Sirius. Lola Martin
und tat einen Schritt hinein. Doch sie konnte nichts Ungewöhnliches entdecken. Erst als sie einen Blick auf ihre Stoffpferde-Sammlung warf, kam ihr etwas merkwürdig vor. Sie standen nicht mehr der Größe nach geordnet nebeneinander, sondern waren völlig durcheinander. Das war sicher ein Tier, das sich hinein geschlichen und diese Unordnung gemacht hatte.
Sie seufzte leise und machte sich daran, alle Tiere wieder in die richtige Reihenfolge zu bringen. Als sie gerade das Pony Susi in der Hand hielt und es ansah, bemerkte sie, dass es eine außergewöhnliche Ähnlichkeit mit Johnny aus dem Reitstall besaß. Sie drehte es in der Hand, da sah sie es auf einmal: Susi hatte ganz unten am linken Bein unter dem Fell ein winzig kleines Teil im Fuß stecken. Sie strich das Fell beiseite, um es genauer zu betrachten
Seltsam, dass ihr das zuvor noch nie aufgefallen war! Wenn man genau hinsah, glitzerte es sogar. Sie zog fest daran, aber es löste sich nicht, schien wie in den Stoff eingewachsen zu sein. Vanessa wurde blass um die Nase. Allmählich wurden ihr die Ereignisse unheimlich. Wenn sie es doch jemandem erzählen könnte! Und in diesem Augenblick entschied sie, sich heute Abend ihrer Schwester Hanna anzuvertrauen, ganz gleich, was diese sagen würde!
Sie verließ das Häuschen wieder, nicht ohne sich vorher vergewissert zu haben, dass sie wirklich abgeschlossen hatte. Dann folgte sie ihrer Idee, die sie vorhin schon hatte, als sie zur Terrassentür hinaus gelaufen war, und warf sich in die Schiffschaukel, die gleich neben der anderen Schaukel hing. Gedankenverloren schwang sie hin und her und ihr Blick hing an einem strahlend blauen Himmel, an dem nur ab und zu ein harmloses Wölkchen vorbeizog...
“Vanessa!” Das war Mamas Stimme im Hintergrund.
Komm, wir wollen Abend essen!” Sie guckte Mama mit großen Augen an. Sie musste wohl eingenickt sein auf der Schaukel. Das wurde ihr klar, als sie auf ihre Armbanduhr sah und feststellte, dass es beinahe schon sechs Uhr abends war.
Nachdem der Abendbrot-Tisch abgeräumt war, Mama das Geschirr spülte und Papa es sich auf der Couch im Wohnzimmer mit einer Zeitung gemütlich gemacht hatte, sah Vanessa den Augenblick gekommen, um ihrer Schwester von ihren seltsamen Erlebnissen zu erzählen. So stahl sie sich, von den Eltern unbemerkt, die Treppe hinauf zu Hanna, die sie in ihrem Zimmer vermutete. Vorsichtig klopfte sie an die Türe, da Hanna immer verlangte, anzuklopfen und jedes Mal einen Wutanfall bekam, wenn jemand das nicht tat. Vanessa wartete keine Antwort ab, sondern öffnete gleich Hannas Zimmertür. “Was willst du?”, raunzte sie Vanessa ungehalten an.
“Ich ... ich wollte dir was sagen ..., was erzählen”; stotterte sie leicht verlegen.
Gerade hatte sie den Satz zu Ende gesprochen, als plötzlich ein lauter Knall die Stille zerriss, so dass beide, wie auf Kommando, mindestens zehn Zentimeter hoch hüpften vor Schreck. Ihnen war schlagartig klar, dass eben eine der Zimmertüren derart laut zugeknallt war, dass sogar die Glasscheibe, die sich darin befand, zu Bruch ging. Nachdem sie sich vom ersten Schreck erholt hatten, hörten sie auch schon Mama und Papa die Treppe herauf poltern.
“Was ist hier los?”, schrie Papa und sein Gesicht lief augenblicklich dunkelrot an, als er die Bescherung sah. Natürlich musste er glauben, die beiden Mädchen seien die Schuldigen. Wie konnte er auch ahnen, dass weder Hanna noch Vanessa das Geringste damit zu tun hatten. Sie waren sich schließlich keiner Schuld bewusst, wie denn auch beide einstimmig behaupteten. Ein rätselhafter Windstoß hatte die Tür zuschlagen lassen, doch davon später.
Nun standen alle erst mal um den Scherbenhaufen herum, Mama war den Tränen nahe.
“Das schöne, teure Glas!”, jammerte sie. Und sie hatten die Tür doch erst vor kurzem neu setzen lassen.
“Eine Tür knallt nicht einfach von selbst zu!”, lamentierte Papa, während er vorsichtig über die Scherben stieg, um die Tür zu begutachten.
“Hier oben ist kein einziges Fenster offen, wir haben wohl Gespenster im Haus?” Er war noch immer sehr erzürnt. Vanessa und Hanna sahen sich sprachlos an. Keine konnte es verstehen. Mit Mamas Hilfe und Schaufel und Besen beseitigten beide das Malheur, während Papa kopfschüttelnd die Treppe wieder hinab stieg.
Vergessen war nun auch Vanessas Ansinnen, Hanna in ihr Geheimnis einzuweihen.
“Naja, vielleicht bringen uns die Scherben ja Glück”, seufzte Mama, nachdem alles wieder in Ordnung gebracht worden war. Mit komischem Gefühl im Bauch gingen die Mädchen danach zu Bett.
In dieser Nacht schlief Vanessa wie ein Murmeltier.
Der nächste Tag wurde ein guter Tag. Alles lief bestens und keiner sprach mehr von gestern. Vanessa hatte den ganzen Nachmittag bei ihrer Freundin Bella verbracht, die zwei Meerschweinchen und drei Goldhamster besaß. Nichts deutete darauf hin, dass etwas Ungewöhnliches passieren könnte.
Müde vom Spielen kam Vanessa am Abend heim und es duftete schon aus der Küche nach Pfannkuchen, ihrem Lieblingsgericht. Heute hatte sie richtigen Heißhunger und verschlang zum Erstaunen ihrer Mutter gleich drei der goldgelben, süß duftenden Scheiben.
“Ich bin so müde, ich gehe gleich ins Bett!”, verkündete sie gähnend und verließ den Rest der Familie, der noch die letzten Bissen des guten Essens in entspannter Runde genoss.
Vanessa lag in ihrem Bett, hatte Mama bereits einen Gute-Nacht-Kuss gegeben und starrte ins Dunkle, bis sie von Müdigkeit übermannt wurde und ihr die Augen zufielen. Es mochte nicht lange gedauert haben, bis sie in tiefen Schlaf sank.
Und plötzlich war er wieder da! Dieser, wie hieß er noch, Sirius, erschien abermals. Wieder auf einer weißen Wolke, wieder landete er mitten in Vanessas Zimmer und sprach:
“Vanessa! Fürchte dich nicht. Ich bin gekommen, dir etwas zu erklären. Ich möchte, dass du die ganze Wahrheit erfährst. Ja, ich bin wirklich da. Berühre mich nur mit deiner Hand!”
Vanessa konnte ihr Staunen nicht verbergen und starrte mit offenem Mund unablässig das Pferd an.
“Hör’ mir gut zu”, befahl es und scharrte mit dem linken Fuß auf dem Teppich, so dass Vanessa unwillkürlich hinsah und das glitzernde Ding am Huf wieder erkannte. Nun war sie sicher, dass dies kein Traum war!
“Höre, was ich dir zu sagen habe, Vanessa!” Gespannt sah sie ihm in die Augen, die er geheimnisvoll verdrehte.
“Du hattest heute großes Glück! Glück, dass niemand von mir erfahren hat! Beinahe hättest du deiner Schwester alles erzählt! Das aber darfst du bei deinem Leben nicht! Mir blieb nichts Anderes übrig, als dich abzulenken, indem ICH die Türe zugeblasen habe! Vanessa, höre, es liegt ein Fluch auf uns, und zwar, dass jeder, dem du von mir erzählst, auf mysteriöse Weise ums Leben kommen wird! Das ist so, glaube mir”. Er peitschte unruhig mit dem Schweif, während er diese Worte sprach.
Vanessa war sprachlos und starrte die seltsame Erscheinung noch immer fassungslos an.
“Ich weiß, das kommt dir alles unheimlich vor, aber du wirst dich schon an mich gewöhnen, und wenn du dich an unsere Abmachung hältst und niemandem ein Sterbenswörtchen erzählst, kann ich dir viel Gutes tun”
“Ich werde schweigen wie ein Grab!”, flüsterte Vanessa, die sich wieder etwas beruhigt hatte.
Es zischte und silbrig glänzender Staub wirbelte umher, da war er auch schon wieder verschwunden. Es war wieder dunkel in ihrem Zimmer und Vanessa merkte, dass sie wach war und mit offenen Augen dorthin starrte, wo eben noch alles hell erleuchtet war. Lange grübelte sie noch, bis ihr schließlich die Augen zufielen...
“Zu niemandem ein Sterbenswörtchen!”, war ihr erster Gedanke, als sie der Wecker früh am Morgen aus dem Schlaf riss. Sie bemühte sich, so normal wie möglich zu erscheinen, damit keiner etwas merkte. Nach dem Frühstück schwang sie sich auf ihr Fahrrad und machte sich auf den Weg zur Schule. Während sie so dahin radelte, fiel ihr ein, dass heute ihre erste Reitstunde stattfinden sollte und ihr Gesicht erstrahlte.
Als sie die Schule erreicht hatte, stürmte sie die Treppe hoch zu ihrem Klassenzimmer. An diesem Vormittag rutschte sie ungeduldig auf ihrem Stuhl hin und her und war froh, als die Schule endlich zu Ende war.
Wieder