Karelia. Enna Pertim
zu werden.“
„Ich hab ihn noch vor Kriegsende – gar nicht so weit nördlich von hier an der Karelienfront - getroffen“, ergänzt Väjnö. „Sie sagten immer ‚Professor’ zu ihm. Er hatte ein sehr feines Gesicht … und selten schöne Hände. Die Uniform wollte gar nicht so recht zu ihm passen.“
„Man sagt“, weiß Jussi, „der Professor sei sehr allein gewesen - nur Lia und die Bucht drüben … seine Frau stammte ja hier aus der Gegend und hatte mit ihm in Helsinki studiert; er war früher, als es noch kein Sommerhaus gab, auch schon oft mit ihr auf den See hinausgerudert. Später dann, als Lia zur Welt kam, muss sie wohl gestorben sein.“
„Ein schweres Schicksal für Vater und Tochter“, bekräftigt Väjnö und fährt fort: „Sie müssen sich sehr lieb gehabt haben, die beiden. Als ich ihn damals an der Front traf, erzählte er mir von Lia … er sprach nur von ihr! Sie hatte wohl sehr geweint, als er einrücken musste – und er auch. Er sei kein guter Patriot, bekannte er freimütig, heule sich die Augen wund, wenn’s niemand sieht; habe immer entsetzliche Angst, aber nur um das Kind … wer sollte sie trösten, wer sollte für sie sorgen, für sie da sein, wenn …?
Warum er auf die Russen schießen müsse, habe sie ihn beim Abschied gefragt, und er habe ihr zu erklären versucht, dass es ein Unglück für Finnland sei, wenn sie hereinkämen. Doch die Erklärung habe sie nicht überzeugt: Wie oft sei er doch dort gewesen, um Vorträge zu halten und zu dirigieren, und wie viele Freunde habe er in dem Land. Wieso sollte er auf diese Leute schießen!
Väjnö stockt eine Weile und fährt dann fort: „Wir sahen uns noch verschiedentlich, bis meine Kompanie in den Mittelabschnitt verlegt wurde. Später hörte ich, dass der Professor gefallen sei – erstochen!“
Jussi ist sehr ernst geworden und hört dem Freund gebannt zu. „Mit der Nachricht ist sie wohl nie fertig geworden“, fügt er hinzu. „Es gab, wie man hörte, noch eine Menge Freunde ihres Vaters, die sich um sie kümmerten, doch sie zog sich zurück und mied alle Kontakte. In Helsinki soll sie später studiert haben: Man sah sie an der Sibelius-Akademie und in kunsthistorischen Vorlesungen der Universität … dann und wann auch in Konzerten und Ausstellungen, doch nie in Gesellschaft mit anderen. Schließlich verlor man sie aus den Augen. Sie würde, so hieß es, an einer Universität in Mitteleuropa weiterstudieren.“
Die beiden Männer beenden ihre Sauna. Sie bleiben nach der ungewohnt langen Sitzung in ihren Gedanken gefangen und es sieht so aus, als hätten sie den Tag, der ihnen so viel Vorfreude bereitet, vergessen.
Schließlich meint Jussi: „Warum die Kinder hinschicken? Ich gehe selbst … immerhin bin ich ja mit ihr zur Schule gegangen.“
Und Väjnö lacht wieder sein erfrischendes Lachen: „Aber Jussi! Wärst du – der Geschäftsmann – ein Dichter, hättest du gleich auf diesen Einfall kommen müssen.“
„Auch Lokomotiven bestehen nicht aus lyrischen Versen“, erwidert Jussi schmunzelnd, „sie rauchen wie unsere Sauna.“
„Nicht mehr lange“, bemerkt Väjnö, „bald fahren wir mit Diesel!“
„Jetzt aber trinken wir erst einmal kahvi, lieber Freund, und morgen früh fahr ich dann hinüber – ohne Diesellok und Runeberg …
Und am Abend gibt’s kokko – kokko!“
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