Das Vermächtnis aus der Vergangenheit. Sabine von der Wellen

Das Vermächtnis aus der Vergangenheit - Sabine von der Wellen


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Drogen oder KO-Tropfen befürchtet.

      Wir werfen uns zusammen in den freien Sessel und sehen uns dicht aneinandergedrängt die Videos an.

      „Prost!“, raune ich ihr zu.

      „Prost!“, antwortet sie und wir lassen die Flaschen aneinander klirren. Sie scheint ihre Wut langsam wieder herunterzufahren.

      Interessiert schaue ich mich in dem Raum um und sehe Erik am Schrank lehnen und uns beobachten. Schnell sehe ich weg. Er ist mir heute irgendwie unheimlich.

      Noch ein neuer Pulk junger Leute trifft ein und der Raum füllt sich noch mehr. Ellen winkt Daniel zu, der ihr einen Handkuss zuwirft. Er ist der Fahrer des BMWs, der uns letzten Samstag nach Hause brachte.

      Ich bin von seiner Geste überrascht und seine blauen Augen ruhen ausschließlich auf Ellen, als wäre sie sein Universum. Dabei streicht er sich durch sein kurzes, dunkles Haar.

      „Hu, was war das denn?“, frage ich neugierig und spreche auf den Handkuss an.

      Ellen grinst. „Du meinst wegen Daniel? Der ist voll süß und wir waren Mittwoch noch zusammen im Kino“, flüstert sie und ich knuffe ihr in die Seite. „Soso!“

      Sie hatte mir nichts davon erzählt, aber ich erinnere mich, dass sie es am Mittwochabend sehr eilig hatte.

      Zwei Videos später, und nach dem leeren des Biers, wird Ellen unruhig.

      „Ich gehe mal eben aufs Klo. Kann ich dich hier einen Moment allein lassen?“, fragt sie.

      Ich nicke.

      Sie schiebt sich aus dem Sessel und geht.

      Ich bin froh, etwas mehr Platz zu haben und mache es mir bequem, mich auf die Videos konzentrierend. Aber ich bemerke trotzdem, dass Daniel den Raum direkt hinter Ellen verlässt. Sind die beiden irgendwie verabredet?

      „Wo ist Ellen hin?“, fragt Erik plötzlich neben mir.

      Ich bin verwirrt. Sie ist doch gerade erst aus dem Raum verschwunden und schon fragt er nach ihr.

      „Toilette“, brumme ich und sehe mir weiter das nächste Video an. Dabei versuche ich ihn zu ignorieren.

      „Magst du?“ Erik setzt sich auf die Sessellehne und reicht mir eins der bunten Getränke.

      Ich sehe aus dem Augenwinkel den Riss in seiner Jeanshose, der über seinen Oberschenkel verläuft und darunter kräftige Muskelpartien erahnen lässt. Kann er sich keine heilen Jeans leisten?

      „Was ist das?“ Ich sehe auf das Glas und habe das Gefühl, bei ihm vorsichtig sein zu müssen.

      Ich höre ihn leise lachen, sehe ihn aber nicht an, als er antwortet: „Muntermacher. Schmeckt gut. Probiere mal!“

      Ich nehme das Glas entgegen und probiere das etwas dickflüssige Getränk. Es ist teuflisch süß.

      „Danke!“ Ich hoffe, er geht jetzt wieder. Aber stattdessen nimmt er sich eine Zigarette aus seiner Schachtel und bietet mir auch eine an. Ich nehme sie, ohne ihn anzusehen und er gibt mir Feuer. Langsam wird mir klar, dass ich nach Marcel und Tim überhaupt nicht scharf darauf bin mit einem Mann irgendwelche Konversation zu betreiben. Aber Erik geht nicht. Er stößt sein Glas an meins und raunt: „Prost!“

      Ich nicke nur und nehme noch einen Schluck. Dabei lasse ich meinen Blick durch den Raum zur Tür wandern. Wo bleibt Ellen nur?

      „Wo kommst du eigentlich her? Ich habe dich noch nie vorher hier irgendwo gesehen“, fragt er und schaut auf mich herunter. Ich spüre seinen Blick wie ein Brenneisen auf mir. Unangenehm.

      „Ich komme auch nicht aus Osnabrück. Ich wohne außerhalb“, gebe ich eine vage Angabe und sehe an ihm vorbei.

      Sein Blick fixiert mich immer noch und eine Locke fällt in sein Gesicht. Ich sehe das aus dem Augenwinkel und wage nicht, ihn direkt anzusehen.

      „So, von außerhalb! Und gibt es da außerhalb so etwas wie einen Freund?“, fragt er und betont unwirsch das Wort „außerhalb“.

      „Nicht mehr“, antworte ich ehrlich und wünsche mich in diesem Moment an Marcels Seite, wo ich doch immer behütet unterkriechen konnte. Die Anwesenheit und der Blick von diesem aufdringlichen Typ beunruhigen mich allmählich immer mehr.

      „Gut!“, raunt er und lässt sich, bevor ich Einwände erheben kann, zu mir in den Sessel rutschen.

      Ich will aufstehen und ihm den Platz überlassen, aber er legt den Arm um mich und hält mich fest. „Wo willst du hin?“, fragt er, als könne er sich gar nicht vorstellen, warum ich jetzt aufstehen will.

      „Ich muss mal gucken, wo Ellen steckt“, brumme ich und fühle mich schrecklich unbehaglich.

      In dem Moment kommt sie auf uns zugestürmt und reißt ihren Bruder aus dem Sessel. „Das ist mein Platz! Verschwinde!“, faucht sie ihn böse an. Sie nimmt mein Glas und riecht daran und dann an meiner Zigarette.

      Das ist mir dann doch etwas peinlich. Er ist doch ihr Bruder!

      „Mann Ellen, was soll das?“, schnauzt Erik sie auch schon aufgebracht an und schiebt seine Locken hinter das Ohr. Eine kürzere Strähne fällt ihm in einem welligen Kringel wieder ins Gesicht.

      „Sie hat verdammt schlechte Erfahrungen mit Brüdern gemacht … wie ich auch“, faucht sie und funkelt ihn wütend an.

      Eriks Blick wird noch eine Nuance dunkler, aber er dreht sich auf der Stelle um und geht.

      Mich angrinsend, fragt Ellen: „Alles klar?“

      Kleinlaut flüstere ich: „Ja schon. Warst lange weg.“

      Ellen lächelt jemandem zu und ich sehe Daniel an der Tür stehen und ein Bier in der Hand halten. Das ist wohl die Erklärung.

      Wir bleiben nicht mehr lange und schließen alle Türen bis in Ellens Reich, die wir schließen können. So ist der Lärm weitgehend ausgesperrt.

      Als wir endlich in der Waagerechten liegen, frage ich Ellen: „Was meintest du damit, dass du auch schlechte Erfahrung mit deinem Bruder gemacht hast? Was hat er denn getan?“

      „Der ist nicht so schlimm wie dein Bruder, aber es reicht“, brummt sie nur und äußert sich nicht weiter. Ich frage lieber auch nicht weiter nach.

      Wir schlafen am nächsten Tag bis mittags, bummeln durch die Stadt und machen nachmittags noch die Hausarbeiten für Montag fertig. Eigentlich wollen wir noch am Abend los, aber Ellen hat keine richtige Lust und wir beschließen, uns bei ihr einen Videofilm anzuschauen. Auch ihre Fernsehanlage ist mit allem Drum und Dran. Die Eltern müssen wirklich reich sein.

      Aber es ist Samstag, und mir drängt sich immer wieder auf, dass mein altes Leben heute die letzte Scheunenfete des Jahres feiert.

      Es ist ein komisches Gefühl, nicht dabei zu sein. Aber dieses Leben ist vorbei und mit seltsam bleischwerem Herzen versuche ich mich auf den Film zu konzentrieren.

      Irgendwann klopft es an Ellens Zimmertür und Erik schaut herein. „Ellen, Daniel ist da. Kannst du eben kommen? Irgendwas ist los.“ Er klingt herablassend und arrogant, als könne er sich nicht vorstellen, dass Daniel etwas Wichtiges von Ellen will.

      Ich weiß mittlerweile, dass Daniel Eriks bester Freund ist und die beiden ständig zusammenhängen. Ellen sagte mir gestern noch, dass dieser Umstand der einzige dunkle Aspekt an Daniel und seinem Wesen ist. Ansonsten scheint sie ihn wirklich zu mögen.

      Ich kann ihn noch nicht einschätzen und glaube, dass er mich nicht gerne an Ellens Seite sieht. Aber ich weiß nicht, warum das so ist.

      Ellen springt sofort auf und bittet mich in ihrem Zimmer auf sie zu warten. Dann geht sie und ich schaue beunruhigt den Film weiter. Was kann nur passiert sein?

      Es dauert und dauert. Irgendwann klopft es wieder an der Tür und Erik steht erneut im Türrahmen. „Carolin, Ellen musste weg. Magst du zu uns kommen? Wir sind in der Küche und backen Plätzchen.“ Diesmal klingt er freundlicher.


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