Das Vermächtnis aus der Vergangenheit. Sabine von der Wellen
und mich nur vor seinen Eltern vorgeschoben? Wieder einmal.
„Das mit dem vielen in Osnabrück bleiben … darüber müssen wir noch einmal reden. Ich möchte das eigentlich nicht. Das ist nicht gut für dich. Du hast doch gesehen, wie es dir ergehen kann, und ich kann nicht immer da sein und dich retten“, raunt er, sich wahrscheinlich schon sicher, dass das abermals in Streit ausarten wird.
„Das habe ich auch gar nicht so vor, wie es sich anhört“, beruhige ich ihn. „Aber ich gehe dort nun mal zur Schule und habe da meine Freundinnen. Außerdem will ich Ellen nicht hängen lassen. Ich mag sie wirklich gerne. Du musst dir aber keine Sorgen machen. Ich werde jetzt besser auf mich aufpassen.“
Marcel brummt nur etwas und ich muss lachen. „Du klingst wie mein Vater.“
Mich darum bemühend, ihn auf ein anderes Thema einzuschwören, frage ich ihn, was ihm in seiner Wohnung noch fehlt und was er schon alles geholt hat. So schaffe ich es, ihn von dem leidigen Thema abzulenken.
Marcel macht Pläne für die kommende Woche. Er hat Spätschicht und will die Vormittage nutzen, um einen Kleiderschrank und ein Bettgestell zu organisieren und erzählt mir von seiner Liste, die er sich zusammenschreibt, um einen Überblick zu haben, was er noch unbedingt braucht. Das erinnert mich an die Liste, die ich mit Tim für seine Wohnung zusammengestellt hatte. Es versetzt mir einen kleinen Stich. Tim hasst mich jetzt und ich bin für ihn Geschichte.
„Leider kann ich dir diese Woche nicht helfen. Aber wenn du nächste Woche Frühschicht hast, können wir uns nachmittags zusammen um das eine oder andere kümmern, wenn du willst“, sage ich und spüre schon wieder die Sehnsucht nach ihm durch meine Adern kriechen. Aber ich muss mich zusammenreißen. Unsere Liebe steht noch auf zu wackligen Beinen, als dass ich schon zu viele Ansprüche stellen darf.
Zu meinem Erstaunen raunt Marcel im nächsten Moment: „Carolin!“ Seine Stimme klingt so sehnsuchtsvoll, wie ich mich fühle. „Kann ich dich morgen Abend abholen? Schläfst du bei mir? Ich bringe dich auch am nächsten Morgen pünktlich zur Schule. Versprochen!“
Wie er das anbringt, berührt mich und ich will nichts lieber als das.
„Natürlich komme ich mit zu dir. Aber ich befürchte mein Vater macht einen Aufstand, wenn ich so spät noch wegwill. Der ist so schon nicht gut auf alles zu sprechen.“
„Kann ich denn zu dir kommen?“, fragt Marcel und es tut mir leid, dass ich auch das ausschlagen muss. Aber ich habe eine bessere Idee.
„Ich gehe morgen nach der Schule noch mit den Mädels lernen und fahre dann mit dem Zug um Zehn. Dann bin um halb elf bei dir. Das müsste doch passen, oder?“
Nicht gerade glücklich über diese Planung, raunt er: „Okay, gut. Aber musst du denn schon wieder …?“ Weiter kommt er nicht.
„Marcel, hatten wir uns nicht darauf geeinigt, dass du mir ein wenig die Möglichkeit gibst, mich meinen Weg finden zu lassen. Ich möchte auf keinen Fall den Anschluss an die Klasse verlieren, wie ich das in meiner alten Klasse hatte.“
Mit unsicherer Stimme fragte er: „Wie, den Anschluss verlieren? War das in der alten Klasse denn so?“
Ich will eigentlich nicht mehr daran denken und schon gar nicht darüber reden. Aber ich muss wohl Rede und Antwort stehen. „Leider. In meiner alten Klasse war ich zwei Jahre lang der Außenseiter. Darum war ich auch immer mit Christiane und den anderen aus der Realschule zusammen. In meiner Klasse hielten sie mich für etwas verrückt.“ Ich versuche ein Lachen erklingen zu lassen, was mir auch mehr schlecht als recht gelingt. Marcel wusste davon genauso wenig wie meine Eltern.
„Okay, es ist natürlich klar, dass es dir diesmal bessergehen soll“, brummt er. „Ich verstehe nicht, wie die so zu dir sein konnten.“
„Ach Schatz! Diese ganzen Träume und durchwachten Nächte und meine seltsame Art waren schuld, und dass ich nicht von Anfang an in der Klasse war. Aber das ist vorbei und vergessen. In meiner neuen Klasse geht es mir total gut.“
Ich höre Marcel schlucken. Meine Worte scheinen ihm nahe zu gehen.
„Gut, dann machen wir es so. Hauptsache ich sehe dich morgen wieder. Da habe ich den ganzen Tag etwas, worauf ich mich freuen kann“, sagt er mit seiner dunklen, weichen Stimme, die ich so sehr vermisst habe.
„Ich werde mich auch den ganzen Tag auf dich freuen. Das kannst du mir glauben“, versichere ich ihm.
Kurz darauf verabschieden wir uns. Um halb sechs wird mein Wecker meine Nacht beenden. Marcel kann wenigstens ausschlafen.
Doch erneut ist an Schlaf nicht zu denken. Marcel fehlt mir und ich muss mir eingestehen, dass ich schon wieder so weit bin, meine Zeit mit den Mädels zu kürzen, um jede vertretbare Minute mit ihm verbringen zu können. Und das geht gar nicht. Zumindest seine Spätschichtwoche sollte ich nutzen. Wer weiß schon, wie ich nächste Woche drauf bin, wenn er nachmittags Zeit hat. Ich sehe mich schon brav mit ihm alle Nachmittage verbringen und die Mädels versetzen.
Irgendwann schlafe ich dann doch wohl ein. Zumindest weckt mich etwas, was nicht wie mein Wecker klingt. Irritiert schlage ich die Augen auf und lausche in die Dunkelheit meines Zimmers hinein.
Das war mein Handy, das eine SMS meldete.
„Bestimmt von Marcel“, denke ich und suche es in meinem Bett. Es liegt halb unter meinem Kissen. Einen Knopf drückend, springt das Licht des Displays an und ich sehe den Namen des Absenders. Tim!
Was will der denn mitten in der Nacht? Mich weiter beschimpfen?
Ich öffne die SMS mit einem unguten Gefühl und lese: „Es tut mir leid. Du hast mich bloß wieder so böse erwischt. Ich werde die nächsten vier Monate die Tournee mit dem Orchester hinter mich bringen und hoffe, du siehst dann alles anders. Du hast dann drei Optionen … entweder mit mir zusammen bei dir oder mit mir in Wolfsburg oder … mit mir auf einer einsamen Insel. *grins* Vergiss mich nicht! Dein Tim.“
Mein Herz schlägt mir bis in den Hals. Das ist wieder der alte Tim, mit seinem unerschütterlichen Charme. Ich muss mir eingestehen, dass seine besitzergreifenden Forderungen und seine unbeirrbare Zuneigung mich berühren. Aber ich glaube nicht, dass ich sie je wieder erwidern werde. Ich bin jetzt wieder mit Marcel zusammen und das mit Tim ist für immer vorbei. Außerdem wird er jetzt vier Monate durch Deutschland touren. Vielleicht trifft er dabei auf ein Mädel, das sein Herz berührt. Ich gönne es ihm von Herzen. Er soll mich vergessen und mir mein Leben mit Marcel lassen. Er ist alles, was ich will.
Nun wieder einzuschlafen fällt unglaublich schwer und als mein Wecker anspringt, bin ich mir sicher, gar nicht geschlafen zu haben.
An meiner Bushaltestelle in Osnabrück wartet Ellen auf mich, was mich unglaublich freut. „Nah, das ist ja ein Empfang!“, rufe ich ihr schon zu, als ich die Stufen des Busses hinunterspringe.
„Guten Morgen! Du siehst immer noch ziemlich mitgenommen aus. Ist das noch von Samstag?“
Ich schüttele den Kopf. „Ne, ich habe nur schlecht geschlafen. Du weißt doch, meine beiden Männer …“ Ich grinse sie an und erzähle ihr von der SMS von Tim, die mich mitten in der Nacht aus dem Bett geklingelt hatte.
„Tja, dann muss ich dir leider deinen Tag noch ein wenig mehr versauen. Erik war an meinem Handy. Ich habe ihn erwischt, wie er es gerade weglegte. Wenn du Pech hast, hat er jetzt auch noch deine Nummer“, sagt sie und ich merke, wie unangenehm ihr das ist.
„Das ist nicht schlimm. Der war Samstag eigentlich ganz nett und die Kekse habe ich schließlich nicht von ihm bekommen. Das waren andere! Eigentlich hat er den ganzen Abend auf mich aufgepasst.“
„Jou!“, meint Ellen. „Bestimmt! Du redest doch wohl kaum von meinem Bruder.“
„Doch, so übel ist der gar nicht.“ Mir geht es viel zu gut, nachdem ich Marcel wiederhabe und Tim mir nicht mehr böse ist, dass ich selbst Erik nicht mehr schlimm finden kann. Alles ist toll, schön und ich bin eigentlich glücklich.
Während wir nebeneinander hergehen, sieht Ellen mich