Das Vermächtnis aus der Vergangenheit. Sabine von der Wellen

Das Vermächtnis aus der Vergangenheit - Sabine von der Wellen


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erwachsen zu werden.“ Ihr trauriger Unterton entgeht mir nicht. „Was ich noch sagen wollte … wir fahren übermorgen zu Julian. Möchtest du vielleicht mit?“

      Ich schüttele den Kopf. „Ich habe den ganzen Tag Schule.“ Mir ist nicht klar, warum ich sofort abblocke.

      „Gut.“ Meine Mutter schleicht resigniert aus meinem Zimmer.

      Ich werde halt wirklich erwachsen und habe mein eigenes Leben … und meinen eigenen Kopf, und ich will Julian nicht sehen. Mein Traum in der letzten Nacht sitzt mir noch in den Knochen. Sie wollten darin Marcel töten und wenn ich etwas in der vergangenen Nacht gelernt habe, dann, dass ich es nicht überstehe, wenn ihm etwas zustößt.

      Ich versuche mich auf meine Schulsachen zu konzentrieren. Aber es fällt mir schwer. Es ist so viel an diesem Wochenende geschehen. Ich begreife das alles noch gar nicht richtig.

      Irgendwann habe ich zumindest das Wichtigste geschafft und werfe mich auf mein Bett. Müde und noch völlig gerädert von dem Wochenende nehme ich mein Handy in die Hand. Ich will Marcel anrufen. Noch in Gedanken an das Erlebte der letzten Stunden verstrickt, drücke ich auf meinem Handy herum und halte mir den Hörer ans Ohr. Hoffentlich hat er auch Zeit für mich?

      „Carolin?“, höre ich eine vorsichtige Stimme erstaunt fragen und erschrecke. Ich habe Tim am Handy, der nun erfreut ruft: „Hallo, schön, dass du mich anrufst! Ich hatte schon nicht mehr damit gerechnet, dass du dich bei mir noch mal meldest.“

      Ich bin irritiert und sprachlos, muss aber schnell schalten, will ich mich nicht zum Trottel machen. „Hallo Tim. Ich wollte nur fragen, wie es dir geht“, raune ich völlig neben der Spur. Mein Herz schlägt mir bis zum Hals, weil mich mein eigener Anruf aus der Bahn wirft. Wie konnte mir das nur passieren?

      Tim meint zurückhaltend: „Was denkst du? Ich versuche mein Leben in den Griff zu bekommen. Seit zwei Tagen proben wir jetzt hier im Theater und das macht Laune. Wenn ich das nicht hätte, dann müsste ich dich doch noch in einen Flieger zerren und auf einer einsamen Insel mit mir aussetzen.“ Er lacht leise und ich erinnere mich an die Geschichte, die er mir schon mal angedroht hatte. Dass er wenigstens noch etwas lachen kann, baut mich auf.

      „Tim, es tut mir alles echt leid und ich bin froh, dass du da jetzt in dem Orchester mitspielst. Und schau mal, du hättest gar nicht in Ruhe dabei mitmachen können, wenn wir zusammengeblieben wären“, versuche ich das Ganze als für ihn gut hinzustellen.

      Einen Moment ist es still, dann höre ich ihn brummen: „Stimmt, du bist ja nicht zu bremsen. Verdrehst allen den Kopf, wie es dir gerade in den Sinn kommt. Ich hätte keine ruhige Nacht gehabt.“

      Ich schnappe nach Luft. Was soll das denn jetzt? Will er mir allen Ernstes die ganze Schuld in die Schuhe schieben und so tun, als hätte ich es die ganze Zeit drauf angelegt, ihn ins Bett zu kriegen?

      „Sag mal …,“ schimpfte ich wütend los. „Was denkst du dir? Ich habe dich schließlich nicht gezwungen, mich mit zu dir zu nehmen und auch nicht, mit mir zu schlafen. Ich habe teuer dafür bezahlt.“

      Ich weiß schon, dass ihn das treffen wird. Aber ich bin wirklich wütend. Schließlich springe ich nicht mit jedem einfach so ins Bett. Also, was will der überhaupt?

       Leise und mit vor Wut bebender Stimme raunt Tim: „Warum rufst du mich überhaupt an? Ich habe dich auch nicht gezwungen und du wolltest bei mir bleiben. Das hast du zumindest gesagt. Ich habe auch teuer dafür bezahlt, dir das zu glauben. Also lass mich doch einfach in Ruhe.“

      Ich würde ihm am liebsten sagen, dass der ganze Anruf nur ein Versehen war und ich ihn gar nicht anrufen wollte. Aber das hätte er mir in hundert Jahren nicht geglaubt.

      „Okay, sorry dass ich dich gestört habe. Wird nicht wieder vorkommen“, brumme ich. „Schönes Leben noch.“ Ich drücke das Gespräch aus und starre ungläubig auf mein Handy. Was für eine Scheiße!

      Meine Hand, die das Handy hält, zittert und es tut weh, dass von unserer Freundschaft nichts mehr übriggeblieben ist. Aber es ist hauptsächlich meine Schuld. Ich hatte ihm eine neue Hoffnung gegeben und sie auch genauso wieder zerstört.

      Mir fällt der Ausspruch von Marcel ein: Ich danke Kurt Gräbler für diesen Fluch, der aus irgendeinem Grund mich in dein Herz brachte, statt jemand anderen.

      Vielleicht ist es ein Fluch, wenn man der Arme ist, der sich in mich verliebt. Vielleicht bin ich ein Fluch, der nur Unglück über jeden bringt, auf den ich treffe? War Marcel je wirklich glücklich mit mir?

      Ich will darüber lieber nicht nachdenken. Der Gedanke verunsichert mich zu sehr.

      Für immer und ewig?

      Eigentlich wollte ich Marcel, statt Tim, anrufen und nun bin ich nicht mehr in der Stimmung. Der Streit mit Tim wirft mich unglaublich aus der Bahn. Warum tun wir uns das an? Wie konnte aus einer unglaublich starken Liebe erst nur Freundschaft und dann sogar Feindschaft werden?

      Ich beschließe erst einmal einen Gang ins Badezimmer anzutreten und mich bettfertig zu machen.

      Als ich unten an der geschlossenen Wohnzimmertür vorbeikomme, höre ich meinen Vater schimpfen: „Und was soll das heißen? Dass sie jetzt bei dem einzieht? Das kann sie vergessen. Sie ist noch nicht achtzehn!“

      Ich bleibe stehen und lausche. Meine Mutter höre ich nur undeutlich. „Niklas, wir können nichts daran ändern, dass Carolin ihren eigenen Weg gehen wird. Wir treiben nur einen noch größeren Keil zwischen sie und uns, wenn wir versuchen, sie aufzuhalten.“

      Dass meine Mutter sich so für mich ins Zeug legt, finde ich wirklich toll. Aber es erschreckt mich ein wenig, dass sie so tut, als hätte ich mit ihnen Stress. Bisher hatten sie mir wenige Vorschriften gemacht. Oder waren diese Vorschriften meines Vaters nur bis zu meiner Mutter vorgedrungen und sie hatte sie nicht in seinem Sinne weitergeleitet? Zumindest wird mir klar, dass mein Vater kein Fan mehr von Marcel ist. Warum auch immer.

      Ich setze meinen Weg ins Badezimmer fort. Mir ist egal, was mein Vater über Marcel denkt. Ich gehöre zu ihm und fertig.

      Es ist schon nach zweiundzwanzig Uhr, als ich mich erneut entschließe Marcel anzurufen. Ich finde, ich habe lange genug gewartet.

      Sofort nimmt er ab und ruft mit schuldbewusster Stimme: „Oh Mann, Süße! Tut mir leid. Aber ich bin so im Stress! Drei Mal bin ich jetzt von zu Hause nach Bramsche gefahren und habe alles rüber geschafft, was ich nur konnte. Meine Eltern hatten heute die Absicht, mir mein Vorhaben mit der Wohnung auszureden und ich habe ihnen erklärt, dass ich auf alle Fälle nach Bramsche ziehe, weil das auch näher an deiner Schule ist. Nah, du kannst dir ja denken, wie dumm die geschaut haben. Als ich dann noch einen draufsetzte und ihnen mitteilte, dass wir wieder zusammen sind, meinten sie doch tatsächlich, sie könnten mir noch irgendetwas verbieten. Das hat das Fass zum Überlaufen gebracht und ich habe angefangen alle meine Sachen abzutransportieren. Ich habe die Schnauze so was von voll.“

      Er redet sich richtig in Rage. Scheinbar gibt es nichts und niemanden auf dieser Welt, der mit unserer neugezimmerten Liebe einverstanden ist.

      Traurig darüber sage ich: „Ich habe meiner Mutter auch mitgeteilt, dass ich wohl ab und an bei dir bleiben werde. Eigentlich hatte sie sich erst noch gefreut, dass wir wieder zusammen sind. Allerdings nur, weil sie meinte, dass ich mich dann nicht mehr so viel in Osnabrück aufhalte und wir wieder hauptsächlich hier sein werden. Ich habe ihr den Zahn aber gleich gezogen. Du hättest sie sehen sollen, als ich ihr sagte, dass ich vorhabe, viel Zeit mit dir in deiner neuen Wohnung zu verbringen und dass ich natürlich auch viel in Osnabrück bin. Schon wegen Ellen. Jetzt hängt auch hier der Haussegen schief.“

      Es ist still am anderen Ende und ich bin etwas verwirrt, ob ich Marcel vielleicht mit der Aussage, dass ich viel bei ihm sein will, zu viel zumute.

      „Hallo Marcel?“, frage ich vorsichtig: „Stimmt etwas nicht?“

      Er scheint sich am anderen Ende der Leitung langsam zu fangen. „Doch, schon! Aber …“ Er ist sich


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