Das Vermächtnis aus der Vergangenheit. Sabine von der Wellen

Das Vermächtnis aus der Vergangenheit - Sabine von der Wellen


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zwanzig Minuten.“ Andrea springt auf. „Ich muss los. Muss noch jemand zum Bahnhof?“

      Sabine steht auch auf, während Ellen an ihr Telefon geht, das zu klingeln begonnen hat. Sie winkt den beiden zu und wirkt irritiert, als sie sich meldet.

      „Wo gehen wir denn am besten von hier aus lang?“, fragt Andrea mich und ich schüttele unwissend den Kopf. Ausgerechnet mich hier in Osnabrück nach dem Weg zu fragen ist wirklich unklug.

      „Moment!“, raunt Ellen ins Telefon und wendet sich an Andrea. „Geht hier den Weg lang, dann kommt ihr direkt an der Hauptstraße beim Haseplatz raus. Dort haltet ihr euch rechts, bis zur Ampel. Dort geht ihr geradeaus drüber und folgt der Straße auf der anderen Seite, bis ihr links den Bahnhof seht. Ganz einfach.“

      Gut das Ellen sich hier bestens auskennt.

      Die wendet sich wieder ihrem Gespräch zu und wirkt beunruhigt. Sie wirft mir einen seltsamen Blick zu und schüttelt verständnislos den Kopf.

      Wir winken Sabine und Andrea noch mal zu, die eilig aufbrechen und ich lege mich ins Gras, die Sonne genießend. Während Ellen telefoniert, gebe ich mich der Müdigkeit hin, die mich überfällt. Ich bin nach den letzten zwei Nächten und dem Ganzen, was passiert ist, müde und wie erschlagen, und das Gespräch mit Erik hat mich nicht gerade aufgebaut. Was will der eigentlich? Bloß weil ich mit seiner Schwester befreundet bin, muss ich mich nicht auch noch mit ihm auseinandersetzen. Oder soll das ein normaler Zustand werden? Ellen ist schließlich auch irgendwie mit seinem Daniel liiert. Glaubt er, weil er die beiden ständig tyrannisiert, kann er das auch mit mir machen?

      Ich höre Ellen ziemlich fassungslos immer nur „Ja“ und „Nein“ ins Handy murmeln und dämmere vor mich hin. Dabei schweifen meine Gedanken zu Marcel ab. Die Vorfreude auf unseren gemeinsamen Abend und die Nacht in seinen Armen jagt mir einen wohligen Schauer über den Rücken.

      „Völlig durchgeknallt, sage ich dir“, höre ich Ellen neben mir raunen. „Weißt du, was gerade passiert ist?“ Sie wartet erst gar nicht auf eine Erwiderung von mir. „Mein Bruder hat sich bei mir entschuldigt. Das hat er in seinem ganzen Leben noch nie gemacht. Das ist bestimmt erneut so ein Psychoscheiß mit Hintergedanken. Sonst kann ich mir das nicht denken“, murrt sie aufgebracht.

      Ich tue so, als wäre ich eingeschlafen. Erik hat sich also bei ihr entschuldigt. Das ist auch das mindeste, was er tun konnte.

      Ich lasse meine Gedanken wieder zu Marcel wandern, was ein weitaus erfreulicheres Thema ist und sinke weiter in eine angenehme Traumwelt.

      Die Sonne brennt in mein Gesicht, als Ellen mich am Arm wachrüttelt.

      „Carolin, wir sollten hier schnellstmöglich verschwinden.“

      Ich finde kaum aus dem Tiefschlaf heraus, der mich immer noch mit aller Macht festhalten will. Es ist so schön warm und ich höre Vögel zwitschern, Kinder spielen, Autos röhren. Das ist das Großstadtleben, das sich in unsere kleine grüne Oase nur als Geräuschkulisse traut.

      „Hey, wach auf!“ Ellen klingt beunruhigt. Was ist denn plötzlich los?

      Als ich mich langsam aufsetze, um sie anschauen zu können, ohne dass das gleißende Sonnenlicht mir die Augen versengt, starrt sie immer noch nachdenklich auf ihr Handy.

      „Was ist passiert?“, frage ich verwirrt und etwas untröstlich, dass sie mich geweckt hat. Ich hatte von Marcel geträumt …

      „Ich weiß nicht genau. Daniel hat mir eine SMS geschrieben, dass wir von hier verschwinden sollen.“

      „Hä? Woher weiß er denn, wo wir sind?“, frage ich.

      Ellen hält mir ihr Handy unter die Nase und ich lese: „Verschwindet von da, wo ihr gerade seid.“

      „Hm, verstehe ich nicht. Und die ist wirklich von Daniel und an dich gerichtet? Da steht nicht viel“, bemerke ich etwas genervt. Die haben schon einen komischen Umgang miteinander.

      Ellen steht auf. „Das hat er schnell geschrieben, damit das keiner mitbekommt. Es ist eine Warnung. Aber ich weiß nicht, weshalb.“ Ellen klingt besorgt. „Wir sollten aber besser machen, was er sagt.“

      Ich sehe das etwas anders. Aber da ich als Mauerblümchen keine Ahnung von der lauernden Großstadtwildnis habe, stehe ich auch auf. Vielleicht ist Ellen aus irgendeinem Grund in Gefahr und ich will nicht diejenige sein, weswegen sie wieder Stress hat.

      Wir greifen nach unseren Sachen und gehen den Weg weiter, der uns in die Innenstadt führt.

      „Ich rufe ihn später an, wenn ich das Gefühl habe, ihn ohne Probleme fragen zu können, was los ist.“ Sie wirkt unsicher und sieht sich ein paar Mal um.

      Auch ich ertappe mich dabei, mir die Leute, die uns entgegenkommen, genauer anzuschauen.

      Mann, das ist schon alles aufregend!

      Erst als wir in das Getümmel der Fußgängerzone eintauchen, wird Ellen ruhiger.

      Ich sehe auf die Uhr. Es ist schon nach sechs. Ich muss tatsächlich einige Zeit geschlafen haben.

      „Was machen wir jetzt?“, fragt Ellen, nun besser gelaunt und wieder beruhigter.

      „Ich weiß nicht. Hast du meinen Schlüssel zufällig in der Tasche? Sonst müssten wir den holen.“ Bei dem Gedanken wird mir mulmig. Ich will auf gar keinen Fall Erik begegnen.

      „Nö, wo ist der denn?“ Ellen schaut mich verwirrt an.

      „Eigentlich in meiner Jacke, die ich am Samstag bei dir gelassen habe. Du hast mir mein Handy in die Hand gedrückt und meine Geldtasche hatte ich in meiner Hosentasche. Aber der Schlüssel …?“

      „Brauchst du den denn heute noch? Sonst bringe ich ihn dir morgen mit zur Schule.“ Aus irgendeinem Grund habe ich das Gefühl, dass ihr die Option, den Schlüssel morgen mitzubringen, mehr zusagt. So überlege ich kurz.

      „Nö, ich brauche den nicht. Ich bleibe heute Nacht bei Marcel. Aber morgen muss ich den dann schon haben.“ Mir fällt mit Schrecken ein, dass ich meiner Mutter noch Bescheid geben muss, dass ich heute Nacht bei Marcel schlafe. Ich habe das lange genug aufgeschoben.

      Ellen scheint erleichtert. „Kein Problem. Ich schaue heute Abend noch danach und bringe ihn dir morgen mit.“

      Wir kommen an einen Brunnen, an dem wir uns hinsetzen, um in Ruhe eine Zigarette zu rauchen. Ich nehme mein Handy und rufe meine Mutter an.

      Sie ist überhaupt nicht begeistert, dass ich bei Marcel bleiben will. Sie macht mich sogar richtig wütend, als sie mich energisch nach Hause beordern will.

      „Ich denke, ich komme morgen wieder nach Hause, wenn ihr mir keinen Stress macht. Ansonsten überlege ich mir das noch. Tschüss!“, zische ich aufgebracht.

      Wenn meine Eltern glauben, dass ich mir mein neues Leben mit Marcel verbieten lasse, haben sie sich geschnitten. Ich kann auch ganz wegbleiben, wenn sie es darauf anlegen, mir mein Leben zu versauen.

      Ich lege auf und sehe Ellen an. „Das passt denen gar nicht, dass ich heute bei Marcel schlafe. Aber sie müssen damit leben“, erkläre ich ihr meinen wütenden Ausbruch, als ein Schatten auf uns fällt.

      Zwei Jugendliche treten an uns heran. „Habt ihr was?“, raunt uns einer der beiden zu.

      „Verpiss dich“, brummt Ellen und sie verschwinden schnell.

      Ich sehe ihnen hinterher und dann Ellen an. „Was war das denn? Was sollen wir haben?“

      Ellen sieht mich kopfschüttelnd an. „Wo kommst du nur her? Von einem anderen Planeten? Sie wollten Stoff.“

      Ich brauche einige Zeit, bis ich begreife. „Ach so.“

      „Hör mal!“, raunt Ellen neben mir leise. „Wenn dich jemand anspricht, ob du was haben willst, dann sagst du immer Nein. Und auch, wenn jemand dich fragt, ob du etwas hast. Und lass dich niemals mit denen auf ein Gespräch ein. Es können auch verdeckte Ermittler sein. Dass du mit mir zusammen bist, kann für dich zum Nachteil werden.


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