Der Preller. Edgar Wallace

Der Preller - Edgar Wallace


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begrüßte ihn schon auf der Schwelle.

      »Hast du das Geld!« fragte ihn Mr. Burnstid ohne Austausch von Höflichkeiten.

      »Geld?« brüllte Cowan. »Du hast mir doch telegrafiert, ich solle dich in Folkestone erst morgen erwarten.«

      »Was? Du warst nicht in Folkestone?«

      »Natürlich war ich nicht dort. Ich sagte dir doch eben, daß ich von dir ein Telegramm ...«

      Aber Burnstid hörte schon nicht mehr zu. Er eilte so schnell wie möglich ins Hotel zurück, um mit Mr. Stevens einige ernste Worte zu reden.

      Aber Stevens – bei seinen Freunden besser unter dem Namen Anthony bekannt – befand sich in diesem Augenblick schon in Gesellschaft der beiden Detektive, um die erbeuteten Banknoten zu zählen und zu sortieren. Der Preller hatte mit Unterstützung seines sanften Freundes Paul und des lustigen Sandy das Pseudoverbrechen in ein wirkliches umgewandelt.

      »Du kannst die Zehnpfundnoten zählen, Paul«, wandte er sich an seinen Freund. »Ich sortiere die Postschecks, die ich dem alten Burnstid wieder zusenden werde. Viel ist es ja sowieso nicht, aber es wird ihm ein bißchen helfen, sein Versprechen einzulösen, die halben Gewinne aus seiner Tasche zu bezahlen. Er hat es ja offiziell versprochen.«

      Eine Aktienspekulation

      In einem der ersten Hotels Brightons hatte sich unter dem unauffälligen Namen eines Mr. Smith ein junger Mann, begleitet von seinem ›Sekretär‹ Mr. Robinson, eingemietet. Für seine persönliche Bedienung hatte er einen Kammerdiener bei sich.

      Die drei Herren schienen sich noch nicht ganz im klaren zu sein, wer von ihnen ›Smith‹ hieß, denn als ein Kellner ein für diesen Herrn bestimmtes Telegramm ausrief, dauerte es eine ganze Weile, ehe sich der. als ›Mr. Robinson‹ Eingeführte zum Empfang meldete und es öffnete. Da er als Mr. Smiths Sekretär bekannt war, fiel dem Überbringer dieses Benehmen nicht weiter auf. Robinson ließ, solange sich der Kellner in seiner Nähe befand, seine Blicke unentwegt auf dem langen Text der Depesche ruhen. Erst als der Ganymed sich seinen übrigen Obliegenheiten widmete, reichte der Sekretär das Blatt weiter.

      »Hat er angebissen, Paul?« erkundigte sich der junge Mann, ehe er das Telegramm durchlas.

      »Allem Anschein nach, ja.«

      »Er wird mich zu einem reichen Mann machen«, meinte Anthony. »Ich komme mir vor wie einer der Mitspieler in ›Ali Baba und die vierzig Räuber‹. Uns geht es besser als dem Mann, über den heute morgen die Zeitungen berichteten. Er hatte versucht, einen Bankkassier zu berauben. Alles, was er davontrug, waren zwei Pfund Sterling und ein blaues Auge. Nein, auf diese Weise sollten Kavaliere ihren Lebensunterhalt nicht verdienen.«

      »Da hast du recht«, stimmte ihm Paul zu und nahm auf einem in der Nähe des Kamins stehenden Stuhl Platz. »Übrigens, Anthony, ich habe heute morgen auch von dir etwas in der Zeitung« gelesen: Weißt du, wie sie dich nennen? Den Preller.«

      »Dieser Spitzname ist verdammt gut gewählt«, entgegnete Anthony in aller Ruhe. »Ich betrachte mich als ›Wohltäter der Menschheit‹«, fügte er allen Ernstes hinzu. »Erstens beschränke ich meine prellende Tätigkeit auf Ganoven, und zweitens habe ich dich und Sandy aus Not und Sorge gerettet. Man kann ja nicht wissen, ob ihr beide nicht eine verbrecherische Laufbahn eingeschlagen hättet.«

      Paul fuhr sich mit der schmalen, weißen Hand über sein sorgfältig gelegtes, glänzendes Haar.

      »lch zweifle daran«, meinte er, »daß ich mich verbrecherischem Broterwerb zugewandt hätte; aber ich kann dir wenigstens insoweit beistimmen, als ich zugeben muß, daß ich die verdammte tägliche Plackerei ziemlich satt hatte. Was Sandy anbetrifft, nun, bei ihm zweifle ich nicht daran, daß er sich vielleicht einen Revolver gekauft und damit die Bank von England überfallen hätte. Bisher hast du jedenfalls nichts begangen, was mein Gewissen belastet hätte.«

      »Und daß es nie geschehen wird, darauf kannst du dich verlassen«, versicherte seih Freund. »Jeder einzelne von denen, die ich erleichtert habe, war ein Mensch, dessen Gemeinheit und Niederträchtigkeit kein anderes Los verdiente.«

      »Stimmt.«

      »Nun, und was diesen Mr. Mottenstein betrifft, Paul, so fühle ich auch in diesem Fall keinerlei Gewissensbisse. Gewiß, er war schwer heranzuholen, und wie du weißt, ist die Polizei schon seit Jahren vergeblich hinter ihm her. Auch für mich wird es kein Wurstessen sein, wenn ich versuchen werde, ihn ein wenig zur Ader zu lassen.«

      »Warum glaubst du das?« erkundigte sich Paul und blickte von seiner Zeitung auf.

      »Erstens hat man ihn bereits vor mir gewarnt.«

      »Vor dir?«

      Sein Freund nickte.

      »Seit einer Woche versuche ich bei ihm meine Tricks«, sagte er seufzend, »aber bis jetzt immer vergeblich, weil er mich in Verdacht hat. Du weißt doch, Paul, daß es in London kaum einen Ganoven gibt, der nicht vor mir auf dem Quivive wäre.«

      »Möchtest du mir nicht sagen, warum du gerade Mottenstein als passendes Opfer ausgewählt hast, Anthony?«

      »Du willst wohl, wenn ich deine Neugierde befriedige, dein Gewissen besänftigen, wie?«

      »Stimmt!«

      »Zufällig werde ich deine Hilfe in diesem Fall gar nicht brauchen«, beruhigte ihn der Freund. »Die ganze Sache ist einfach genug. Mottenstein ist, wie du vielleicht weißt, ein Freihandelsmakler, der seine Geschäfte durch Inserate einleitet. Er ist einer von denen, die armen, unschuldigen Spekulanten einreden, sie könnten aus hundert Pfund so leicht zweihundert machen, wie man sich einen neuen Hut kauft. Im allgemeinen haben ja die Außenseiterspekulanten mit solchen Leuten wie Mottenstein nur ungern etwas zu tun. Ganz besonders trifft das aber bei unserem künftigen Opfer zu, da eine Finanzzeitung offen vor ihm gewarnt hat. Aber Freund Mottenstein hat die Kunden seiner besten Absichten ihnen gegenüber versichert; er hat ihnen lange Briefe geschrieben, in denen er ihnen mitteilte, daß er ihnen davon abrate, ihr ganzes Vermögen auf einmal einer immerhin zweifelhaften Spekulation auszusetzen. Er ziehe es vor, wenn sie ihm nur kleinere Beträge anvertrauten, da er die Verantwortung für größere Spekulationen nicht mit seinem Gewissen vereinbaren, könne. Resultat: Jauchzen und ›Seht ihr, was ich euch gesagt habe?‹ bei seinen Kunden. Sie schicken ihm also nur kleinere Beträge, und ihr Vertrauen wird auch nicht mißbraucht. Reingewinne, die zu den Anlagekapitalien in gar keinem Verhältnis stehen, fangen an einzulaufen, und alle fallen auf die Knie und danken Gott, daß er ihnen einen ehrlichen Menschen wie Mottenstein beschert habe.«

      »Und dann?« fragte Paul gespannt.

      »Nun, dann laufen bei Mottenstein Briefe in Unmengen ein. Die Leute haben am Köder geleckt. Nun wollen sie größere Beträge anlegen, aber was tut er? Er schreibt ihnen zurück, die große Verantwortung würde ihm seinen guten Nachtschlaf rauben, er könne sich nicht mit so vielen Dingen belasten, empfehle ihnen aber die Firma Alexander McDougal, Mackintosh & Glenstuart – ehrliche, wohlbekannte, schottische. Namen –, die gut eingeführte, konservative Makler irgendwo an einer nordenglischen Börse seien.«

      Paul nickte verständnisvoll. »Und die Firma ›Alexander und noch etwas‹ ist in Wirklichkeit Mottenstein selbst, nicht wahr?«

      »Erraten! Diese konservative Firma hat keine Gewissensskrupel, wie sie angeblich Mr. Mottenstein hat. Sie bitten die nunmehr voll vertrauenden Spekulanten, jeden Pfennig flüssig zu machen, ja, ihre Haare zu verkaufen, wenn ihnen jemand etwas dafür gebe, und mit dem Erlös Waggerfontein-Goldaktien zu kaufen, die innerhalb acht Tagen ihren Börsenwert verzehnfachen würden. Die armen Teufel fallen meist auf diesen Köder herein, der ihnen so schmackhaft zubereitet hingehalten wird. Aber Mottenstein hat noch einen Pfeil im Köcher: Wenn ihn die armen Schäflein um Rat fragen, bittet er sie, um Gottes willen, ja nicht alles auf eine Karte zu setzen und vorsichtig zu sein. Dann bricht das Verhängnis herein. Anstatt daß die Waggerfontein auf neun, zehn, zwölf Pfund hinaufklettern, fallen sie, bis sie auf drei Pence angekommen sind. Tiefdunkle Dämmerung bricht über die geschorenen


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