Joseph Conrad - Seefahrer und Schriftsteller. Joseph Conrad

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Männer des festen Landes, so viele Erdgebundene, die sich niemals auch nur im Traum um ein Schiff gekümmert haben, gleichgültig und roh mit Nagelstiefeln auf seinem hilflosen Leibe herumtrampeln zu sehen.

      Zum Glück ist die Schönheit eines Schiffes unversehrbar. Dieses Gefängnisgefühl, diese Empfindung schrecklichen und entwürdigenden Unglücks, von dem ein schönes, vertrauenswertes Wesen betroffen wird, hängt nur den Schiffen an, die in großen europäischen Häfen liegen. Man spürt, dass sie zu Unrecht eingesperrt sind und dass es ein grausamer Lohn ist, am Ende einer pflichttreuen Reise auf einem düsteren, öligen, viereckigen Teiche von Kai zu Kai gejagt zu werden.

      Ein Schiff, das auf offener Reede ankert und Leichter längsseit liegen hat und die Ladung mit dem eigenen Löschgeschirr über die Reling fiert, erfüllt in voller Freiheit eine seiner Lebensfunktionen. Dabei gibt es weder Zwang noch Haft, es hat auch Platz, klares Wasser ringsumher, klaren Himmel über den Toppen und um den Ankerplatz herum eine grünhügelige Landschaft mit lieblichen Buchten. In diesem Falle wird es von seinen Leuten nicht der fragwürdigen Barmherzigkeit irgendwelcher Landbewohner preisgegeben. Es beherbergt noch seine eigene kleine, ergebene Schar, die weiterhin für es sorgt, und man hat das Gefühl, gleich wird es durch die Einfahrt zwischen den beiden Landzungen fort gleiten und verschwinden. Nur zu Hause im Dock liegt es verlassen da; die ganzen unerforschlichen Maßnahmen der Menschen, denen es nur um rasche Abfertigung und einträgliche Frachten geht, halten ihm den Weg in die Freiheit verschlossen. Nur dann fallen die verhassten, rechtwinkligen Schatten von Mauern und Dächern auf seine Decks, nur dann regnet es Ruß darauf hernieder.

      Ein Mensch, der niemals etwas von dem außerordentlichen Adel, der Kraft und Anmut gesehen hat, die hingebungsvolle Schiffbauergenerationen aus einigen reinen Winkeln ihrer einfältigen Seelen hervorgebracht haben, würde einen Anblick, den es vor fünfundzwanzig Jahren noch gab, als begeisterndes Schauspiel empfunden haben: eine große Klipperflotte, die an der Nordseite des New South Dock festgemacht hatte. Eine Viertelmeile Schiffe lag damals von den eisernen, polizeilich bewachten Werfttoren an in langer, waldartiger Flucht zu zweien und zweien an vielen starken Holzpiers. Neben ihren hohen Masten erschienen die mit Wellblech gedeckten Schuppen zwergenhaft, Klüverbäume ragten weit über das Ufer hinaus, ihre weißen und goldenen Galionsfiguren überhingen in nahezu blendender Reinheit den geraden, langen Kai mit seinem Staub und Schmutz, und geschäftige Männer liefen einzeln und in Gruppen ruhelos und dunkel unter ihrer erhabenen Reglosigkeit hin und her.

      Zur Flutzeit konnte man wohl eins der beladenen Schiffe mit verschalkten Luken aus der Reihe gleiten und auf der offenen Dockfläche liegenbleiben sehen; schwarze, dünne Leinen hielten es noch bei Bug und Heck wie die ersten Fäden eines Spinngewebes an den Belegpollern des Ufers fest. So wartete es denn anmutig und reglos wie ein Vogel, ehe er seine Flügel ausbreitet, bis beim Öffnen der Schleusen ein oder zwei Schlepper lärmend hereinhasteten, sich geschäftig und besorgt um das Schiff herumbewegten und es hinaus auf den Fluss brachten; vorsichtig führten und leiteten sie es durch geöffnete Klappbrücken und wehrartige Tore zwischen den flachen Pierköpfen mit einem Stückchen grünen, von Kies umgebenen Rasens und einem weißen Signalmast darauf, der mit Rah und Gaffet getakelt war und ein paar verwaschene blaue, rote oder weiße Flaggen zeigte.

      Dieses New South Dock (wie sein amtlicher Name lautete) ist ein Kernpunkt meiner frühen beruflichen Erinnerungen; es gehört zusammen mit zwei kleineren und viel älteren Hafenbecken namens Import und Export, die beide schon ihre Wichtigkeit für den Handel verloren haben, zur Gruppe der West India Docks. Diese beiden Bassins breiten malerisch und so sauber, wie Docks eben sein können, den dunklen Schimmer ihres gläsernen Wassers Seite an Seite aus; sie sind nur spärlich von wenigen Schiffen bevölkert, die an Bojen oder weit voneinander entfernt am Ende der Schuppenreihen in Winkeln leerer Kais aufliegen. Dort scheinen sie still und einsam zu schlummern, das Getriebe der Menschengeschäfte stört sie nicht. Diese beiden altmodischen Becken befanden sich damals eher im Ruhestand als im Dienst, sie waren freundlich und anheimelnd, leer und schweigsam; auf ihren schmalen Ufern gab es keinen herausfordernden Aufwand an Kränen, und ihnen fehlte der ganze Apparat, den Eile und Arbeit beanspruchen. Keine Bahngleise verunzierten sie. Schwerfällig kamen Arbeiter in kleinen Scharen um die Ecken der Lagerschuppen, sie wollten in Frieden ihr Essen aus den roten Kattuntaschentüchern verzehren, und das sah nach einem Picknick am Ufer eines einsamen Bergsees aus. Sie waren friedvoll (und vermutlich sehr uneinträglich), diese Becken, zu denen sich der Obersteuermann eines der nur wenige Meter entfernt im aufreibenden, rastlosen, lauten Betrieb des New South Dock liegenden Schiffe während der Mittagszeit hinflüchten konnte, um hier ganz ungehindert von Menschen und Geschäften umherzuschlendern und (wenn er Lust hatte) über die Eitelkeit aller menschlichen Dinge nachzusinnen. Früher einmal mussten sie voll der guten, alten, behäbigen Westindienfahrer mit den platten Hecks gelegen haben, die ihre Gefangenschaft vermutlich so unempfindlich aufnahmen, wie ihre plumpen, ehrlichen Buge dem Ansturm der Wellen begegneten. Sie werden hier gelassen mit ihrem eigenen Geschirr Zucker, Rum, Melasse, Kaffee oder Bauholz ausgeladen haben. Aber als ich sie kannte, war von Export keine Spur mehr zu finden, und der ganze Import, den ich dort je gesehen habe, bestand aus ein paar seltenen Tropenholzladungen, ungeheuren, in den Wäldern um den Golf von Mexiko roh aus den Stämmen gehauenen Eisenholzbalken. Diese mächtigen Pfeiler wurden zu Stapeln aufgesetzt, und es war fast nicht zu glauben, dass solche Massen toter, geschälter Bäume aus den Flanken einer schmalen, unschuldig aussehenden kleinen Bark gekommen sein sollten, an deren schönem Bug meist ein schlichter Frauenname stand – Ellen oder vielleicht Annie. Aber das ergeht einem mit gelöschter Fracht eigentlich immer so; liegt sie erst einmal ins einzelne verteilt auf dem Kai, dann glaubt kein Mensch mehr, dass sie jemals in das längsseit liegende Schiff hineingepasst haben kann.

      Diese Becken waren in der betriebsamen Welt der Docks stille, heitere Winkel. Ich habe nie das Glück gehabt, nach einer mehr oder weniger mühseligen Reise in ihnen einen Liegeplatz angewiesen zu bekommen. Man sah auf den ersten Blick, dass die Schiffe wie die Leute dort niemals umher gehetzt wurden. Wenn man sich ihrer genau erinnert, kommt es einem vor, als könnte es sie nie gegeben haben, so still waren sie – Ruheplätze, wo müde Schiffe träumen durften, Stätten der Einkehr statt der Arbeit, wo böse Schiffe – die ranken, trägen, leckenden, schlechten Seeschiffe, die schlecht zu steuernden, die launischen, die dickköpfigen, die allgemein unlenksamen Schiffe – volle Muße haben würden, sorgenvoll, nackt und der zerrissenen Segeltuchkleider entblößt ihre Sünden einzusehen und zu bereuen, während der Staub und die Asche der Londoner Luft sich auf die Häupter ihrer Masten legen. Denn das allerschlechteste Schiff wird in sich gehen, wenn man ihm nur die Zeit dazu lässt, dessen bin ich gewiss. Ich habe zu viele von ihnen gekannt. Kein Schiff ist vollkommen schlecht, und nun, da ihre Leiber, die so vielen Stürmen widerstanden haben, durch eine kleine Rauchwolke vom Antlitz der See fortgeblasen worden sind, die Guten und die Schlechten zusammen hinab ins Fegefeuer der ausgedienten Dinge, nun kann ruhig gesagt werden, dass es unter diesen dahingegangenen Generationen willfähriger Diener niemals eine ganz unverbesserliche Seele gegeben hat.

      Im New South Dock gab es gewisslich weder für die gefangenen Schiffe noch für ihre Offiziere Zeit zu Gewissensbissen, Selbstbetrachtungen oder irgendwelchen anderen wunderbaren Erscheinungen des inneren Lebens. Von morgens sechs his abends sechs ging die harte Gefängnisarbeit, mit der die Tapferkeit und Stärke eines Schiffes belohnt wird, wenn es den Hafen gewonnen hat, ununterbrochen weiter. Große Hieven Stückgut pendelten über das Schanzkleid und fielen plötzlich auf einen Wink des Gangführers in die Luken hinab. Das New South Dock diente hauptsächlich als Ladedock für die Kolonien, jedenfalls damals in den großen (und letzten) Tagen der schnellen Wollklipper, die gut anzusehen und – na ja – aufregend zu bedienen waren. Von ihnen sahen manche schöner aus als die anderen, viele waren (gelinde gesagt) etwas übertakelt: von allen wurden gute Reisen erwartet, und unter den Schiffen der ganzen langen Reihe, deren Riggen ein dickes, riesiges Netzwerk gegen den Himmel zeichneten und deren Messingteile fast so weit blitzten, wie der Schutzmann an den Toren sehen konnte, gab es kaum eines, das unter allen Häfen der weiten Welt von einem anderen Hafen als London und Sydney oder London und Melbourne oder London und Adelaide gewusst hätte, wozu vielleicht für die mit geringer Tonnage noch Hobart Town kam. Man hätte beinahe glauben können, was der mit einem grauen Backenbart verzierte Zweite Steuermann des alten Duke of S... von seinem Schiffe sagte, nämlich, dass sie alle die Straße zu den Antipoden besser kennten als


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