Grossfuss. Edgar Wallace

Grossfuss - Edgar Wallace


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tut mir sehr leid, meine Damen und Herren«, entschuldigte er sich und sah sich in der Gesellschaft um. »Ich esse sonst niemals auswärts, und gerade, als ich mich zu Bett legen wollte, erinnerte ich mich an Ihre liebenswürdige Einladung. Guten Abend, Miss Shaw!«

      Hanna hob langsam ihren Blick und sah ihn voll an.

      »Guten Abend, Oberinspektor!« sagte sie eisig.

      »Wir haben schönes Wetter; so warm war es noch nie in dieser Jahreszeit. Ich könnte mich wenigstens nicht darauf besinnen.«

      Elfa sah den gestrengen Super zum erstenmal und fühlte unwillkürlich eine Zuneigung zu diesem alten Mann in seinem abgetragenen Frack. Sein Hemd war altmodisch, und zwei Rostflecke auf dem Einsatz machten es unansehnlich. Die Krawatte hatte sich verschoben. Aber seine Haltung war die eines Aristokraten.

      »Er ist prachtvoll ... Ist das der Oberinspektor?« fragte sie, als Supers Aufmerksamkeit durch ein Gespräch mit seinem Gastgeber abgelenkt wurde.

      »Ja, er ist der König aller Detektive in Europa. Hören Sie mal zu, jetzt hat er Cardew wieder zum besten.«

      »Ich gehe höchst selten unter Menschen«, bemerkte Super. »Mir scheint, daß ich zu wenig gesellschaftlich veranlagt bin, als daß man mich einlädt. Ich kann nicht ein Messer vom anderen unterscheiden, und meistens nehme ich das falsche Bierglas. Das ist es ja gerade, wo es bei uns Polizeibeamten fehlt – keine Manieren. Ich sagte noch heute nachmittag zu meinem Sergeanten: ›Wir haben nicht genügend vornehme Amateure bei uns – was wir brauchen, sind Leute, die einen Frack tragen können, ohne daß es aussieht, als ob sie auf einen Maskenball gingen.‹«

      Mr. Cardew schaute argwöhnisch auf seinen Gast.

      »Die Polizei hat ihre festumschriebenen Aufgaben«, sagte er etwas steif. »Der einzige Punkt, in dem wir nicht übereinstimmen, mein lieber Oberinspektor, ist, daß gewisse Fälle feinere Untersuchungsformen oder mehr Verstand und eine weitgehendere Anwendung der Psychologie erfordern.«

      »Das ist sicherlich nötig«, sagte Elson, stützte die Ellenbogen auf den Tisch, lehnte sich vor und nickte stark mit dem Kopf. »Das ist es, was den Leuten fehlt ...« Plötzlich hielt er inne, denn er hatte einen Blick von Hanna aufgefangen, und Jim Ferraby, der es beobachtete, sah, wie sie ihn warnte.

      »Psychologie ist sicher sehr wertvoll«, stimmte Super bei. »Das ist ja gerade das, was wir brauchen. Jeder junge Beamte müßte darin unterrichtet werden. Nächst Anthropologie ist Psychologie das Wichtigste. Aber ich muß sagen, daß auch gute Beobachtungsgabe nicht zu verachten ist. Ich bin etwas kurzsichtig beim Lesen, aber ich kann eine Million Meilen weit sehen. Lassen Sie die Jalousien nie herunterziehen, Mr. Cardew?«

      Die großen Bogenfenster des Speisesaals waren unten nur mit durchsichtigen Gardinen bedeckt. Die große Rasenfläche draußen lag im Dämmerlicht, und die Ahornbäume am Ende des Gartens zeichneten sich in schwarzen Umrissen von dem tiefblauen Himmel ab. Die Rhododendronsträucher erschienen wie dunkle Flecken.

      »Nein«, sagte Cardew erstaunt. »Warum sollte ich sie auch schließen – wir werden nicht beobachtet –, die Landstraße liegt etwa einen halben Kilometer entfernt.«

      »Ich wundere mich nur«, entschuldigte sich Super. »Ich verstehe nicht viel von vornehmen Villen. Ich lebe in einem kleinen Häuschen und ziehe immer die Jalousien herunter, wenn ich esse. Das macht meine Mahlzeiten gemütlich. Wie viele Gärtner mögen Sie wohl hier haben?« fragte er.

      »Vier oder fünf«, sagte Cardew. »Ich weiß es nicht genau.«

      Das machte Eindruck auf Super. »Da müssen Sie aber allerhand Räume haben, wo die Leute schlafen können.«

      »Sie schlafen nicht hier. Mein Hauptgärtner hat ein Haus für sich in der Nähe der Straße. Um nun aber auf die Polizei zurückzukommen ...«

      Aber Super schien keine Neigung zu haben, weiter über die Zustände bei der Polizei zu sprechen. Er wollte vielmehr seine Kenntnisse über Cardews Angestellte vervollständigen.

      »Ich dachte, Sie würden Gärtner oder Leute halten, die in der Nacht die Blumen begießen oder Maulwurfsfallen aufstellen.«

      Gordon Cardew schien unangenehm berührt zu sein.

      »Meine Gärtner gehen um sieben Uhr nach Hause. Ich würde ihnen nicht erlauben, sich hier herumzutreiben. Was haben Sie, Oberinspektor?«

      Super war aufgestanden und ging zur Tür. Plötzlich hörte man das Knipsen des elektrischen Schalters, und das Licht ging aus.

      »Gehen Sie alle möglichst schnell vom Tisch weg zu den Wänden!« befahl er mit rauher Stimme. »Deshalb habe ich das Licht ausgemacht – draußen ist jemand im Schatten der Sträucher, und er hat eine Pistole.«

      5

      Super ging leise durch die Haupttür in den Garten. Der Speisesaal lag an der Seite des Hauses, und Minter eilte mit unglaublicher Schnelligkeit zu den Büschen. Auf dem Rasen war niemand, kein Laut ertönte, nur das leise Rauschen der Blätter im Nachtwind war zu hören.

      Er hielt sich in der Nähe der Sträucher und suchte den ganzen Platz ab.

      Hinter den Blumenbeeten standen die Ahornbäume, die die südliche Grenze des Grundstücks bezeichneten. Rechter Hand war ein kleiner Tannenwald. Die einzige Möglichkeit war, daß sich der Eindringling dorthin zurückgezogen hatte.

      Super ging von Baum zu Baum vorwärts. Unter seinen Füßen war eine dichte Nadeldecke, die seine Schritte unhörbar machte. Von Zeit zu Zeit blieb er stehen und lauschte. Aber es war nicht das geringste Geräusch vernehmbar.

      Als er halbwegs durch das Gehölz gegangen war, hörte er gerade vor sich in kaum fünfzig Metern Entfernung Gesang ...

      »Der maurische König reitet hin und wieder

      durch Granadas königliche Stadt,

      Ay de mi, Alhama!«

      Einen Augenblick fühlte sich Super von dem melancholischen spanischen Lied ergriffen. Es war etwas Trauriges, etwas so verzweifelt Hoffnungsloses in den Worten des jahrhundertealten Klagegesanges, daß er stehenblieb.

      Plötzlich eilte er dann nach der Richtung, aus der die Stimme kam. In dem Gehölz war es dunkel, und die Bäume standen so nahe beieinander, daß es fast unmöglich schien, weiter als ein paar Meter zu sehen. Er kam wieder ins Freie, ohne jemand erblickt zu haben.

      Das Gehölz trennte den Park von Barley Stack von einer kleinen Farm. Nichts bewegte sich in den Wiesen, und Super kehrte um.

      »Komm heraus, du Strolch!« rief er; aber es ertönte nur das Echo seiner Stimme.

      Er hörte ein Rascheln, als ob jemand durch das Unterholz ginge. Er vermutete, daß es Jim sei, bevor er die weiße Hemdbrust aus dem Dunkel aufleuchten sah.

      »Wer ist es?« fragte Ferraby.

      »Irgendein Landstreicher«, erwiderte Super. »Es ist recht unvorsichtig von Ihnen, ohne eine Schusswaffe hier herauszukommen.«

      »Ich habe niemand gesehen.«

      »Man kann auch niemand sehen«, erwiderte Super höflich. »Wir wollen zurückgehen. Es wäre am besten, wenn ich mein Motorrad nehmen und die Straßen abpatrouillieren würde.«

      Er ging wieder einige Schritte in die Felder hinein, aber da er nichts hörte und sah, kehrte er um. Auf dem Rasen fanden sie die erschrockene Gesellschaft versammelt.

      »Haben Sie jemand gesehen?« fragte Mr. Cardew ängstlich. »Es ist ganz außergewöhnlich ... Sie haben die Damen erschreckt ... Ich muß gestehen, daß ich niemand gesehen habe.«

      »Vielleicht hat sich Minter alles nur eingebildet«, sagte Elson. »Man kann wohl einen Mann sehen, aber es ist doch ganz unmöglich, bei der schlechten Beleuchtung eine Schusswaffe zu erkennen.«

      »Ich habe sie aber gesehen«, sagte Super und schaute starr nach dem Walde hin. »Ich sah gerade,


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