Das Vermächtnis aus der Vergangenheit. Sabine von der Wellen

Das Vermächtnis aus der Vergangenheit - Sabine von der Wellen


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beherrschen und das nimmt mich gefangen. Dass man da überhaupt durchfahren kann? Ich sehe fast nichts außer Licht.

      Ich schaue unsicher zu Marcel. Kann er das schaffen, das Auto dadurch zu lenken? Es sieht so aus, als wenn er das ohne Probleme meistert.

      Ich schließe die Augen. Das viele Licht macht mich ganz konfus.

      Sofort drängt sich mir der Gedanke an diese Linie auf, an der ich stehe. In meinem Inneren baut sich ein gutes Gefühl auf und verdrängt alles andere. Lachend springe ich über den weißen Strich in den Bereich „wieder da“. Ich sitze bei Marcel im Auto.

      Ich muss lachen. Es geht mir gut.

      „Was hast du dir eingeworfen?“, höre ich Marcel bissig fragen.

      „Was eingeworfen?“, frage ich irritiert und versuche ernst zu bleiben.

      „Mensch Carolin, stell dich doch nicht blöd“, faucht er ungehalten. „Vor zwei Wochen warst du noch völlig normal und jetzt steigst du bei irgendwelchen Junkies ab und nimmst Drogen.“

      So ein Quatsch. Marcel sieht das Ganze völlig falsch. Ich habe nur angefangen zu rauchen. Mehr nicht. Das muss ich ihm unbedingt sagen. Aber mein Kopf und mein Mund sind nicht ganz kompatibel. Es scheint mir ewig zu dauern, bis ich antworte: „Ich habe nur angefangen zu rauchen und das tust du auch.“

      Ich will wütend klingen, aber das geht irgendwie nicht. Ich stehe an der Linie auf der Seite von ‚nicht wütend‘ und komme nicht auf die andere Seite.

      Marcel schüttelt den Kopf und wir verlassen über die letzte Ampel die Lichter der Stadt und fahren in die Dunkelheit hinein.

      Die Dunkelheit ist auch irgendwie cool. Damit ist das viele Licht weg. Es liegt hinter uns und frisst die Stadt. Wir sind dem entkommen.

      Ich bin erleichtert und raune seufzend: „Geschafft!“

      Auch im Auto ist es dunkel und ich kann Marcel nicht mehr richtig sehen. Aber er ist da.

      Ich vergewissere mich aber lieber noch mal und sehe zu der Silhouette, die den Wagen lenkt.

      „Was ist geschafft?“, fragt er.

      „Ah, das Licht ist weg“, erkläre ich mit einer wegwerfenden Handbewegung. Dabei spüre ich, dass ich ruhiger werde. Das muss die Dunkelheit machen.

      Schweigend lassen wir Wallenhorst links liegen und fahren über die zweispurige Straße weiter, bis wir über einen Hügel kommen, hinter dem sich die Stadt Bramsche mit ihren gleißenden Lichtern präsentiert.

      Wir fahren von der Schnellstraße ab und ich bin irritiert. „Wo fahren wir hin?“

      „Zu mir“, raunt Marcel nur.

      Ich sehe verunsichert auf die Stadt, auf die wir unaufhörlich zurollen. Das ist Bramsche! Was sollen wir da?

      Marcel erklärt: „Ich wollte dir das eigentlich am Sonntag erzählen. Aber dann war das mit dem MP3 Player und Tim.“

      Er schluckt schwer und ich sehe ihn an.

      MP3 Player und Tim. Ganz böse Sache.

      Aber sie tangieren mich irgendwie nicht. Doch ich weiß zumindest, dass sie böse sind. Das ist mir klar. Doch ich fühle mich mittlerweile wie in einem Kokon, der mich vor unliebsamen Erinnerungen mit ihren negativen Gefühlsausbrüchen schützt. Wie der Schmetterling in Eriks Lied, der besser in seinem Kokon geblieben wäre.

      „Ich habe eine Wohnung in Bramsche, die ich mir gerade einrichte“, höre ich Marcel sagen.

      „Echt?“, frage ich und irgendwie ist mir plötzlich wieder zum Lachen.

      „Ja, echt“, brummt Marcel genervt.

      Was hat er nur? Ich beschließe, besser nichts mehr zu sagen. Ich habe das erschreckende Gefühl, sonst wirklich Lachen zu müssen. Und diese Gefühlsregung ist offensichtlich etwas, was Marcel noch wütender macht als er sowieso schon ist.

      Nun tauchen erneut riesige Mengen Lichter vor uns auf, die sich wie greifende Arme nach uns ausstrecken und alles umschließen. Aber die Farben sind viel greller und es gibt Orangetöne und Gelbtöne …

      „Wow!“, hauche ich ergriffen und sehe mir das Spektakel an, in das wir direkt hineinfahren.

      Scheinbar problemlos bringt uns Marcels Golf durch dieses gewaltige Lichtspektrum, bis der Wagen plötzlich in eine tiefschwarze Dunkelheit eintaucht. Was ist auf einmal passiert?

      „Wir sind da. Warte, ich mache Licht. Du bleibst sitzen, bis ich dich hole. Sonst ramponierst du mir noch meine Autotür“, knurrt Marcel.

      Mann, ist der empfindlich. Warum sollte ich das tun?

      Brav bleibe ich an meinem Platz und warte.

      Grelles Licht schlägt über mir und dem Auto zusammen. Licht ist eigentlich echt cool!

      Marcel macht mir die Tür auf. „Sei bitte vorsichtig. Hier ist nicht viel Platz“, ermahnt er mich und ich steige aus.

      Wir sind in einer Garage. Was hatte er gesagt? Er hat eine Wohnung. Erst jetzt begreife ich, was er damit meint.

      „Wohnst du hier?“

      Marcel nickt. „Das ist das Haus meines Großonkels. Ich habe ihm erzählt, dass ich von zu Hause ausziehen will und eine Wohnung suche und er bot mir die Untergeschosswohnung hier an. Der Untermieter ist vor zwei Monaten ausgezogen und das Haus steht komplett leer. Ich bin also auch der Hausaufpasser.“

      Durch eine Seitentür schiebt Marcel mich aus dem Gebäude in einen Garten und von dort zu einer Haustür, durch die wir in eine kleine, ziemlich leere Wohnung treten.

      „Ich habe noch nicht viele Möbel, aber das kommt noch. Aber ich habe alles fertig gestrichen und geschrubbt. Der Untermieter muss ein ziemliches Schwein gewesen sein“, erklärt er.

      Es riecht sogar noch nach Farbe und im Flur stehen verschiedene Eimer mit Farbresten und einer mit Wasser, in dem Pinsel und eine Farbrolle schwimmen.

      Marcel schaltet überall Licht an und schiebt mich in die Küche. Das ist der einzige vollständig eingerichtete Raum.

      „Darf ich mal deine Toilette benutzen?“, frage ich kleinlaut. Der neue Marcel schüchtert mich ein. Ist es wirklich erst zwei Wochen her, seit ich mich wegen dieser Katjageschichte von ihm trennte und eine, seit er mich dann wegen Tim abschoss?

      Er nickt nur und sieht mich unter seiner Kappe seltsam an. Ich kann mir nicht denken, dass es ihn freut, mich hier zu haben. Er sieht zumindest nicht so aus.

      Da er keinerlei Anstalt macht, mir den Weg zu zeigen, gehe ich selbst auf die Suche.

      Es gibt ein komplett leeres Wohnzimmer und einen Raum, in dem Berge von Wäsche an der Wand lehnen. Eine große Matratze liegt auf der Erde, in der Marcel wohl schon geschlafen hat. Es gibt Kissen und eine zerwühlte Decke.

      Das Badezimmer finde ich am Ende des Flures. Es ist klein, aber schön. Eine Dusche mit einer Glaswand und einer Toilette nehmen fast die gesamte hintere Wand ein. An der Seite ist das Waschbecken und zu meiner Überraschung steht daneben sogar eine Waschmaschine. An der anderen Wand steht ein Regal, in der auf einem Regalboden Handtücher und verschiedene Utensilien liegen. Die restlichen Böden sind noch unbenutzt.

      Mein Blick gleitet zu dem Spiegel über dem Waschbecken und ich bin einen Moment verwirrt. Bin ich das? Und was ist mit meinen Augen? Das grünblau ist fast vollständig verschwunden.

      Kopfschüttelnd wende ich mich ab und gehe zur Toilette. Während ich auf dem kalten WC Sitz hocke, sehe ich mich weiter um. Marcel hat alles hier. Zahnbürste, Kamm, Rasierer. Er bewohnt diese Wohnung scheinbar wirklich schon.

      Er hat nicht gelogen.

      Als ich wenig später wieder in die Küche komme, sehe ich Marcel mit in den Händen vergrabenem Gesicht am Tisch sitzen. Ich bleibe im Türrahmen stehen und sehe ihn nur an.

      Er sieht so gut aus und die ganze Wohnung ist so schön. Außerdem wirkt


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