel sind da; sie haben ihre Wanderung nach Süden angetreten; da werden sich auch bald die
Mustangs sehen lassen; ich kenne das.«
»Darf ich dabei sein, wenn Ihr Euch einen fangt?«
»Natürlich. Ihr müßt auch das kennen lernen. Doch kommt jetzt. Wir wollen uns den alten Bullen
ansehen. Vielleicht lebt er noch. Solche Methusalems pflegen ein außerordentlich zähes Leben zu haben.«
Wir gingen hin. Das Tier war tot. Jetzt, da es still dalag, konnte man die kolossalen Formen noch besser
mit den Augen messen als vorher. Sam ließ seine Augen zwischen dem Bullen und mir hin und her
gehen, zog ein ganz unbeschreibliches Gesicht, schüttelte den Kopf und meinte:
»Es ist unerklärlich, ganz und gar unerklärlich! Wißt Ihr denn, wo Ihr ihn getroffen habt?«
»Nun, wo?«
»Grad an der richtigen Stelle. Es ist ein uralter Kerl, und ich hätte es mir gewiß vorher zehnmal überlegt,
ehe ich so verwegen gewesen wäre, mit ihm anzubinden. Wißt Ihr, was Ihr seid, Sir?«
»Was?«
»Der leichtsinnigste Mensch, den es gibt.«
»Oho!«
»Ja, der leichtsinnigste Mensch, den es auf Erden geben kann.«
»Leichtsinn ist mein Fehler nie gewesen.«
»So habt Ihr Euch jetzt mit ihm befreundet. Verstanden! Ich hatte Euch doch befohlen, Eure Hände von
den Büffeln zu lassen und in den Büschen stecken zu bleiben. Warum habt Ihr mir nicht gehorcht?«
»Weiß es selber nicht.«
»So! Ihr tut etwas, ohne den Grund davon zu kennen. Ist denn das nicht leichtsinnig?«
»Glaube nicht. Es wird wohl ein triftiger Grund vorhanden gewesen sein.«
»So müßtet Ihr ihn kennen!«
»Vielleicht ist's der, daß Ihr mir einen Befehl erteilt habt, und ich lasse mir nichts befehlen.«
»So! Wenn man es gut mit Euch meint und Euch vor einer Gefahr warnt, so seid Ihr nun erst recht so
obstinat, Euch in dieselbe zu werfen?«
»Ich bin nicht nach dem Westen gekommen, um den Gefahren, welche es da gibt, auszuweichen.«
»Ganz gut. Aber Ihr seid noch ein Greenhorn und habt Euch in acht zu nehmen. Und wenn Ihr mir nicht
folgen wolltet, warum habt Ihr Euch da grad an dieses Riesenvieh und nicht an eine Kuh gemacht?«
»Weil es ritterlicher war.«
»Ritterlicher! Dieses Greenhorn will den Ritter spielen, wenn ich mich nicht irre, hihihihi!«
Er lachte, daß er sich den Bauch halten mußte, und fuhr dann, noch immer lachend, fort:
»Wenn Ihr es Euch wirklich in den Kopf gesetzt habt, als Ritter aufzutreten, so spielt den Ritter
Toggenburg, aber keinen andern. Zu einem Bayard oder Roland fehlt Euch das Zeug. Verliebt Euch in
eine Büffelkuh und setzt Euch täglich in die Abendsonne, um zu warten,
"bis die Liebliche sich zeigt
und ins Tal herniederneigt."
Und sogar auch dann könnt Ihr eines Abends als Leiche dasitzen und von den Coyoten und Aasgeiern
aufgefressen werden. Wenn ein richtiger Westmann etwas tut, so fragt er nicht, ob es ritterlich, sondern
ob es nützlich für ihn ist.«
»Das ist doch hier der Fall.«
»Hier? Wie so?«
»Ich wählte den Büffel, weil er viel, viel mehr Fleisch hat, als eine Kuh.«
Er sah mir einen Augenblick lang verständnislos in das Gesicht und rief dann aus:
»Viel mehr Fleisch? Dieser junge Mann hier hat den Bullen des Fleisches wegen geschossen, hihihihi!
Ich glaube gar, Ihr habt an meinem Mute gezweifelt, weil ich es nur auf eine Kuh absah?«
»Das nicht, obgleich ich es für mutiger hielt, sich ein starkes Tier auszuwählen.«
»Und Bullenfleisch zu essen? Was seid Ihr doch für ein ausnehmend kluger Mensch, Sir! Dieser Bulle hat
sicher seine achtzehn bis zwanzig Jahre auf dem Rücken; er besteht aus einem Felle und vielen Knochen
und Flechsen und Sehnen. Und das Fleisch, welches er dabei hat, ist nicht mehr Fleisch zu nennen, denn
es ist so hart wie gegerbtes Leder, und wenn Ihr es tagelang bratet oder kocht, so könnt Ihr es doch nicht
kauen. Jeder erfahrene Westmann zieht eine Kuh dem Ochsen vor, weil ihr Fleisch zarter und saftiger ist.
Da seht Ihr nun wieder, was für ein Greenhorn Ihr seid. Ich hatte keine Zeit, auf Euch aufzupassen. Wie
hat sich denn Euer leichtsinniger Angriff auf den Büffel abgespielt?«
Ich erzählte es ihm. Als ich fertig war, maß er mich mit großen Augen, schüttelte abermals den Kopf und
forderte mich auf:
»Geht da hinunter, und holt Euer Pferd! Wir brauchen es, denn es soll das Fleisch tragen, welches wir
mitnehmen werden.«
Ich folgte dieser Aufforderung. Aufrichtig gestanden, fühlte ich mich enttäuscht über sein Verhalten. Er
hatte meine Darstellung angehört, ohne dann auch nur ein Wort zu sagen. Ich glaubte aber, eine, wenn
auch noch so kleine Anerkennung erwarten zu dürfen. Anstatt dessen sagte er gar nichts, sondern schickte
mich fort, mein Pferd zu holen. Ich war ihm trotzdem nicht bös, denn ich bin niemals ein Mensch
gewesen, der um des Lobes willen etwas tut.
Als ich das Pferd brachte, kniete Sam bei der von ihm erlegten Büffelkuh, hatte von dem einen
Hinterschenkel kunstgerecht das Fell entfernt und schälte nun die Lende heraus.
»So,« sagte er; »das gibt für heut abend einen Braten, wie wir lange Zeit keinen gegessen haben. Diese
Lende laden wir mit dem Sattel und dem Zaume auf Euer Pferd. Sie ist bloß für mich, Euch, Will und
Dick. Wenn die Andern auch etwas haben wollen, so mögen sie hierher reiten und sich die Kuh holen.«
»Wenn sie nicht inzwischen von Aasvögeln und andern wilden Tieren weggefressen wird.«
»So? Wie klug Ihr da wieder seid! Es versteht sich ganz von selbst, daß wir sie mit Zweigen bedecken
und dann Steine darauf legen. Es müßte schon ein Bär oder ein anderes großes Raubtier sein, das nachher
dazu könnte.«
Ich schnitt also starke Zweige aus dem nahen Gebüsch und holte schwere Steine herbei. Wir bedeckten
die Kuh damit und beluden dann mein Pferd. Dabei erkundigte ich mich:
»Was wird denn mit dem Bullen?«
»Mit dem? Was soll aus ihm werden?«
»Können wir denn nichts von ihm brauchen?«
»Gar nichts.«
»Auch nicht das Leder?«
»Seid Ihr ein Lohgerber? Ich bin keiner!«
»Ich habe aber doch gelesen, daß die Häute der erlegten Büffel in sogenannten Caches versteckt und
aufgehoben werden!«
»So, das habt Ihr gelesen? Na, wenn Ihr es gelesen habt, so muß es ja wahr sein, denn alles, was man über
den wilden