Das Vermächtnis aus der Vergangenheit. Sabine von der Wellen

Das Vermächtnis aus der Vergangenheit - Sabine von der Wellen


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Bluse hoch und ich sehe die blauen Flecken rund um ihren Unterarm.

      „Oh Mann! Was ist denn mit dir passiert?“, frage ich entsetzt und sofort schießt mir, wer das nur gewesen sein kann.

      „Und der andere Arm sieht auch nicht besser aus. Das ist von nachts, als er mir den Schlüssel abgenommen hat … und von gestern, als ich ihn beschimpfte, dass er dich in Ruhe lassen soll. Da ist er auch ausgeflippt und hat mich mal eben durch den Raum gefegt. Mein Bein sieht deshalb auch etwas ramponiert aus. An eine kurze Hose ist diese Woche nicht zu denken.“ Sie grinst mich an, aber ihre Augen schimmern feucht. Offensichtlich ist ihr mehr zum Heulen.

      Ich bleibe stehen und sehe sie entsetzt an. Leise brumme ich: „Was, das hat Erik gemacht? Wegen mir? Oh mein Gott, Ellen! Das tut mir leid! Ich werde das selbst mit ihm klären. Bitte misch dich da nicht mehr ein. Ich will nicht, dass dir etwas passiert!“ Dass sie wegen mir so gelitten hat ist das Schlimmste, was ich mir vorstellen kann.

      „Nichts da! Ich will nicht, dass dir etwas passiert. Er ist mein Problem“, raunt Ellen und geht weiter.

      Ich bin sprachlos. Was für eine kranke Welt. Aber ich werde trotzdem mit Erik reden. Vielleicht kann ich ihn mit gutem Willen und guten Worten zur Vernunft bringen. Zumindest, damit er Ellen in Ruhe lässt. So etwas kann er doch mit seiner Schwester nicht machen.

      An der Schule sehen die anderen uns schon entgegen. Daher lassen wir das Thema fallen und verschieben es auf den Nachmittag.

      Am Nachmittag sitzen Sabine, Ellen, Andrea und ich im Burger King, jede vor einem riesigen Baguette oder Salat, und sinnieren über unsere neue Schule nach.

      Sabine murrt: „Das wird noch ziemlich schwierig. Und ich habe gedacht, wir können dort einen lauen Lenz schieben. Aber wenn wir da fertig sind, sind wir Ärzte, Köche, Elektriker, Gärtner, Schneider und sonst noch was.“ Dabei wirft sie ihre langen, dunklen Haare zurück und beißt erneut in ihr Baguette. Ihre dunklen Augen heften sich in unsere Gesichter.

      Die anderen nicken. Auch ich muss zugeben, dass ich mir das Ganze weniger inhaltsvoll vorgestellt habe. Das werden die härtesten zwei Jahre meines Lebens. Zumindest schulisch gesehen.

      „Vielleicht mache ich nur das erste Jahr“, raunt Andrea und ihre braunen Kulleraugen wandern von einem zum anderen. Wie immer sind ihre Wangen in dem runden Gesicht gerötet und sie streicht nervös durch ihr kurzes, blondes Haar, als müsse sie durch eine Mähne kämmen. Sie isst diesmal wieder nur einen Salat, in dem verzweifelten Versuch, etwas abzunehmen.

      „Kommt, jetzt lasst euch nicht schon am Anfang entmutigen. Wir werden einfach alle sehen, dass jeder von uns da durchkommt. Zusammen schaffen wir das“, schalte ich mich ein und meine Stimme strotzt nur so vor Selbstbewusstsein, was mich selbst am meisten überrascht. Aber hier, und in dieser Gruppe, bin ich nicht nur cool, sondern auch weise. Das zeigen mir zumindest die Gesichter, die sich alle dankbar für die aufmunternden Worte auf mich richten. „Also wird hier jetzt keiner mehr Trübsal blasen“, füge ich noch hinzu.

      Ellen grinst mich zufrieden und ein wenig stolz an. Ich glaube, sie freut sich darüber, dass wir besonders gute Freunde sind und ich zwinkere ihr zu.

      Da das Wetter so unglaublich schön ist, beschließen wir in einem kleinen Park die Sonnenstrahlen zu genießen und zusammen die Verdauungsorgane und die dazugehörigen Enzyme zu lernen. Erstaunlicherweise erweise ich mich sogar als Lehrer als durchaus brauchbar und Wörter wie Pepsin, Trypsin, Ptyalin und Lipase stellen sich nicht mehr als unüberbrückbare Hindernisse auf dem Weg zu unserem Großhirn dar.

      Auf dem trockenen, gelben Rasen liegend, lachen und scherzen wir über die erstaunlichen Gänge, die unser Essen durch unseren Körper zurücklegt und müssen alle feststellen, dass unser Interesse geweckt ist.

      „Puh, also wenn ich mein Essen ewig in meinem Körper behalte, werde ich dick und rund bleiben“, jammert Andrea. „Aber, wenn ich doch nicht aufs Klo kann!“

      Sabine lacht. „Tja, das werden wir dann morgen mal als Gesprächsrunde in unserer Biostunde anbringen. Was machen wir mit Andrea, die nicht auf die Toilette gehen kann.“

      „Nein, bloß nicht!“, ruft Andrea bestürzt aus und wird rot.

      Wir halten uns den Bauch vor Lachen, und völlig albern und verspielt wie Grundschüler reißen wir weiter dumme Witze.

      Mein Handy klingelt und ich hole es aus der Tasche. Es zeigt mir eine Nummer ohne Namen an. Also ist das niemand, den ich kenne.

      „Ja!“, kichere ich immer noch völlig albern in das Handy.

      „Carolin?“, höre ich eine tiefe Stimme fragen.

      „Ja“, hauche ich und mir bleibt mein Kichern im Hals stecken.

      Verdammt, das ist Erik!

      Ich werfe Ellen einen schnellen Blick zu und stehe auf, um mich ein Stück von der Gruppe zu entfernen. Wer weiß, was jetzt kommt? Ich für meinen Teil bin schrecklich wütend auf ihn, weil er Ellen so zugerichtet hat.

      „Ich bin es, Erik!“

      „Ja. Was willst du?“ Ich klinge auch dementsprechend.

      „Nur hören, ob du den Samstagabend gut überstanden hast. Wenn ich gewusst hätte, dass du dir die Kekse reinziehst, hätte ich besser auf dich achtgegeben. Ellen ist deswegen ziemlich sauer auf mich.“

      Einen Moment bin ich sprachlos. Dann raune ich ungehalten: „Du hast genug auf mich achtgegeben und du wusstest sehr wohl, dass ich die Kekse esse, wenn mir keiner sagt, was da drinnen ist. Wenn ich mich recht erinnere, hast du mir sogar noch den Teller zugeschoben. Aber egal. Ich kann selbst auf mich aufpassen“, brumme ich.

      „Und warum bist du dann abgehauen?“, fragt er herausfordernd.

      „Das war nicht ganz freiwillig, aber letztendlich wohl besser“, antworte ich und sehe zu den Mädels, die immer noch kichernd und herumalbernd sich in der Sonne aalen.

      Erik brummt missmutig: „Warum besser? Dir wäre doch bei uns nichts passiert. Aber so weiß ich ja nicht, wo du in der Nacht noch gelandet bist.“

      Komisch, hatte Ellen ihm nicht gesagt, dass mein Ex-Marcel mich abgeholt hat und der nun nicht mehr mein Ex ist?

      Ich will nicht weiter mit Erik reden. Es geht ihn auch nichts an, wo ich abgeblieben bin. Aber es gibt etwas, was ich ihm zum Nachdenken mitgeben will. Unbedingt!

      „Erik, wenn du das nächste Mal ein Problem mit mir hast, kläre das gefälligst mit mir und nicht mit deiner Schwester. Sie hat mir die blauen Flecken gezeigt, die du ihr zugefügt hast. Ich hasse solche Leute!“, fauche ich aufgebracht. „Ist das klar?“

      Mein Herz schlägt mir bis zum Hals und vor meinem inneren Auge baut sich Eriks Gestalt in seiner vollen Größe auf. Vielleicht hätte ich meine Worte bedachter wählen sollen.

      Einige Zeit ist es still am anderen Ende, was mich noch mehr beunruhigt. Dann verrät ein Räuspern, dass überhaupt noch jemand am anderen Ende der Leitung ist. „Okay, wann und wo?“, höre ich Erik wütend zischen.

      Mir fällt die Kinnlade runter. Damit habe ich nicht gerechnet. Ich versuche meine aufsteigende Unruhe zu ignorieren. Was soll ich jetzt tun? Ich werfe Ellen erneut einen schnellen Blick zu.

      Am anderen Ende höre ich ein leises Lachen. „Ah, Schiss?“

      Verdammt.

      „Bestimmt nicht! Wir werden sehen, wann wir uns über den Weg laufen. Und ich habe keine Zeit mehr, die anderen warten. Tschau!“

      „Okay! Dann bis ganz bald … zur Problembesprechung“, knurrt Erik übellaunig.

      Oh weh. Wo habe ich mich da wieder hineinbugsiert? Ich lege schnell auf.

      Als ich zu den Mädels zurückgehe, sieht Ellen mich fragend an.

      Ich winke nur ab. Ich kann ihr nicht sagen, dass ihr Bruder so etwas wie eine Aussprache mit mir haben will … worüber auch immer. Wahrscheinlich ist er sauer, weil ich weiß, dass er Ellen so


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