Als Mariner im Krieg. Joachim Ringelnatz

Als Mariner im Krieg - Joachim  Ringelnatz


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einem scharmanten Schmiß kleideten. Dieser Signalgast trug seinen Mützendeckel schief, hatte ein schräges Gesicht und schöne Tätowierungen. Er war mir sympathischer, als ich bei seinem fragwürdigen Charakter mir anmerken lassen durfte. Ja, was ward nicht alles zusammengelogen, und wie wirr wurden dadurch die verschiedenen, unorientierten Meinungen verschoben. Was in den Briefen stand, die aus der Heimat an uns — oder nur von mir zu reden — an mich gelangten, klang oft so ärgerlich unecht. Da wurde ich wegen der mir drohenden Gefahren beklagt, da wurde von furchtbaren Völkermorden und vom Haß gegen England gesprochen. Wieviel trauriger fand ich die kleinen Falschheiten, Schmeicheleien und Eifersüchteleien unter uns selber. Wir Seeleute haßten die Engländer nicht. Wir hatten früher in scharfer, aber ehrlicher Konkurrenz mit ihnen gestanden, und jetzt suchten wir sie selbstverständlich soviel als möglich zu schädigen, aber wir achteten sie, und soviel bekannt ward, bezeugten wir den Gefangenen oder Schiffbrüchigen dieselbe Ritterlichkeit und Hilfsbereitschaft, die die Engländer uns gegenüber bewiesen. Hüben wie drüben gab es Ausnahmen oder Verkennungen, und die wurden durch Irrtümer entstellt, und aus dem Entstellten machten dann Leichtgläubigkeit oder Verlogenheit etwas folgenschwer Schlimmes.

      Das Barometer fiel. Unsere kleinen Schiffchen rollten und jumpten schon toll genug. Das Siegfriedgeschwader passierte uns, aber diese schweren Küstenpanzer, deren Typ längst veraltet war, weil er dem Feinde zu viel Zielfläche bot, trotzten dem Wetter viel leichter als wir.

      Die wilde »Blexen« rief mir Erinnerungen an Sturmfahrten auf ähnlichen Kauffahrteischiffen wach; besonders gedachte ich eines kleinen englischen Fischdampfers, auf dem ich als Matrose eine derbe, erlebnisreiche Zeit verlebt hatte. Jetzt galt unsere Besorgnis besonders den Ankerketten, beziehungsweise Schiffstauen. Es war schon verteufelt kalt. Ich wollte mich vor dem Winter abhärten und trug darum noch die Brust frei. Aber wenn ich so neben dem Kommandanten auf der Brücke am Telegraphen stand und durch die geöffneten Klappfenster der heulende Nordwest und von Zeit zu Zeit ein harter Schwall Wasser herein, über uns und in meinen Hemdausschnitt drang, dann war das recht ungemütlich.

      Auf den Sturm folgte Nebel, das rechte Wetter für englische Vorstöße. Wir hörten alsbald von Helgoland her heftiges Schießen. Sofort verschwand die Vorpostenkette unserer Schlachtschiffe, die bis zur Weser hin sichtbar waren. Aber sie kehrten enttäuschend bald zurück.

      Ein paar Tage später gab es eine Sturmnacht, da hatte »Blexen«, von Wilhelmshaven kommend, in der Dunkelheit den Weg verfehlt und mußte schließlich, nicht wissend wo, vor Anker gehen. Wir schliefen zu Unrecht mit bösem Gewissen, aber mit Recht sehr schnell ein. Ich hatte die erste Wache. Ein Gewitter blitzte über uns. Ein Scheinwerferstrahl — vermutlich vom »Glückauf« — strich über die grollende See und blieb sekundenlang auf uns haften, was auf mich so wirkte, als hätte der Sperrkommandant »Aha!« gerufen. Dann verzogen sich die dunklen Wolken; Blinkfeuer und die Konturen verstreuter Schiffe wurden wahrnehmbar. Dann traten die Sterne deutlich hervor, und in Südsüdost zeigte sich ein langgeschweifter Meteor.

      Schon wenige Tage danach erlebten wir vor der Geniusbank einen Sturm, der alle bisherigen an Stärke übertraf, und mit dem, wie wir beobachteten, auch die größten Schiffe schwer zu ringen hatten. Wir steckten an Kette heraus, was wir nur hatten, aber die langen Wellen strafften sie, und dann knackte es unheilvoll. Bei uns an Bord warteten drei erkrankte Matrosen, die an Land zum Arzt sollten. Sie sahen hundselend aus, aber wir konnten sie nicht loswerden; es war unmöglich, sich bei solchem Unwetter einem andern Schiff zu nähern. Wir waren alle käsebleich und ernst. Meer und Himmel schienen ein einziges, wogendes, zischendes, heulendes Grau. Immer wieder waren wir sekundenlang ganz in Wasserwirbel gehüllt. Wir hielten aus. Wir mußten ja aushalten. Wir sangen sogar auf der Brücke und auf Deckswache, obwohl unsere Lieder nicht so leicht fröhlich klangen, wie sie gedacht waren.

      Als Sperrschiff hißten wir bei Tag zwei aus Rohr und Draht geflochtene Kegel, bei Nacht große, farbige Laternen. Diese wurden mit Petroleum gespeist. Und sie an Deck bei solchem Sturm und Regen anzuzünden, war ein viele Schachteln Zündhölzer kostendes Kunststück und keine Arbeit für Nervöse.

      Es drohte die Gefahr, daß wir auf die Bank trieben. Wir sahen ununterbrochen angestrengt nach allen Seiten aus. Tatsächlich veränderte sich, nach den wenigen Bojen, die wir peilen konnten, unsere Lage merklich. Der Obermaat meldete es dem Kommandanten. Aber dieser lag wie tot in seiner Koje. Nach einiger Zeit ging ich hinunter: »Herr Steuermann, der Anker faßt nicht. Wir treiben den Bojen zu. ›Merkur‹ und ein anderes Boot sind bereits Anker hoch westlich unter Küste gedampft.« Doch der seekranke Steuermann nahm keine Notiz von meinem Bericht und erst, als ich ihm später ein drittes Mal dringend Meldung erstattete, erhob er sich und wankte an Deck. »Bootsmaat Hester, gehen Sie mit an den Anker!« rief er mir mißmutig zu. Wir wanden mit Mühe den Anker hoch, mußten uns dabei mit Armen und Beinen festklammern und feststemmen, um von den wuchtig herüberschlagenden Wassermassen nicht fortgespült zu werden. Das war die Stunde, da man einen Kautabak zu schätzen wußte. Unser tapferer Stuben wurde von einem Brecher gegen die Bordwand gestoßen, als er die Ankertalje außenbords einschäkeln wollte, und wäre, da der Kommandant in seiner Benommenheit bei diesem Manöver volle Kraft fuhr, weggerissen worden, wenn Jessen und ich ihn nicht im letzten Moment noch gefaßt hätten.

      »Es ist ja höchste Zeit!« rief mir der Steuermann vorwurfsvoll zu. »Wir sind ja schon dicht vor der Bank!«

      »Jawohl«, gab ich gekränkt zurück, »ich habe das auch gemeldet.«

      Wir schimpften nun über den Sperrkommandanten, der sich gar nicht um uns zu kümmern schien. Und ohne Order von ihm zu haben, steuerten wir nun, unaufhörlich von mächtigen Brechern erschüttert, Wilhelmshaven zu. Das Wasser stand zwei Fuß hoch an Deck, und darin schwammen Korkwesten, Mützen und Suppentöpfe, rumms nach links und rumms nach rechts. Trotz Ölzeugs waren wir alle bis auf die Haut naß.

      Im Fluthafen trafen wir unsere Schwesterboote an, die sich alle selbständig dorthin geflüchtet hatten. Kommandanten und Mannschaften tauschten, vergnügt, in Sicherheit zu sein, ihre Erlebnisse aus. Der Schlepper »Pegu« hatte den Anker verloren und war um Haaresbreite an den Minen vorbeigetrieben. Dem »Mars« war das Geschützpodest zertrümmert; die Kanone hing schief auf der Seite. Bei uns war der Unteroffiziersraum voll Wasser; auch die Koje des Obermaschinistenmaates war zum Aquarium verwandelt, darin sich Tassen, Löffel, Bilder und eine Weckuhr ausgetummelt hatten. Die boshaft Neidischen unter uns freuten sich darüber, denn der Obermaschinistenmaat besaß als einziger ein Federbett. Unsere Hängelampe hing nur mehr an einer Angel. Die eisernen Staken der Topplaterne pendelten in der Luft, unser Geschütz hatte sich gesenkt. Alles tropfte und troff.

      Eins von den Lazarettschiffen war aufgelaufen. Im Hafen trieb eine Menge weggeschwemmter voller Bierfässer herum. Es meldeten sich Lotsen bei uns, die nach dem draußengebliebenen Führerschiff gebracht werden wollten. Die Kommandanten schlugen das lachend ab. Vorläufig aßen wir erst einmal ordentlich zu Mittag; und besprachen dabei, wie die Löwen schlingend, hübsch biergemütlich den überstandenen Äquinoktialsturm. Dem Obermaschinistenmaat waren zwei fremde Fässer Bier an den Fingern kleben geblieben, so fühlten wir uns bald für alle Strapazen reichlich entschädigt. Natürlich gab es nun Arbeit genug, das Verwüstete wieder aufzuklaren. So war mein Gewehr zum Beispiel, das ich noch vor drei Tagen gereinigt und dick mit Vaseline und Margarine eingeschmiert hatte, völlig verrostet. Nachmittags legte ich mich in nassen Kleidern in mein nasses Bett, deckte mich mit dem nassen Ölmantel zu und schlief, während von oben permanent Wasser auf mich tropfte, wie gestorben. An solches nasses Schlafen waren wir gewöhnt. Aber daß es nicht immer ohne Folgen blieb, war vielen von uns anzusehen, so dem hohlwangigen Maschinistenmaat und auch Eichmüller. Bei mir meldete sich auch sofort wieder der Husten. Im übrigen war ich aber eine lange gegerbte, zähe Haut.

      Was alle Boote gefürchtet hatten, traf nur für unsere besonders kleine »Blexen« ein. Wir mußten wieder hinaus.

      Da ich auf der Brücke stand, hörte ich die Gespräche zwischen Lotsen und Kommandanten, die aktueller und glaubwürdiger klangen, als das Gewäsch der Mannschaften. Danach sollte eine Granate auf »Frauenlob« mitschiffs eingedrungen sein, zwei Leute zerquetscht haben und, ohne zu explodieren, auf demselben Wege, wie sie gekommen, auch wieder herausgeflogen sein. Hm! Hm! — »Eichmüller«, sagte ich zu diesem, »merke dir: es ist viel klüger, sich mit sich


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