Joseph Conrad - Seefahrer und Schriftsteller. Joseph Conrad

Joseph Conrad - Seefahrer und Schriftsteller - Joseph Conrad


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war das einzige Mienenspiel, zu dem er sich verstand; er war ein Südländer vom beherrschten, überlegten Schlag. Sein ebenholzschwarzes Haar kräuselte sich schwach an den Schläfen. Er mag vierzig Jahre alt gewesen sein, und er war ein gewaltiger Seefahrer auf dem Binnenmeer. –

      Er war so schlau und verschlagen, dass er an List mit dem von Unglück geschlagenen Sohn des Laertes und der Anticlea hätte wetteifern können. Wenn er seinen Witz und seine Kühnheit nicht gegen die Götter selbst kehrte, so nur, weil die olympischen Götter tot sind. Ihn konnte gewiss keine Frau in Angst und Schrecken versetzen. Ein einäugiger Riese würde nicht die allergeringste Aussicht gegen Dominic Cervoni aus Korsika, nicht Ithaka, gehabt haben; er war auch kein König oder Sohn von Königen, aber doch aus sehr achtbarer Familie – einer echten Caporali, wie er versicherte. Das mag ja nun stimmen oder nicht. Die Caporali-Familien gehen bis ins zwölfte Jahrhundert zurück.

      Aus Mangel an erhabeneren Gegnern kehrte Dominic seine an gottlosen Listen fruchtbare Kühnheit gegen die irdischen Mächte, wie sie durch Zollhäuser und alle dazugehörigen Sterblichen – Sekretär, Beamte und Guardacostas zu Lande und zur See – verkörpert werden. Er war der richtige Mann für uns, dieser moderne und ungesetzliche Irrfahrer mit seiner eigenen Legende von Liebe, Gefahr und Blutvergießen. Manchmal erzählte er uns in gemessenem, ironischem Tone Bruchstücke davon. Er sprach Katalonisch, das Italienisch von Korsika und das Französisch der Provence mit der gleichen leichten Ungezwungenheit. In seinem Landzeug, wie ich ihn einmal mit zu Doña Rita nahm, in weißem, gestärktem Hemd, schwarzer Jacke und rundem Hut, sah er sehr stattlich aus. Er verstand es, sich durch taktvolle und raue Zurückhaltung, die noch einen grimmen, wenn auch nicht aufdringlichen Mutwillen in Ton und Gebärde unterstrichen wurde, sehr interessant zu machen.

      Er hatte die äußerliche Sicherheit mutiger Männer. Nach einer halbstündigen Unterhaltung im Esszimmer, während der sie auf geradezu erstaunliche Weise miteinander in Fühlung kamen, sagte uns Rita auf ihre beste grande-dame-Manier: „Mais il est Parfait, cet komme.“ (Aber er ist perfekt, dieser Mann) Er war vollkommen. Wenn er an Bord der TREMOLINO in einen schwarzen caban, den male­rischen Mantel der Seeleute des Mittelmeeres, eingehüllt dastand, sah er mit dem dichten Schnurrbart und seinen wissenden, durch den Schatten der tiefen Kapuze betonten Augen piratenhaft und mönchisch aus und überdies geheimnisvoll eingeweiht in die furchtbarsten Mysterien des Meeres.

      Jedenfalls war er vollkommen, wie Doña Rita festgestellt hatte. Das einzig Unzulängliche (und sogar Unerklärliche) an unserem Dominic war sein Neffe Cesar. Es war ergreifend, zu sehen, wie ein trostloser Ausdruck der Scham die rücksichtslose Kühn­heit in den Augen dieses Mannes verschleierte, der über alle Skrupel und Ängste erhaben war.

      „Ich hätte niemals gewagt, ihn an Bord Ihrer Balancelle zu bringen“, entschuldigte er sich einmal mir gegenüber. „Aber was soll ich tun? Seine Mutter ist tot, und mein Bruder ist in den Busch gegangen.“

      Auf diese Weise erfuhr ich, dass unser Dominic einen Bruder hatte. „In den Busch gehen“ heißt nur, dass ein Mann in Verfolg einer erblichen Vendetta seine Pflicht getan hat. Die Blutrache, die seit langer, langer Zeit zwischen den Familien Cervoni und Brunaschi bestand, war so alt, dass sie schließlich beinahe ausgeglommen wäre. Eines Abends saß Pietro Brunaschi nach einem arbeitsreichen Tage unter seinen Olivenbäumen auf einem Stuhl an der Mauer seines Hauses, er hatte eine Schüssel Suppe auf den Knien und ein Stück Brot in der Hand. Dominics Bruder, der mit einem Gewehr auf der Schulter nach Hause ging, fühlte sich durch dieses Bild der Zufriedenheit und Ruhe, das so offensichtlich darauf berechnet war, seine Haas- und Rachegefühle zu wecken, plötzlich beleidigt. Er und Pietro hatten nie einen persönlichen Streit gehabt, aber, wie Dominic erklärte, „walle unsere Toten schrien aus ihm“. Er rief hinter einer Mauer aus Steinen hervor: „O Pietro! Gib acht, was da kommt!“ Und als der andere arglos aufsah, zielte er auf die Stirne und glich die alte Vendettarechnung so sauber aus, dass der tote Mann mit der Suppenschüssel auf den Knien und dem Stück Brot in der Hand still sitzen blieb.

      Darum – denn in Korsika verlassen deine Toten dich nicht – musste Dominics Bruder in den maquis gehen, in den wilden Bergbusch, um die Gendarmen für den unbedeutenden Rest seines Lebens an der Nase herumzuführen, darum war Dominic die Obhut über seinen Neffen und die Aufgabe zuteil geworden, einen Mann aus ihm zu machen.

      Man kann sich kein aussichtsloseres Vorhaben denken. Es fehlte einfach an Material für die Aufgabe. Wenn die Cervonis keine schönen Männer waren, so waren sie doch gut und kernig in Fleisch und Blut. Aber dieser ungemein magere und fahle Jüngling schien nicht mehr Blut in den Adern zu haben als eine Schnecke.

      „Eine verfluchte Hexe muss das Kind meines Bruders aus der Wiege gestohlen und dieses verhungerte Teufelsgezücht dafür hineingelegt haben“, sagte mir Dominic manchmal. „Sehen Sie ihn an! Sehen Sie ihn doch nur an!“

      Es war kein Vergnügen, Cesar anzusehen. Seine pergamentartige Haut schimmerte am Schädel totenbleich durch die dünnen Strähnen schmutzig braunen Haares und schien knapp und unmittelbar auf seine großen Knochen geklebt zu sein. Er war keineswegs verunstaltet, aber von allen Wesen, die ich je gesehen oder mir vorgestellt habe, kam er dem, was man üblicherweise unter dem Worte „Scheusal“ versteht, am allernächsten. Dass diese Wirkung seinem inneren Wesen entsprang, unterliegt für mich keinem Zweifel. Eine vollkommen und hoffnungslos verderbte Natur drückte sich körperlich aus, aber wenn man jedes seiner Glieder für sich betrachtete, so war weiter nichts Erschreckendes daran. Man hatte den Ein­druck, er müsse sich feucht und kalt wie eine Schlange anfühlen. Dem geringsten Vorwurf, der mildesten und gerechtesten Ermahnung begegnete er mit tückischem Blick, mit bösem Zucken seiner dünnen, trockenen Oberlippe und einem hassvollen Knurren; gewöhnlich fügte er auch noch das bedrohliche Geräusch knirschender Zähne hinzu.

      Nicht um seiner Lügen, seiner Frechheit und Faulheit, sondern um dieses bösartigen Betragens willen schlug sein Onkel ihn manchmal zu Boden. Man darf sich darunter keinen brutalen Angriff vorstellen. Dominics stämmiger Arm machte besonnen eine weite horizontale Bewegung, einen würdevoll wegfegenden Schwung, und Cesare kippte wie ein Kegel um – das sah spaßig aus. Aber wenn er erst dalag, wand und krümmte er sich auf dem Deck und knirschte vor ohnmächtiger Wut – das war ziemlich schrecklich anzusehen. Und es geschah auch mehr als einmal, dass er vollkommen verschwand – das sah überraschend aus. Dies ist die volle Wahrheit. Manche dieser majestätischen Hiebe ließen Cesare zu Boden gehen und verschwinden. Er verschwand Hals über Kopf in offene Luken, in Niedergänge, hinter herumstehende Fässer, je nach dem Platz, an dem er mit seines Onkels mächtigem Arm in Berührung kam.

      Einmal – es war im alten Hafen, gerade vor TREVOLINOs letzter Reise – verschwand er zu meiner tiefsten Bestürzung über Bord. Dominic und ich hatten achtern unsere Angelegenheiten besprochen, und Cesar war hinter uns her geschlichen, um zu lauschen, denn zu seinen anderen Vorzügen war er auch noch ein vollendeter Horcher und Spion. Beim Geräusch des schweren Plumpses wurzelte der Schreck mich auf der Stelle fest, aber Dominic trat ruhig an die Verschanzung, sah hinüber und wartete darauf, dass der erbärmliche Kopf seines Neffen zum ersten Mal wieder auftauchen würde.

      „Ohe, Cesar!“ rief er dem platschenden Wicht verächtlich zu. „Halte dich an der Trosse fest – charogne!“ (Aas)

      Er kam zu mir her, um die unterbrochene Besprechung wiederaufzunehmen.

      „Und Cesar?“ fragte ich besorgt.

      „Canallia! Lass ihn da hängen bleiben“, war seine Antwort. Und er sprach ruhig über das bevorstehende Unternehmen weiter, während ich vergebens versuchte, aus meinem Gemüt das Bild Cesars zu verbannen, wie er bis ans Kinn im Wasser des alten Hafens lag, diesem Absud aus jahrhundertealten Schiffsabfällen. Nach einer Weile rief Dominic einen Jollenführer an, der nichts zu tun hatte, und beauf­tragte ihn, seinen Neffen herauszufischen; und bald darauf erschien Cesar über den Kai an Bord. Er zitterte und troff von schmutzigem Wasser, in seinen Haaren hatten sich verfaulte Strohhalme verfangen, und auf seiner Schulter war ein Stück dreckige Apfelsinenschale gelandet. Seine Zähne klapperten, seine gelben Augen schielten unheilvoll zu uns herüber, als er nach vorne ging. Ich hielt es für meine Pflicht, Einspruch zu erheben.

      Ich fragte: „Warum prügeln Sie immer auf ihm herum, Dominic?“ Wirklich, ich


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