Das Vermächtnis aus der Vergangenheit. Sabine von der Wellen

Das Vermächtnis aus der Vergangenheit - Sabine von der Wellen


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nur geträumt“, stellt er fest und wirkt genauso verwirrt, wie ich es war, als ich aufwachte. Langsam löst er seine Umklammerung und lässt seine Arme kraftlos auf die Matratze sinken.

      Ich fühle mich plötzlich allein und habe Angst vor dem, was nun folgen wird.

      „Es tut mir leid“, sage ich leise.

      „Was tut dir leid?“, fragt er etwas zu barsch.

      „Alles! Dass du mich abholen musstest und ich da fast unter die Räder gekommen bin. Und auch alles andere.“

      Marcel schiebt sich von mir weg und sieht mich an. Ich kann seinen Gesichtsausdruck nicht deuten.

      „Alles andere? Wenn es noch mehr zu beichten gibt, außer der Sache, dass du mit Tim geschlafen hast, du rauchst und dich von irgendwelchen Junkies mit Drogen vollpumpen lässt, dann sag es bitte gleich“, knurrt er.

      Ich habe das Gefühl, ein Abgrund tut sich zwischen uns auf. Oh Mann!

      Ich schüttele den Kopf. „Nein, das war’s.“ Dabei setze ich mich auf, um freier atmen zu können. Mir ist übel und in meinem Inneren rebelliert alles. Wir sind trotz unserer Liebesschwüre in der vergangenen Nacht noch nichts weiter.

      „Es tut mir wirklich alles leid. Ich wusste nicht, dass in den Keksen irgendetwas drinnen war. Woher auch?“, versuche ich mich zu verteidigen.

      Mir fällt Erik ein und wie er mich den ganzen Abend nicht mehr aus seinem Zugriffsbereich gelassen hatte. Hätte Ellen nicht Marcel angerufen, wäre ich bei ihm im Bett gelandet. Zumindest hatte er seiner Schwester gegenüber diesbezüglich eine Äußerung gemacht. „Sie schläft eh hier! Sie bleibt heute Nacht bei mir.“

      Gott, was war ich dumm. Und völlig unwissend hatte ich bei Marcel noch behauptet, keine Drogen genommen zu haben. Kein Wunder, dass er sauer ist.

      Marcels Hand legt sich um meinen Arm und zieht mich auf die Matratze zurück und weiter an seine Schulter. Leise raunt er: „Mensch, Carolin! Was mache ich nur mit dir? Du ziehst Ärger magisch an und wenn keiner auf dich aufpasst, gehst du unter.“ Sein Arm legt sich beschützend um mich.

      Ich sehe ihn an und schürze die Lippen. Das will ich so nicht stehen lassen. „Das stimmt nicht! Ich habe nur das mit den Drogen in den Keksen nicht gewusst. Das passiert mir nicht noch mal. Ellen hat mir immer gesagt, dass ich bei allen Getränken und Zigaretten aufpassen muss. Die nimmt nichts, was schon geöffnet ist. Sie passt eigentlich gut auf mich auf. Nur gestern konnte sie halt nicht …“, versuche ich Marcel klarzumachen, dass ich eigentlich in kürzester Zeit schon viel diesbezüglich gelernt habe und dass das alles nur eine Verkettung dummer Umstände war.

      Er legt den anderen Arm auch noch um mich und drückt mich an sich. „Verdammt, verdammt! Wo bist du da nur hingeraten? Das kann doch alles nicht wahr sein! Bei uns würde das keiner wagen“, brummt er mit aufkeimender Wut in der Stimme.

      „Ach Marcel, das stimmt nicht“, beteuere ich verächtlich.

      Ich habe das Gefühl, meine neue Welt und mein neues Leben verteidigen zu müssen.

      „Bevor ich mit dir zusammen war, musste ich auch schon einige Übergriffe von Jungen abwehren, die halt statt Drogen Alkohol als Waffe einsetzten. Das gibt es bei uns auch“, versuche ich ihn zu überzeugen, dass meine neue und meine alte Welt gar nicht so verschieden sind. Zumindest nicht diesbezüglich. Allerdings muss ich sagen, dass Erik gestern wirklich alle Register gezogen hatte. Macht der das hobbymäßig und zum Zeitvertreib? Ellen hatte erwähnt, dass Frauen Aufreißen und Abschleppen zu seinem Leben gehört, wie Essen und Trinken.

      „Das passiert einem halt, sobald die checken, dass du solo bist und sie keine gebrochene Nase befürchten müssen.“ Ich grinse Marcel vorsichtig an. Mit dieser kleinen Stichelei möchte ich dem Ganzen ein wenig den Ernst nehmen.

      Marcel lässt mich los, schiebt mich zur Seite und setzt sich auf. Seine Augen sprühen Funken. „Was? Das ist dir schon mal passiert? Ich meine, außer auf der Scheunenfete, als ich unserem Lehrling hinterher einen auf die Nase gab?“

      „Leider ja.“ Ich setze mich auch auf. Dass Marcel jetzt so darauf anspringt, hatte ich nicht erwartet. Er ist schon wieder wütend und langsam befürchte ich, dass er sich in etwas hineinsteigert, das unsere Stimmung der letzten Nacht völlig zunichtemacht.

      Marcels Augen sprühen vor Wut. „Gut, dann ist das jetzt vorbei. Du sagst allen, dass du nicht solo bist und dass sie sich hüten sollen, dich anzupacken“, faucht er aufgebracht.

      Mein Herz macht einen kleinen Luftsprung. Aber ich will mir sicher sein, was er damit meint.

      „Marcel, das geht nicht“, flüstere ich und sehe auf meine Hände, die auf der Decke liegen.

      „Warum nicht?“, knurrt er und um seinen Mund liegt ein verbissener Ausdruck, den ich bei ihm so noch nie gesehen habe.

      „Weil … ich … solo … bin“, murmele ich leise und betone jedes Wort.

      Marcel erstarrt. Er fährt sich mit einer fahrigen Handbewegung durch das Haar. Dann trifft mich sein Blick und er raunt: „Ich möchte das wir wieder zusammen sind. Ich brauche dich und ich liebe dich immer noch. Oder war das heute Nacht nichts wert?“ Er sieht mich aus zusammengekniffenen Augen herausfordernd an.

      „Doch! Aber ich war mir nicht sicher, ob dir das so viel bedeutet hat wie mir. Du warst so wütend auf mich. Wegen Tim und wegen den Drogen gestern“, sage ich leise und verunsichert, und weiß, ich will ihn auch zurück. Koste es, was es wolle.

      Bei der Erwähnung von Tims Namen schließt Marcel kurz die Augen und verzieht das Gesicht. „Oh, ich war mehr als wütend. Als du mir letzten Sonntag das von dir und ihm erzählt hast, war ich so geschockt. Ich bin einfach ins Auto gestiegen und nur noch gefahren, stundenlang. Irgendwann bin ich wieder in Bersenbrück gelandet und musste tanken. Dort habe ich mein Handy angeschaltet und von dir die SMS gelesen. Dass du Tim bemitleidet hast, hat mich fast ins Grab gebracht und ich habe ihn angerufen. Er war sofort bereit, sich mit mir zu treffen und ich war mir sicher, dass ich ihn umbringe. Aber dann habe ich ihn gesehen und konnte ihm nichts mehr tun und wir haben über die Sache geredet und er konnte mir seine Sicht schildern und seine Hoffnung, die erst wieder Gestalt annahm, als er dich von der Scheunenfete weggebracht hatte - und dass du dich letztendlich sogar gegen ihn entschieden hast, obwohl dass wegen eurer Alchemistengeschichte unmöglich sein müsste.

      Ich bin am nächsten Tag zu meinem Großonkel gefahren und habe mit ihm noch einmal über den Fluch gesprochen und vieles verstanden, was Tim mir erzählte. Aber dass du mit ihm geschlafen hast, darauf komme ich immer noch nicht klar“, resümiert er aufgebracht.

      „Ich auch nicht“, raune ich, selbst von diesem Umstand betroffen. „Tim hatte, nachdem er mich zu sich brachte, schreckliche Tage und Nächte hinter sich, in denen er keine Sekunde zur Ruhe kam, von dieser triebhaften Liebe zu mir gesteuert. Ich hatte ihm so viel zu verdanken. Ohne ihn wäre ich völlig zusammengebrochen und hätte das, was du und Katja mit mir gemacht habt, nicht überstanden. Und so habe ich nachgegeben, um ihn einfach nur zur Ruhe kommen zu lassen.“ Ich hoffe ihm mit der Erwähnung, wie schlecht es mir wegen ihm und Katja ging, mein Verhalten etwas begreiflich zu machen. Aber ich erwähne nicht, wie oft Tim und ich versuchten, ihn dadurch zu beruhigen.

      Ich sehe Marcel ins Gesicht, als ich hinzufüge: „Aber es ging mit uns nicht und so musste er mich nach Hause bringen. Ich konnte das mit ihm nicht und er konnte es nicht ohne mich“, füge ich hinzu und mir wird klar, wie schlimm das Ganze eigentlich für Tim gewesen sein muss, als auch ihm das bewusst wurde.

      „Diese für uns angeblich vorgesehene Liebe ist nur noch von seiner Seite vorhanden. Unsere Liebe hat diesen Fluch so in seinen Standfesten erschüttert und war so viel stärker gewesen, dass bei mir alle Gefühle für Tim wie weggeblasen sind. Das spürten wir beide in seinem ganzen Ausmaß, als wir … miteinander schliefen.“ Ich schlucke bei der eigenen Erwähnung dieser Tatsache und sehe an Marcels Blick, dass ihn der Gedanke daran fast ins Grab bringt, egal, wie sehr ich das Ganze als für mich unwichtig hinstelle. „Ich wusste, es wird für mich immer nur dich geben und sonst niemanden“, ende


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