Als Mariner im Krieg. Joachim Ringelnatz

Als Mariner im Krieg - Joachim  Ringelnatz


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Floß mit List und Kraft stahlen, und um die Zeit der Selbstherstellung vorzutäuschen, durften wir nun sogar noch drei Stunden an Land gehen.

      Bei jedem Tod- und Teufelwetter schickte der Sperrkommandant unsere Nußschale herum, daß sogar die Lotsen manchmal den Kopf schüttelten. Wir mußten alle losen Dinge festbinden, Bö über Bö, Brecher über Brecher drangen auf uns ein, bis unsere derben Hände von der Nässe waschfrauenweich wurden und unsere Bärte mit einer Salzschicht bedeckt waren. Schon hatte der Sturm unsere Kriegsflagge und unsere Mützenbänder um ein Drittel ausgefranst. Dem Sperrkommandanten bereitete es eine offensichtliche Freude, Herrn Kaiser besonders schwierige Aufträge zu geben, denen »Blexen« eigentlich nicht gewachsen war. Er sträubte sich auch zähe dagegen, unser Schiff in die Werft zu entlassen, obwohl ihm gemeldet war, daß sich eine Stahlleine in dessen Schraube verwickelt hatte.

      Es gab Strapazen, Verwickelungen, Enttäuschungen, Entbehrungen, Überraschungen, Freuden und Genüsse in Duodez.

      Dafür, daß uns alle möglichen Aufträge schikanös aufgehalst wurden, entschädigten wir Mannschaften uns wenigstens insofern, als wir gelegentlich das eine oder andere Nützliche für uns stahlen, eine Leberwurst aus einer Massenproviantsendung oder ein gut verwendbares Brett oder einen Topf Farbe.

      Es zog schauderhaft im Unteroffiziersraum; durch einen Ventilator blies mir der Wind nachts gerade auf die Schulter. Ich bekam Rheuma und Zahnschmerzen.

      Eine Serie Taschentücher ward mir weggeweht, und daß Dichten nicht zum Hosenflicken paßt, merkte ich zu spät, nachdem ich meine Hose versehentlich nach außen gesäumt hatte.

      Wenn ich von Zeit zu Zeit endlich wieder einmal an Land kam, fühlte ich mich einsam. Da war kein Mädchen, kein Freund, kein einigermaßen gütiger Mensch zu finden, kein Theater, kein Konzert, und ich freute mich beinahe dann, wieder in das enge Einfamilienhaus »Blexen« und in Regen, Sturm, Nässe, Kälte hinauszukommen.

      Schöne Nacht. Der Komet stand noch immer am Himmel. Am Horizont stiegen weiße, rote und grüne Raketen auf. An Backbord und dem Eisendeck dröhnten Eichmüllers schlapsige Tritte, und an Steuerbord hörte man einen Heizer den Koch anlügen. Ich betrachtete im Ruderhaus ein brennendes Restchen Kerze; die oberste Stearinfläche mit ihren weißen Stalakmiten und Vertiefungen glich einer Polarlandschaft in Miniatur.

      Wir brachten die stolze Botschaft von Land, daß U 9 drei englische Panzerkreuzer in Grund gebohrt hätte. Und am nächsten Mittag fuhr U 9 an uns vorüber. Der Kommandant von »Seeadler« ließ seine und unsere Mannschaften antreten, und wir brachten dem siegreichen Unterseeboot drei Hurras aus, die von drüben erwidert wurden. Auch die großen Schiffe empfingen das U-Boot mit Hurras und mit Musik, und wir sahen durch die Ferngläser, wie Admiral Lanz in einer Pinasse vom Flaggschiff nach U 9 fuhr und jedem Mann die Hand drückte. Ich pfropfte mir dabei das Maul mit Quarkkuchen voll, den ich in einem Liebespaket vorgefunden hatte. Aber er schmeckte mir nicht, ich war ganz krank vor Neid. Auch Lektüre hatte ich erhalten, so die Seeschlacht bei Tsushima, ferner »Jena oder Sedan«, ein Buch, gegen das ich voreingenommen war und das ich vorläufig einmal mit Steuermann Kaiser gegen ein Buch über den Kronprinzen eintauschte.

      Der Obermaschinistenmaat erzählte eine wahre Geschichte aus seinem Vaterhause. Er hatte ein gefülltes Waschbecken in die Klosettöffnung gesetzt, das dort genau hineinpaßte, damit sich sein Bruder in der Dunkelheit hineinplazieren sollte. Und dann hatte sich aber statt des Bruders die alte Mutter des Obermaschinistenmaates in die Nässe vertieft.

      Jessens Lieblingsbeschäftigung war das Deckwaschen. Wir packten ihm heimlich den Wasserschlauch in sein Bett.

      Ich ging beim Mondschein sechs Kilometer weit spazieren, das heißt: hin und her auf dem schwankenden Deck, was ich infolge meiner krummen Beine vorzüglich konnte. Die Wolken bildeten eine Laokoon-Gruppe. — »Sieh mal, Jessen, diese Kerls mit Riesenschlangen. Und gestern der große Regenbogen am Himmel wie ein Tor. Kannst du dir vorstellen, daß durch dieses Tor die Kriegsgefallenen ziehen nach dem Kometen oder nach dem Monde?«

      »Nee.« Jessen grinste.

      »Jessen, siehst du gar nicht, wie verschieden und immer schön die Meereslandschaften sind, die uns stündlich umgeben? Oder die Möwen, die so vornehm fremd kreisen, sich plötzlich mit stillen Flügeln vom Winde weit abtragen lassen oder bis dicht über die Wasserfläche abstürzen; um, im letzten Moment schon wieder aufflatternd, einen Bissen aus den Wellen zu erhaschen? Diese Möwen, die, auf dem Wasser schaukelnd, von der Sonne beleuchtet, wie Lichter strahlen?«

      »Das ist sehr schön«, sagte Jessen und griff nach dem Wasserschlauch, »aber ein Schnaps wäre mir jetzt lieber.«

      »Mir auch«, gestand ich.

      Der Dienstmannmatrose riet mir, doch einmal etwas auf Weddigen zu dichten, und als ich nach kurzer Zeit aufsagte:

      Hört, was ich Frohes singe:

      Juchhei!

      Der Kapitänleutnant Weddigen

      Schien gar nicht mehr zu sättigen,

      Sprach: Aller guten Dinge

      Sind drei.

      Da gewann ich sehr an Respekt und mußte das allen aufschreiben.

      Im Kettenbunker, wo auch der eiserne Bestand an Proviant lag, war eine Ratte beobachtet worden. Wir pumpten den ganzen Raum voll Wasser, und da mußte das arme Vieh schließlich heraus und wurde unter wildem Gejohle jämmerlich erschlagen.

      Die Löhnung war ausbezahlt worden. Der lustige Heizer Tünnes zeterte laut, weil er das Geld hier auf See nicht an den Mann bringen könnte. Auf Befehl wurde eine Kollekte zugunsten des Roten Kreuzes veranstaltet.

      Auf dem Lokus wurde ich, als ich Hindenburgs neueste Siege las, hinterrücks von einer Woge besiegt. Zum Abendessen blieben die versprochenen Kartoffelpuffer aus, weil das Wasser einen halben Meter hoch in der Küche stand und zweimal das Feuer ausgelöscht hatte. Die Lotsenflagge war in der Takelage verwickelt. Eichmüller kletterte empor. Das Stag brach. Eichmüller stürzte herab, blieb aber unverletzt. Er kletterte nun auf die Brüstung des Signalstandes. Das Schiff legte sich über. Eichmüller wäre in die Binsen gegangen, wenn ich ihn nicht noch glücklich aufgefangen hätte. Ich rief dem Signalgast zu, er sollte am Mast hochklettern, aber er weigerte sich feig. Da enterte ich selbst hoch und klarierte die Flagge. Der Steuermann hatte den Vorfall bemerkt und schalt auf den Signalgast: »Wie können Sie sich weigern! Wissen Sie nicht, wie Achtungsverletzung im Kriege bestraft wird? Und schämen Sie sich nicht, als Seemann so bange zu sein, daß ein alter Bootsmaat Ihnen was vormachen muß?«

      Ich hatte ein früher einmal von mir verfaßtes Novellenbuch besorgt und es dem Kommandanten geschenkt. Nun ärgerte ich mich, weil ich das aus Eitelkeit getan hatte.

      Das nächste Mal an Land begegnete ich unserem Heizer Tünnes und dem Koch. Letzterer war im Unterhemd, das Oberhemd hatte er verkauft. Die beiden sangen mitten auf der belebten Straße laut und betrunken »Der Papst lebt herrlich in der Welt«. Sie grüßten aber militärisch korrekt, und als ich ihnen zulächelte, kam Tünnes auf mich zu und verehrte mir seinen rheinisch-blonden Voll- und Schnurrbart, den er sich soeben hatte abnehmen lassen und eigentlich seiner Braut senden wollte. Ich lud eine Dame in ein Café ein, bekam aber den typisch Wilhelmshavener Korb. »Ich mit einem Kuli?« Als ich mit Wurstpaketen und mit der Nachricht, Antwerpen sei gefallen, wieder an der Nassau-Brücke eintraf, war mein Schiff weg. Vom andern Ufer rief mir jemand zu: »Blexen« sollte außer Dienst stellen und sei deshalb in die Werft eingelaufen. Wir bekämen ein neues Schiff. Neu war immer erfreulich.

      Auf tausend Irrwegen, mit tausend Fragen, über tausend Büros, Beamte und Arbeiter entdeckte ich endlich in einem Mastenwald »Blexen« neben einem großen Seeschlepper »Vulkan«. Diesen Seeschlepper sollten wir übernehmen. Meine Kameraden waren bereits eifrig im Gange, das Inventar und unsere Privatsachen hinüberzubringen. »Vulkans« Zivilbesatzung wurde mit Fragen bestürmt. Wie läuft das Schiff? Leckt es in den Kojen? Habt ihr Wanzen an Bord? Es war ja für uns eine bedeutungsvolle Sache, ein Schiff aufzugeben und ein neues zu beziehen. Wo werde ich schlafen, fragte jeder, und jeder sah sich das Material und die Räumlichkeit für seine Sonderbestimmung


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