Karelia. Enna Pertim

Karelia - Enna Pertim


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paar Schritte vom Sommerhaus entfernt besichtigte sie dann die Rauch­sauna. Nein! Das war kein Zu­fluchtsort für Stür­me, Donner und Hagel. Es war ein dunkles Verlies, das sie schaudern ließ. Nur das Holz, das an der einen Wand aufgestapelt war, verriet ihr, dass gerade jemand hier gearbeitet haben musste.

      Nein! Hier würde sie kein Feuer machen, wie es ihr der Onkel geraten hatte.

      Schon am Tag nach ihrer Ankunft fuhr sie bereits wieder zur Stadt, tätigte Einkäufe, die ihr not­wendig erschienen, und weitere zwei Tage darauf kamen vier Männer mit ei­nem beladenen Lastauto, rissen die alte Rauchsauna ab und ersetzten sie durch eine neue. Die Verwandlung der alten Sauna ging so schnell vonstatten, dass es ihr wie ein Spuk vorkam.

      Nun prangen an ihrer Stelle die frischen Stämme der put­zigen kleinen Hütte am Ufer. Sogar einen Boots­steg ha­ben die Männer noch ange­legt.

      Das junge Holz riecht verlockend und fordert sie zu ei­nem Saunagang auf, der wohligen Genuss verheißt.

      Erst jetzt erscheint ihr das neue Paradies in vollem Glanz – das neue, alte Para­dies ihrer Jugend: Vaters gelieb­tes Som­mer­haus … und ihre eigene Sauna!

      Vergessen sind die grauen Schleier, vergessen die Angst, mit dieser unheimlichen Rauchsauna allein zu sein – und auch der Himmel lacht ihr wieder zu.

      Endlich ist es soweit: Steil steigt der Rauch aus dem Schornstein der mit Holzscheiten geheizten Sauna in den wolkenlosen Himmel. Rasch wirft sie ihre Kleider in dem kleinen Vorraum ab und schlüpft durch die enge Holz­türe hinein in die noch trockene Hitze: Das Ther­mometer zeigt knapp über hundert Grad.

      Die drei aufsteigenden Stufen an der Wand sind so lang, dass sie sich bequem darauf ausstrecken kann, doch zu­nächst stellt sie einen Eimer Wasser neben sich auf die zweite Stufe und legt eine Kelle zum „löli werfen“ hinein. Und nachdem sie sich etwas aufgewärmt hat, wagt sie sich nach oben auf die dritte Stufe … zu schnell, wie ihr stockender Atem verrät. Sie taucht die Hände in den Wasser­eimer, hält sie dann vors Gesicht, um sich etwas abzukühlen. Vater hatte ihr immer die dritte Stufe ver­wehrt, doch zu lang ist es her, dass sie solch ein Bad neh­men konnte … und ihr Körper hatte sich ent­wöhnt.

      Als die Haut ihre Poren zu öffnen beginnt und der heiße Schweiß in winzigen Bahnen über ihren Körper rinnt, wirft sie – erst zaghaft, dann häufiger – doch einige Kellen mit Wasser auf die heißen Steine des Ofens, und zischend kommt der Dampf zu ihr herauf, breitet sich wie ein Ölfilm über den nassen Körper aus, der in der Däm­merung des kleinen Raumes wie Bronze schim­mert.

      Ein warmer Schauer durchläuft sie. In den alten, ver­rauch­ten Badstuben, die kaum Licht von­ drau­ßen herein­ließen, kamen früher die Kinder zur Welt. In einsamen Gegenden weiter nördlich soll es noch immer so sein.

      Warum denkt sie gerade heute an Kinder? Solche Ge­dan­ken, die ihr – gerade ihr – absurd vorkom­men müs­sen, gehen ihr hier und jetzt durch den Kopf. Hat sie ihre eigene Geburtsstätte durch etwas Neues ersetzt? Nein - sie ist ein Stadtkind!

      Und der Vater, der aus der Reihe auf dem Friedhof zu ihr sprach? War nicht von ihrem Ursprung hier … und drau­ßen in der freien Natur … die Rede – und von einem Körnchen Staub?

      Fehlt­ ihr wirklich das nächste Glied in einer Reihe; in einer Reihe, die man Familie nennt?

      Nein – sie will diese Reihe nicht fortsetzen, auch wenn die Hitze in der Sauna ihren Körper mit Gefühlen durchflutet, die sich dagegen auflehnen.

      Nein, sie will nicht! Und … sie kann es auch nicht mehr!

      Darum ist sie von Pierre geflohen, fort aus der blü­henden Provence. Als sie ihm dorthin gefolgt war, vor vielen Jahren, hatte er gesagt: „Lass uns frei sein; lass uns leben von dem, was uns zuwächst in diesem herrlichen Vaucluse; wir brauchen die Kir­che nicht und auch nicht den Staat, werden auch so glücklich sein. Ich verstehe, dass du kein Kind haben willst, keinen Sohn, der wie der Vater ir­gendwo …“

      Und dann, Pierre? Als dein Wunsch nach einem Kind immer bren­nender wurde in den letzten Jah­ren? Dieses Verlangen nach dem, was nicht sein konnte, habe ich ein­fach nicht mehr ertragen können, es hat mich unsäglich gequält …

      Heiß trieft ihr Körper, sie atmet schwer. Der kalte See, das plötzliche Umspültwerden vom weichen Wasser wird die wirren Gedanken verscheuchen.

      Sie taucht in die sanften Wellen und schwimmt hinaus, vor sich die weite Fläche des Sees, der sich bis zum Horizont hin öffnet. Nichts mehr denken – Auflösung in raumlose Weite, Kind sein der Steine und Buchten: nicht mehr denken!

      Die kleinen Wellen treiben ihre Gedanken für eine Weile fort … Ich bleibe, die ich bin, weiß sie – und ich trage das selbst gesprochene Urteil ohne Reue!

      Noch einmal geht sie hinein in die aufgeheizte Sauna. Hier ist sie allein mit sich, allein mit ihrem Körper und ihren Gedanken, die sich aber doch nur widerstre­bend fortzwingen lassen. Das letzte biss­chen Sehnsucht nach dem malerischen Hochplateau Vaucluse, nach Pierre, sagt sie sich, soll hier in diesem Raum verbrennen: Sie baden anders, schlafen anders, sie lieben auch anders …

      Liebte ihr Vater in der Sauna?

      Nein. Keiner tut es an diesem Ort, aber dieser Ort macht zur Liebe fähig … zuvor… danach!

      Wie losgelöst sie nach diesem Schwitzbad – dem zweiten Gang – wieder aus dem Wasser steigt! Die Kühle des Sees hat ihre Wirkung getan. Mit ihrem Bademantel, den sie auf dem kivi abgelegt hatte, umhüllt sie ihren wohlig-matten Körper.

      Kivi, jetzt weiß ich, wer du bist: Stein der erfüllten Einsamkeit!

      Lieben auch die Steine? Es gibt in deiner Zeit ohne Maß Urgründe, wo du etwas warst, was fühltest …, kivi deine Einsamkeit durchglüht die Nächte der roten Sonnen, weckt Sehnsüchte, die, kaum erfüllt, von Neuem ent­flammen, Körper, die nach Genuss lech­zen, just dann, wenn sie soeben alles bis zur Neige ausgekostet haben.

      Kivi, deine harten Runzeln, die man nur fühlt, beginnen zu leben, wenn die Schöpfkelle des Him­mels Sonnen­strahlen über dich hingießt.

      Du Stein der erfüllten Einsamkeit tickst mit in dem Uhrwerk ohne Räder und Zeiger …

      Und mit diesen Gedanken geht sie wieder auf das Som­mer­haus zu. Der feine Rauch aus dem Schornstein der Sauna wendet sich als hauchdünner Weiser allmäh­lich gen Norden und wird vom dunklen Rot der Juni­nacht in fließend goldiges Gewölk verwan­delt.

      Pakosaari

      Ist dieses Wasser Wirklichkeit?

      Zahllose Inseln ru­hen in ihm: große und kleine, lang­gestreckte und gerundete, hü­­­ge­lige und flache. Wie dun­kelblaue, grü­ne und hell­gelbe Tupfen er­scheinen sie ihm. Man­ möchte auf dem Wasser da­hin­­segeln oder in einem Ballon über ihnen schwe­­ben, nur um zu schau­­en. Dem Auge er­schließt sich dann das grüne Wunder unberühr­ter Wäl­der in­mit­ten von Wogen, die bald schwarz, bald hellblau schim­mern.

      Das Was­­ser ist klar bis auf den Grund, wie durch flüssiges Glas kann man hinun­ter­sehen – und doch wird das Geheimnis der Tiefe gewahrt.

      Wo ist der hohe Mittag?, fragt sich der Mann. Ist er im Süden, sobald die Sonne gleißend herun­ter­brennt und den Norden versengen will – das Sehn­suchtsziel seiner Reise? Oder ist er dort, wo ein glutroter Ball in das große Wasser eintauchen will, dieweil es in anderen Ländern Mit­ter­nacht ist, hohe Mitternacht – tiefer Hochmittag!

      Die Sonne fährt in einem verwirrenden Karussell um sei­ne kleine Insel, verändert ihr Gesicht und über­gießt das Land mit nie erschauten Farben. Sei­ne Gedanken kreisen mit ihr, bald zum Mittag, bald zur Mitternacht, deren Gewand hier – golden und rot, blau und grün – in wechselvollem Spiel gemalt wird. Er ist geblendet, be­rauscht von der Vielfalt der Farben, wo tausend Meilen weiter südlich tiefe Dunkelheit


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