Das Vermächtnis aus der Vergangenheit. Sabine von der Wellen
Dann nickt er langsam.
„Tim hat das auch so ähnlich gesagt. Er war völlig fertig, dass du für ihn verloren bist und er sagte mir ins Gesicht, wenn jemand dafür Prügel einstecken sollte, dann eher ich, weil ich deine Liebe zu ihm so nachhaltig zerstörte. Ich wollte ihm das nicht glauben. Aber jetzt …“
Meine Gefühle weiter vor ihm ausbreitend, flüstere ich, meine Hand auf seinen Arm legend: „Und heute Nacht war alles wieder da. Meine Liebe zu dir und die Fähigkeit dazu. Es geht nur bei dir und mit dir. Mit niemandem sonst!“
Erleichtert registriere ich, dass ich sogar wieder fähig bin, eine romantisch säuselnde Seite herauszukehren, die ich schon für immer verloren glaubte. „Und ich weiß, dass ich erneut mit dir zusammen sein möchte. Ich brauche dich wie die Luft zum Leben. Ich liebe dich einfach zu sehr!“ Langsam schiebe ich die Decke an die Seite, damit ich mich vor ihn knien kann und streiche ihm das Haar zurück. „Lass es uns noch einmal versuchen und ich verspreche dir, keine Drogen mehr zu nehmen und mehr auf mich achtzugeben.“
Ich nehme sein Gesicht in beide Hände und küsse ihn zärtlich. Er soll meine Liebe zu sich spüren und wenn noch ein winziger Rest von Unsicherheit irgendwo in ihm lauert, will ich diese zerstreuen. Mir wird klar, ich werde alles tun, was nötig ist, um ihn wiederzubekommen.
Langsam zieht Marcel die Decke von sich weg und ohne sich von mir zu lösen schiebt er sich vor mir auf die Knie.
Ich sehe ihn nur an, während er seine Arme um mich legt und mich an sich zieht.
Wir drängen uns aneinander. Seine Hände laufen über meinen Rücken und setzen jeden Millimeter meiner Haut in Brand. Ich lasse meine Hände über seine schmale Hüfte und seinen Rücken gleiten und genieße die Berührung seiner Muskeln unter meinen Fingerspitzen. Als ich meine Lippen über seine Wange und seinen Hals gleiten lasse, haucht er: „Können wir denn anders? Wir sind füreinander bestimmt!“
„Ja, sind wir“, flüstere ich ergeben und lasse mich von Marcels auf die Matratze legen. Sein Blick ist pures Verlangen und er lässt sich neben mich sinken. Langsam schiebt er sich dicht an mich heran und streicht meine Haare zurück. Seine grauen Augen funkeln mich mit einer Leidenschaft an, die mich das Atmen vergessen lässt. „Für immer und ewig“, raunt er leise.
„Für immer und ewig“, antworte ich ihm mit zittriger Stimme und kann es nicht fassen. Wir haben uns wieder!
Marcel fährt mich am Sonntagabend nach Hause. Meine Eltern sind irritiert, dass er mich bringt und auch mit in mein Zimmer geht.
„Oweh! Hast du deinen Vater gesehen? Ich dachte, der frisst mich“, raunt Marcel mir beunruhigt zu.
Ich lache auf. „Ach Quatsch! Das meinst du nur.“
Er nimmt mich in den Arm und zieht mich an sich. So stehen wir einfach nur da. Wir reden nicht. Geredet haben wir genug. Den ganzen Vormittag lang. Marcel hatte mich letztendlich inständig gebeten, besser auf mich aufzupassen und mich von der Drogenscene fernzuhalten. Er will auch, dass ich mich von Ellen fernhalte. Aber das geht nicht. Sie braucht mich. Und ich sie.
Wir machten Pläne, seine Wohnung betreffend. Ich allerdings nur in beratender Funktion.
Für uns beide steht fest, dass wir zusammengehören. Aber jeder soll sein eigenes Leben erst mal in den Griff bekommen. Das wird schon Energie genug erfordern.
Ich muss kämpfen, um die Schule auch nur annähernd gut zu schaffen, und ich bitte mir aus, dass ich mich auch mal mit Ellen treffen darf. Die neue Welt Osnabrücks gefällt mir zu gut, als dass ich sie jemals wieder missen möchte. Sie hat mir ein großes Stück Unabhängigkeit geschaffen und mich wachsen lassen und ich möchte auf keinen Fall erneut in mein altes Mauerblümchenleben zurückfallen.
Marcel ist damit nicht einverstanden, hofft aber darauf, dass ich mich noch besinne und ich musste ihm versprechen, dass ich nicht mehr verbreite, dass ich solo bin.
„Du gehörst jetzt wieder zu mir und wenn du mit Ellen oder deinen anderen neuen Freundinnen in Osnabrück bist, möchte ich, dass du das jedem sagst, der dir sonst krumm kommt. Verstanden?“, hatte er mir eindringlich eingetrichtert und ich versprach ihm das mit einem warmen Gefühl im Herzen.
Aber ansonsten haben wir beschlossen, dass wir uns zwar sehen werden, wann immer einer von uns beiden das will, aber andererseits erst schauen wollen, wie wir uns in unserer eigenen Welt schlagen. Ich, in meiner neuen Schule und in der Welt der Großstadt und Marcel als abgenabelter Wohnungsbesitzer. Außerdem möchte er erneut seinen Fußballsport ausbauen, den er in den letzten Wochen ziemlich vernachlässigt hatte.
Mit dieser Regelung wollen wir beide einen Neuanfang wagen und hoffen darauf, dass die Zeit die alten Wunden heilt. Mir steckt noch der Schmerz in den Knochen, den Katja und Marcel in mir ausgelöst hatten, die schlimme Zeit, die ich unter dem Verlust unserer Liebe gelitten hatte und dem erneuten Schmerz, als er mich wegen Tim verließ.
Marcel kommt noch immer nicht darüber hinweg, dass ich mit Tim geschlafen habe.
Wir wissen beide, dass wird noch länger an uns zehren.
Außerdem haben wir beschlossen, Tim nichts davon zu sagen, dass wir wieder zusammengefunden haben. Er ist schon in der letzten Woche nach Wolfsburg zurückgekehrt, um sich auf seine Tournee vorzubereiten und wir werden ihn somit lange nicht sehen. Aber uns ist klar, dass wir unsere neu gewonnene Beziehung auch vor vielen aus unserem alten Bekanntenkreis geheim halten müssen, wenn wir nicht Gefahr laufen wollten, dass Tim dennoch etwas über uns erfährt. Erst wenn wir beschließen werden, es erneut öffentlich zu machen, wird es sich nicht mehr vermeiden lassen. Ich habe die Befürchtung, dass ihn das dann auch wieder in mein Leben platzen lässt und das ist ein Gedanke, den Marcel nicht ertragen kann.
Nun stehen wir in meinem Zimmer und halten uns nur fest. Marcel muss bald gehen und ich will ihn nicht gerne gehen lassen. Es ist so schön, dass wir uns wiedergefunden haben.
„Süße, ich muss jetzt los“, raunt er mit belegter Stimme. „Meine Eltern warten und sei mir nicht böse, aber ich werde ihnen sagen, dass wir wieder zusammen sind. Dann regen sie sich noch mehr auf und sehen, dass die ganze Aktion von Katja rein gar nichts gebracht hat, außer dass ich jetzt dreißig Kilometer entfernt wohne. Das ist für meine Mutter das Schlimmste.“
„Das wäre es für meine auch, wenn ich auch noch weg wäre“, erwidere ich und muss an Julian denken, der noch immer in dieser geschlossenen Anstalt sitzt und auf seine Verhandlung wartet.
Wir lösen uns widerwillig voneinander und sehen uns an.
„Ich liebe dich!“, flüstere ich, und Marcel flüstert: „Und ich liebe dich.“
Wir können noch nicht auseinandergehen. Es erscheint uns unmöglich.
Wir küssen uns und Marcel lacht auf einmal sein tiefes, raues Lachen, dass ich so an ihm liebe.
Ich drücke ihn von mir weg und sehe ihn an. „Hey, warum lachst du?“ Dabei knuffe ich ihn verspielt. Es freut mich, ihn wieder lachen zu sehen.
„Weil ich einfach glücklich bin, dass wir die Kurve noch mal gekriegt haben und ich sicher weiß, dass es diesmal für immer ist.“
„Das glaube ich auch. Ich möchte nicht noch mal so leiden, weil du mich verlässt“, sage ich ernst.
Er nimmt mich wieder in den Arm. „Ich danke Kurt Gräbler für diesen Fluch, der aus irgendeinem Grund mich in dein Herz brachte, statt jemand anderen“, säuselt er mir ins Ohr.
„Glaub mir, das war nicht in seinem Sinne. Du bist von der Gegenseite, schon vergessen? Dass ich dich so liebe ist eine andere Macht. Deine Macht.“, kann ich nur antworten und bin überrascht, dass ich erneut meine Gefühle dermaßen vor ihm ausbreite. Irgendetwas hat mich verändert. Ich habe heftigsten Schmerz ertragen und ihn in allen Facetten ausleben müssen. Vielleicht kann ich deshalb nun auch besser Gefühle zeigen.
Wir küssen uns noch einmal und Marcel löst sich endgültig von mir.
„Ich muss jetzt wirklich los. Ich sollte schon vor einer Stunde bei meinen