Winnetou Band 1. Karl May

Winnetou Band 1 - Karl May


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sie sich aufwärts bewegten. Erst von der Größe von Sperlingen, schienen sie

       hierauf Katzen, Hunde, Kälber zu sein, bis sie sich so weit genähert hatten, daß ich sie in ihrer wirklichen

       Größe sah. Es waren die Mustangs, welche im wilden Jagen auf mich zugesprengt kamen.

       Welch einen Anblick boten diese herrlichen Tiere! Die Mähnen wehten um die Hälse, und die Schwänze

       flogen wie Federbüsche im Winde. Es waren höchstens dreihundert Stück, und doch schien die Erde unter

       ihren Hufen zu zittern. Ein Schimmelhengst flog allen voran, ein prächtiges Tier, welches man sich hätte

       fangen mögen, aber es wird keinem Prairiejäger einfallen, einen Schimmel zu reiten. So ein helles Tier

       würde ihn jedem Feinde schon von weitem verraten.

       Jetzt war es Zeit, mich ihnen zu zeigen. Ich lenkte unter den Bäumen heraus ins Freie, und die Wirkung

       trat augenblicklich ein: der führende Schimmel prallte zurück, als ob er eine Kugel in den Leib

       bekommen habe; die Herde hielt an und stutzte; ein lautes ängstliches Schnauben; dann hieß es: ganze

       Schwadron kehrt! und, den Schimmel schnell wieder an der jenseitigen Spitze, jagten die Tiere dahin

       zurück, woher sie gekommen waren.

       Ich folgte ihnen langsam; ich hatte keine Eile, denn ich war sicher, daß Sam Hawkens sie mir wieder

       zutreiben würde. Dabei suchte ich mir einen Umstand zurecht zu legen, welcher mir aufgefallen war.

       Obgleich nämlich die Pferde nur einen kurzen Augenblick vor mir gehalten hatten, war es mir doch

       vorgekommen, als ob eins von diesen Tieren kein Pferd, sondern ein Maultier sei. Ich konnte mich zwar

       irren, aber ich glaube [glaubte] doch, richtig gesehen zu haben. Beim zweitenmal wollte ich besser

       aufpassen. Dieses Maultier hatte sich in der vordersten Reihe, und zwar gleich hinter dem Leitschimmel

       befunden; es war also von den Pferden nicht nur als ihresgleichen anerkannt, sondern es besaß sogar

       einen Rang unter ihnen.

       Nach einiger Zeit kam die Herde wieder aufwärts und kehrte bei meinem Anblicke abermals um. Das

       wiederholte sich noch einmal, und da sah ich, daß ich mich nicht geirrt hatte; es war ein Maultier unter

       ihnen, ein ziemlich hellbraunes Maultier mit dunklem Rückenstreifen. Es machte auf mich einen höchst

       vorteilhaften Eindruck und war trotz des großen Kopfes und der langen Ohren doch ein schönes Tier.

       Maultiere sind genügsamer als Pferde, haben einen viel sicherern Tritt und schwindeln nicht vor

       Abgründen. Das sind Vorzüge, welche in die Wage fallen. Freilich sind sie auch störrisch. Ich habe

       Maultiere gesehen, welche sich lieber totprügeln ließen, als daß sie einen Schritt vorwärts gingen, und

       doch hatte man ihnen gar nichts aufgeladen, und der Weg war prächtig. Sie wollten eben nicht.

       Es war mir vorgekommen, als ob dieses Maultier viel Feuer zeige, als ob seine Augen heller glänzten und

       intelligenter blickten als diejenigen der Pferde, und ich nahm mir vor, es zu fangen. Es war jedenfalls

       seinem Besitzer beim Vorüberjagen einer wilden Pferdeherde entflohen und dann bei den Mustangs

       geblieben.

       Jetzt brachte Sam den Trupp wieder getrieben. Wir waren einander so nahe gekommen, daß ich ihn sah.

       Nun konnten die Mustangs weder vor noch zurück; sie brachen nach der Seite aus. Wir folgten ihnen. Die

       Herde teilte sich, und ich sah, daß das Maultier bei der Hauptabteilung blieb; es jagte jetzt an der Seite

       des Schimmels dahin; es war ein außerordentlich schnelles und ausdauerndes Tier. Ich hielt mich also zu

       diesem Trupp, und Sam schien es auch auf denselben abgesehen zu haben.

       »In die Mitte nehmen, ich links, Ihr rechts!« rief er mir zu.

       Wir gaben unsern Pferden die Sporen und hielten nun nicht nur gleichen Schritt mit den Mustangs,

       sondern kamen ihnen so schnell näher, daß wir sie eingeholt hatten, noch ehe sie den Wald erreichten. Da

       hinein gingen sie nicht; sie kehrten also wieder um und wollten zwischen uns durch. Um das zu

       verhindern, jagten wir schnell aufeinander zu; da stoben sie nach allen Seiten auseinander wie eine

       Hühnerschar, in welche der Habicht gestoßen ist. Der Schimmel und das Maultier schossen, von den

       andern abgesondert, zwischen uns hindurch; wir jagten ihnen nach. Dabei rief mir Sam, der seinen Lasso

       zum Wurfe schon über dem Kopfe wirbelte, zu:

       »Wieder Greenhorn! Werdet es auch ewig bleiben!«

       »Warum?«

       »Weil Ihr nach dem Schimmel trachtet, und das kann doch nur ein Greenhorn tun, hihihihi!«

       Ich antwortete ihm, aber er hörte es nicht, weil sein lautes Lachen meine Worte übertönte. Also er dachte,

       ich hätte es auf den Schimmel abgesehen. Meinetwegen! Ich überließ ihm also das Maultier und lenkte

       zur Seite, wo die Mustangs nun ängstlich schnaubend und wiehernd regellos durcheinanderjagten. Sam

       war dem Maultiere so nahe gekommen, daß er den Lasso warf. Die Schlinge fiel richtig; sie legte sich um

       den Hals des Tieres. Nun mußte Sam anhalten und, wie er mir ja so sorgsam angeraten hatte, sein Pferd

       nach rückwärts werfen, um den Ruck aushalten zu können, wenn der abgelaufene Lasso sich straff

       spannte. Er tat dies auch, aber um einen Augenblick zu spät; sein Pferd hatte sich noch nicht umgedreht,

       noch nicht eingestemmt und wurde von dem gewaltigen Rucke umgerissen. Sam Hawkens flog, einen

       unendlich brillanten Purzelbaum schlagend, weit durch die Luft und auf die Erde nieder. Das Pferd raffte

       sich rasch wieder auf und rannte weiter. Dadurch verlor der Lasso die Spannung, und das Maultier,

       welches festgestanden hatte und nicht umgerissen worden war, bekam Luft; es galoppierte auch fort und

       riß das Pferd, weil der Lasso am Sattelknopfe befestigt war, über die Prairie dahin.

       Ich eilte zu Sam, um nachzusehen, ob er verletzt sei. Er war aufgestanden und rief mir erschrocken zu:

       »Alle Wetter! Da reißt mir Dick Stones Gaul mitsamt dem Maultiere aus, ohne auch nur Adieu zu sagen,

       wenn ich mich nicht irre!«

       »Habt Ihr Euch beschädigt?«

       »Nein. Steigt schnell ab, und gebt mir Euer Pferd. Ich muß es haben!«

       »Wozu?«

       »Ich will natürlich den beiden Ausreißern nach. Also steigt schnell herunter!«

       »Fällt mir nicht ein! Könntet wieder einen Purzelbaum riskieren, und dann wären alle beide Pferde zum

       Teufel.«

       Bei diesen Worten trieb ich mein Pferd weiter, dem Maultiere nach. Dieses war schon eine bedeutende

       Strecke fort, kam aber jetzt mit dem Pferde in Konflikt. Dieses wollte hierhin und jenes dorthin, und

       dadurch hielten sie einander auf, weil sie mit dem Lasso zusammenhingen. Darum holte ich sie bald ein.

       Es kam mir gar nicht in den Sinn, meinen Lasso zu gebrauchen, sondern ich griff nach dem andern,

       welcher die beiden Tiere verband, wickelte ihn mir einigemal um die Hand und war nun sicher, das

       Maultier bändigen zu


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