Joseph Conrad - Seefahrer und Schriftsteller. Joseph Conrad

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Schmerz die Hände zusammen. Ich vergaß es! Ich vergaß es!“ wiederholte er verzweifelt.

      „Cesar stahl den Gürtel?“ stammelte ich bestürzt.

      „Wer sonst? Canallia! Er muss Ihnen tagelang nachspioniert haben. Und er hat das Ganze angestiftet. In Barcelona den ganzen Tag fort. Tradidore! Verkaufte seine Jacke – weil er ein Pferd mieten wollte. Haha! Ein guter Handel! Ich sage Ihnen, er war es, der ihn auf uns gehetzt hat...“

      Dominic zeigte hinaus auf die See, wo der Guardacosta nur noch als dunkler Fleck zu sehen war. Sein Kinn sank auf die Brust.

      „... mit genauer Nachricht“, murmelte er mit trauriger Stimme. „Ein Cervoni! Ach! Mein armer Bruder ! ...“

      „Und Sie haben ihn ertränkt“, sagte ich schwach.

      „Ich schlug einmal zu, und der Schuft ging unter wie ein Stein – mit dem Gold. Ja. Aber er hatte vorher Zeit, in meinen Augen zu lesen, dass nichts ihn retten konnte, solange ich lebte. Und hatte ich nicht das Recht dazu – ich, Dominic Cervoni, Padrone, der ihn an Bord Ihrer Fellucca gebracht hat – meinen Neffen, einen Verräter?“

      Er zog den Riemen wieder aus der Erde und half mir vorsichtig den Abhang hinab. Während der ganzen Zeit sah er mir nicht ein einziges Mal ins Gesicht. Er stakte uns im Punt über den Fluss, schulterte wieder den Riemen und wartete, bis unsere Leute einen gewissen Vorsprung hatten; dann erst bot er mir seinen Arm an. Nachdem wir eine kurze Strecke gegangen waren, kam das kleine Fischerdorf in Sicht, unser Ziel. Dominic blieb stehen.

      „Meinen Sie, dass Sie allein bis zu den Häusern gehen können?“ fragte er mich ruhig.

      „Ja, ich glaube. Aber warum? Wo wollen Sie hin, Dominic?“

      „Nirgends. Was für eine Frage! Signorino, Sie sind nicht viel mehr als ein Junge, wenn Sie einen Mann, der diese Geschichte in seiner Familie hat, so etwas fragen. Ah! Traditore! Was hat mich nur dazu gebracht, dass ich dieses hungrige Teufelsgezücht jemals als unser Blut anerkannt habe! Dieb, Betrüger, Feigling, Lügner – anderen Leuten mag das recht sein. Aber ich war sein Onkel und so ... Ich wollte, er hätte mich vergiftet, charogne! Aber dieses: Dass ich als Vertrauensperson und Korse Sie um Verzeihung bitten muss, weil ich an Bord Ihres Schiffes, dessen Padrone ich war, einen Cervoni brachte, der Sie dann verraten hat – einen Verräter! – das ist zuviel. Es ist zu viel. Gut, ich bitte Sie um Verzeihung; und Sie mögen Dominic ins Gesicht spucken, weil ein Verräter unseres Blutes uns alle besudelt. Ein Diebstahl kann unter Männern wieder gut gemacht, eine Lüge berichtigt, ein Tod gerächt werden, aber was kann man tun, um eine Verräterei wie diese zu sühnen? ... Nichts.“

      Er drehte sich um und ging von mir fort am Ufer des Stromes entlang, er schwang den rächenden Arm und wiederholte leise mit wildem Nachdruck: „Ah! Canaille! Canaille! Canaille! ...“ Er ließ mich zitternd vor Schwäche und stumm vor Grauen zurück. Unfähig, einen Laut hervorzubringen, starrte ich der seltsam verlassenen Gestalt dieses Seemannes nach, der unter dem trostlos bleiernen Himmel des letzten Tages der TREMOLINO eine unfruchtbare, geröllbedeckte Felsschlucht emporstieg und einen Riemen über der Schulter trug. Langsam, den Rücken zur See, ging er dahin. So entschwand Dominic meinen Augen.

      Wie sich die Größe unserer Wünsche, Gedanken und Verwunderungen zu unserer unendlichen Kleinheit verhält, so messen wir selbst die Zeit nach unserer Leibesgröße. Wir sitzen im Gehäuse unserer persönlichen Illusionen gefangen, und uns scheint, dass es weniger bedeutet, auf dreißig Jahrhunderte Menschheitsgeschichte zurückzublicken, als auf dreißig Jahre des eigenen Lebens. Dominic Cervoni nimmt in meiner Erinnerung den Platz an der Seite des sagenhaften Wanderers über das wunder- und schreckensreiche Meer, an der Seite des unheilvollen und ehrfurchtslosen Abenteurers ein, dem der heraufbeschworene Schatten des Sehers eine Reise verkündete, eine Reise landeinwärts, bei der er ein Ruder auf der Schulter tragen und so weit gehen würde, bis er auf Menschen träfe, die noch niemals Schiffe und Ruder gesehen hätten. Mir scheint, ich sehe sie Seite an Seite im Zwielicht eines unfruchtbaren Landes, die unglücklichen Besitzer der geheimen Wissenschaft vom Meer; sie tragen, von schweigsamen und neugierigen Menschen umgeben, das Wahrzeichen ihres harten Berufes auf der Schulter: wie denn ich, der gleichfalls der See den Rücken gekehrt hat, diese wenigen Blätter mit der Hoffnung durchs Zwielicht trage, in einem Tale landein den schweigsamen Willkomm eines geduldigen Zuhörers zu finden.

      Entnommen aus

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       Verlag Hans Dulk, Hamburg – 1958

       in Linzens durch Fischer Verlag GmbH., Frankfurt/M

       in der Übersetzung durch Görge Spervogel

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      1878 – D „MAVIS“ – Marseille – Konstantinopel – Asowsches Meer – Lowestoft – 24.04.1878 bis 18.05.1878

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      Dampfer MAVIS

       http://www.photoship.co.uk/

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      Dampfer MAVIS

       http://www.photoship.co.uk/

      1878 – Conrad betritt erstmals britischen Boden

      1878 – S „SKIMMER OF THE SEA“ – Küstenfahrten zwischen Lowestoft und Newcastle – 11.07.1878 bis 25.09.1978

      1878/79 – S „DUKE OF SUTHERLAND“ – London – Sydney – London – 15.10.1878 – 15.(?)10.1879

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      In Gefangenschaft

       In Gefangenschaft

      Wenn ein Schiff im Dock liegt und von Kais und Speichermauern umzingelt ist, sieht es wie ein Gefangener aus; mit der Traurigkeit, in die ein freier Geist verfällt, wenn er eingekerkert wird, sinnt es auf Freiheit. Schwere Taue und Ketten fesseln es an die Steinpoller auf der Kante des gepflasterten Ufers, und ein Hafenmeister mit Messingknöpfen an der Jacke geht wie ein frischer, wettergegerbter Gefängniswärter umher und sieht argwöhnisch und wachsam nach der Vertäuung, die das Schiff fesselt – duldend und still und ungefährlich liegt es da, als wäre es über die Tage der Freiheit und der Gefahr auf See in tiefe Trauer versunken.

      Das Gewimmel der Abtrünnigen – Dockmeister, Hafenmeister, Schleusenwärter und dergleichen – ist in Bezug auf die Fügsamkeit und Ergebung des gefesselten Schiffes anscheinend ungeheuer misstrauisch. Es gibt wohl niemals Taue und Ketten genug, um sie zufriedenzustellen, die sich damit beschäftigen, freie Schiffe fest an die schwere, schmutzige, versklavte Erde zu binden. „Es wäre besser, wenn achtern noch eine Trosse dazukäme, Steuermann“, ist ihre stehende Redensart. Ich brandmarke sie als Abtrünnige, denn die meisten von ihnen fuhren früher zur See. Als ob die Male des Alters – das graue Haar, die Falten in den Augenwinkeln, die knotigen Adern auf den Händen – Symptome moralischer Vergiftung wären, lungern sie hinterlistig auf den Kais herum und weiden sich an der gebrochenen Kraft edler Gefangener. Sie wollen noch mehr Fender, noch mehr Dwarstaue, sie wollen mehr Springleinen, mehr Vertäuschäkel, noch mehr Fesseln; sie wollen flüchtige Schiffe so reglos wie vierkante Steinblöcke machen. Sie stehen auf dem schmutzigen Pflaster, diese heruntergekommenen Seebären, hinter ihnen klirren lange Reihen Güterwagen mit den Kupplungen, und sie, sie lassen über dein Schiff vom Vorgeschirr bis zur Heckreling missgünstige Blicke gleiten und trachten einzig und allein danach, das bedauernswerte Geschöpf unter dem scheinheiligen Deckmantel des Wohlwollens und der Fürsorge zu tyrannisieren. Hier und da lassen Kräne, die wie Folterwerkzeuge für Schiffe aussehen, an langen Ketten grausame


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