Das Vermächtnis aus der Vergangenheit. Sabine von der Wellen
„Schlaf schön, mein Engel.“
Zu gerne. Keinen anderen Gedanken mehr zulassend als den, dass Marcel neben mir liegt und mich mit seiner vertrauten Wärme und seinem Geruch einlullt, falle ich schnell in den Schlaf.
Am nächsten Morgen von Marcel geweckt zu werden, lässt meinen Tag sofort gut starten.
„Hm, kann ich das für immer haben?“, frage ich und strecke mich.
Marcel zieht mich in seinen Arm. „Oh ja! Das steht auch ganz oben auf meiner Wunschliste“, raunt er und versenkt sein Gesicht in meinen Haaren. „Aber es nützt nichts. Wir müssen jetzt aufstehen. Ich habe dir schon eine kleine Verlängerung gewährt. Komm, es ist gleich zwanzig vor sieben.“
„Oh Mann, ist das doof. Darf ich nicht ein bisschen schwänzen?“
„Nix da! Das fangen wir erst gar nicht an.“
Schmollend quäle ich mich aus dem Bett, gehe unter die Dusche und setze mich an den fertig gedeckten Frühstückstisch.
„Möchtest du Kaffee oder Tee?“, fragt Marcel.
„Bitte nur ein Glas Wasser.“
Er setzt sich zu mir und wir essen Toast mit Marmelade oder Nutella. Marcel wirkt etwas nervös und ich sehe mehrmals fragend in sein Gesicht. Aber er sagt nichts.
Als ich fertig gefrühstückt habe und aufspringe, um noch einmal auf die Toilette zu gehen, hält er mich auf. „Moment! Bitte, Carolin! Warte!“
Ich sehe ihn verunsichert an.
Er zieht mich direkt vor seinen Stuhl und sieht mir um Verzeihung heischend in die Augen. „Bitte, sei jetzt nicht wütend oder so. Aber es lässt mir keine Ruhe und ich möchte, dass wir Gewissheit haben.“
Ich sehe ihn groß an. Was meint er?
Marcel hält mir etwas hin, was ich nicht gleich erkenne. Aber dann fällt es mir wie Schuppen von den Augen. Es ist ein Schwangerschaftstest.
„Soll ich den jetzt machen?“, frage ich ungläubig.
Er nickt nur.
Ich nehme ihn und gehe ins Badezimmer.
Manometer. Marcel kann einen schon am frühen Morgen schocken. Bin ich bereit für die Wahrheit?
Auch wenn ich glaube, nicht schwanger zu sein, packt mich nun doch die Unsicherheit.
Etwas zittrig lese ich, wie ich ihn benutzen muss.
Gut … draufpinkeln und abwarten. Das müsste zu schaffen sein.
Mein Herz wummt wie eine kaputte Auspuffanlage. Ich lege den Streifen auf die Kiste, während mein Magen vor Aufregung zu rebellieren beginnt.
Schnell bringe ich das Ganze zu Marcel. Soll der doch davorsitzen und warten. Das halten meine Nerven nicht aus.
Der schaut mich nur irritiert an.
„Bitte schau du? Mir ist schon ganz übel. Ich föhne mir in der Zwischenzeit die Haare.“
Als ich aus dem Badezimmer komme, sitzt Marcel vor der Kiste und starrt immer wieder von der Beschreibung auf den Streifen. Als ich zu ihm gehe, steht er auf und nimmt mich in den Arm. „Ich denke, wir können unsere Familienplanung neu beginnen“, sagt er und ich bin mir nicht sicher, ob er sich freut oder enttäuscht ist. „Aber wir lassen ihn noch etwas liegen, okay?“
Ich nicke und atme auf. Mein Leben ist gerettet. „Oh Mann, bin ich froh. Ich hatte schon Panik!“
„Ich auch. Aber hauptsächlich, weil du in letzter Zeit nicht gerade zimperlich mit dir und deinem Körper umgegangen bist“, erwidert er.
Ich löse mich etwas aus seinem Griff und sehe ihn an. „Wir werden irgendwann Kinder haben. Einen ganzen Stall voll“, versichere ich ihm. „Aber nicht jetzt. Jetzt fährst du mich erst mal zur Schule, sonst komme ich zu spät.“ Ich grinse ihn frech an.
Marcel nickt und lässt mich los. Seine grauen Augen leuchten. „Wird gemacht, Frau Blum“, sagt er und grinst.
Ich suche meine Schuhe und sehe ihn nicht an. Das alles erweckt schon wieder schlimme Erinnerungen in mir, die ich lieber verdränge.
Marcel hält mich fest, als ich endlich mit meinen Schuhen an den Füßen an ihm vorbei zur Tür gehen will. Er legt seinen Zeigefinger unter mein Kinn und sieht mir nachdenklich in die Augen. „Alles klar?“
„Ja, sicher!“, versichere ich ihm. Aber die Erinnerung an unsere Verlobung, wie seine Eltern reagierten und was das dann alles ausgelöst hat, legt sich schwer auf mein Gemüt.
„Gut! Dann komm!“
Wir gehen über den kleinen Weg zur Garage und ich steige vorsichtig in sein Auto ein, um seine Tür zu schonen. Im Auto lächele ich ihn an. Ich will mit aller Macht die Schrecken aus der Vergangenheit verdrängen.
Er setzt aus der Garage in den trüben morgendlichen Frühdunst eines Sommertages und lässt die Garagentür mit einem Druck auf die Fernbedienung sich wieder verschließen. Wir fahren zügig durch die kleine Stadt zur Schnellstraße.
„Dann sehen wir uns heute nicht mehr“, stelle ich betrübt fest. „Heute Abend muss ich mich bei meinen Eltern blicken lassen. Aber wenn du willst, komme ich morgen Abend zu dir.“
Marcel wirft den Kopf herum. „Oh Mann! Morgen erst? Wenn es anders nicht geht!“
„Nein, wird es wohl nicht“, raune ich leise und weiß schon, dass es erneut keine gute Nacht wird.
„Okay, aber wir telefonieren heute Abend, wenn ich zu Hause bin.“
„Auf alle Fälle.“ Ich küsse meinen Zeigefinger und streiche über seine Wange.
Er zwinkert mir zu, als wir über die Schnellstraße die Anhöhe hinabfahren, die uns direkt nach Osnabrück hineinbringt.
Ich sehe auf die Uhr und weiß, dass ich mich beeilen muss.
An der zweiten Ampel biegt Marcel in die Nebenstraße ein und fährt rings um das Schulgebäude herum, zu der kleinen Nebenstraße, an der er mich beim ersten Schultag abgefangen hatte.
Die meisten Schüler sind schon in die Schule gegangen und auch von meinen Mädels sehe ich nichts.
„Ich muss mich beeilen!“, sage ich und laufe zu seiner Tür, während Marcel sein Fenster herunterkurbelt. Ich nehme sein Gesicht in beide Hände und küsse ihn, mir alle Zeit der Welt lassend. Diesen Moment muss ich einfach auskosten. Wir werden uns erst am nächsten Tag wiedersehen können.
„Hey, nun ist aber Schluss“, höre ich jemanden hinter mir wettern. Es ist Susanne, die mir auf den Rücken schlägt und uns angrinst, wobei sich ihre dicken Wangen aufblähen wie bei einem Frosch.
„Tschüs Schatz! Bis heute Abend am Telefon.“
„Ja, leider“, raunt Marcel. „Aber morgen habe ich bestimmt wieder etwas in der Wohnung fertig. Lass dich überraschen.“
„Nestbau, nennt man so etwas“, sage ich lachend, angesichts der Schocktherapie mit dem Schwangerschaftstest.
„Joop.“ Marcel grinst schelmisch.
„Kommst du jetzt endlich?“, brummt Susanne und zieht an meinem Arm. „Die anderen sind schon weg.“
Ich winke Marcel noch einmal zu und folge ihr schnell. Gott sei Dank haben wir in der ersten Stunde nicht unsere Klassenlehrerin.
Als ich mich noch einmal umdrehe, fährt Marcel gerade weg.
Ganz untypisch für mich, möchte ich schon mit dem ersten Bus nach der Schule nach Hause fahren. Aber auch die anderen wollen an diesem Tag nicht bleiben und Ellen wartet mit mir an der Bushaltestelle.
„Soso! Da hat es dich wieder ganz schön erwischt“, sagt sie und grinst schief, als ich ihr von Marcel und mir erzähle.
„Das stimmt! Wir können