Als Mariner im Krieg. Joachim Ringelnatz

Als Mariner im Krieg - Joachim  Ringelnatz


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im Tauwerk, mit gespenstischen Schatten und fahlen Lichtstreifen. Und da mußten wir ein Bremer Schleppschiff anhalten. Der Lotse ging mit drei bewaffneten Matrosen hinüber, um es zu untersuchen.

      Laut Bericht der Leipziger Neuesten Nachrichten brachte die Armeelinie von der Nordsee bis an die Grenze der Schweiz am sechsten November ein Hoch auf die Marine aus.

      Mutter fragte an, ob wir einen Bedürftigen an Bord hätten, der keine Liebesgaben erhielte und dem sie dann eine Weihnachtsüberraschung bereiten wollte. Ich überdachte unsere fünfzehn Mann Besatzung, fand aber keinen darunter, der dessen bedürftig und dessen wert gewesen wäre, nicht mal einen, der das überhaupt verstanden hätte.

      Es wurde kalt und kälter. Der erste Schnee fiel. Ich fror, besonders beim Ankerhieven und wenn ich mit nassem Tauwerk oder den steifen, obendrein splitterigen Stahlleinen zu tun hatte, bös an den Händen, und diese wurden dann so starr, daß ich bei Sonnenuntergang beim Anzünden der Lampen oft Zylinder zerbrach. Jessen hatte Frostbeulen an den Füßen, so daß er nicht mehr in die Seestiefel hineinkam.

      Das Wrack der »Yorck« war durch Sprengungen und durch Sturm und Brandung ganz zerrissen. Es ragten nur noch einzelne zackige Teile aus dem Wasser.

      Ob wir uns untereinander zankten oder mitsammen scherzten, jeder hatte doch die anderen satt. Jeder sehnte sich nach etwas Fernem, nach Weib und Kind oder nach Freiheit, nach seinem Zivilberuf, nach Mädchen oder Freunden oder nach Ruhm und Abenteuern. Nun hofften wir, daß bald Treibeis käme, dann mußte die Minensperre doch aufgehoben werden. Das Aufstehen fiel einem schwer, man seufzte in sich hinein. Man wurde unter soviel Ungerechtigkeiten selber ungerecht. Jessen wurden fünf Tage Urlaub bewilligt. »Ja, die Verheirateten werden immer bevorzugt«, sagten die Ledigen. Jessens Frau bezog monatlich fünfzig Mark staatliche Unterstützung, obwohl er doch ein sehr reicher Bauer war. Er fand das selbst ungerecht, »aber«, meinte er, »andere bekommen es ebenso ungerechterweise, warum soll ich es dann nicht mitnehmen.« Über die Verteilung des Eisernen Kreuzes kreisten zahllose gehässige, oft auch witzige Anekdoten. Und während die Mannschaften darbten und im Stumpfsinn vertierten, hatten es die Offiziere — nun ja, sie hatten es besser. Es gelangten allgemeine Liebesgabenpakete, besonders von den Hansestädten, an die Marine, manchmal auch an unsere Division, bis nach »Glückauf«. Wir kleineren Boote bekamen nichts davon ab. Es kam der Schützengrabentrost auf. Wenn einer von uns sich über irgend etwas beklagte, dann ward ihm erwidert: »Was sollen erst die sagen, die jetzt in den Schützengräben liegen!« Vielleicht hatten die im Schützengraben einen ähnlichen Trost.

      Petroleum, Lebensmittel, alles wurde teurer und teurer und immer rarer. Die Liebesgabenpakete enthielten schon grauenhafte Ersatzangelegenheiten, zum Beispiel Grog-Kapseln, in heißem Wasser aufzulösen. Wenn wir Routineboot waren, wurde ich meist mit zum Proviantbesorgen abgeteilt. Die schmutzigen Säcke und fettigen Waren verdarben meine Uniform, aber ich genoß dann ein bißchen Freiheit, und es geschah dann immer etwas, was sich um ein weniges von dem Tagesverlauf an Bord unterschied. Zwei Matrosenartilleristen luden mich zum Bier ein. Sie hatten bei Krupp neue Geschütze eingeschossen; die Geschosse — fünfzehn Zentner schwer — sollten achtundvierzig Kilometer weit tragen, also ein gutes Stück weit über den Kanal ins Englische. Ich sprach mit Arbeitern, die zitronengelb aussahen, weil sie in Schießbaumwolle arbeiteten. Oder ich sah, wie Mädchen aussahen, die angezogen und ohne einen zu beachten, vorübergehen. Als ich ein Schaufenster betrachtete, um Weihnachtseinkäufe zu machen, sprach mich Herr von Raichert an, zog mich in einen Tabakladen und kaufte mir eine Kiste Zigarren. Ich gratulierte ihm zur Beförderung zum Oberleutnant. Dann fuhren wir durch Sturm und Hagel mit dem Schlachterwagen, den uns der Metzger nur ungern überließ. Denn jeder von uns war betrunken, und jeder wollte kutschieren und keiner konnte es, und der Gaul hatte einen Abscheu gegen die Hafengegend. Tünnes fiel plötzlich rückwärts vom Bock in den Wagen und blieb steif in Fleisch, Zucker, Heringen und Butter liegen. Weil »Vulkan« schon ausgelaufen war, benutzten wir »Saturn« zur Rückfahrt, mußten allerdings frierend an Deck stehen, weil die unteren Räume gerade gegen Wanzen ausgeschwefelt wurden. In der Kombüse saß ein Matrose, der wunderschön und künstlerisch variiert pfiff. Auf »Vulkan« stärkte ich mich an Kartoffelpuffern, die der Hund schon abgeleckt hatte, denn wir hatten wieder einen Hund gestohlen. Der wohnte in meiner Koje. Er durfte sich mir gegenüber alles erlauben, mir über Bauch und Gesicht spazieren und dabei Flöhe ansetzen, die roten Pantoffeln zernagen und in meinen Eßnapf niesen. Natürlich hatte er auf dem kalten Eisenschiff Rheumatismus bekommen, wir ächzten nachts um die Wette. Müde saß ich mit ihm in meiner kleinen Kabine, wo ich alle vier Wände vom Sitz aus mit der Hand erreichen konnte und las über die Giftmischerin Timm. Dann kehrten Jessen und Schaffrot vom Urlaub zurück. Der Bootsmann erzählte von großen Niederlagen der Deutschen in Frankreich, er hatte das von dem offenbar sehr deutschfeindlichen Pfarrer seiner Heimat. Schaffrot war bei einem ganz feinen, vornehmen Diner dabeigewesen, wo es bei jedem Gang frische Teller und frische Bestecks gab.

      Morgens signalisierte man uns, wir seien abgetrieben. Eibel stürzte aufgeregt an Deck, es wäre bei dem furchtbaren Sturm ungeheuer aufzupassen! In diesem Augenblick wurde Eibel durch eine hereinbrechende Welle von oben bis unten eingeweicht. Wir lachten uns tot.

      Schwere, langgezogene, bleierne Wogen rollten. Bei der Übergabe von Proviant an »Luci Wrede« plumpsten Kartoffelsäcke ins Wasser. Futsch! Irgendeinem Tier oder einer Pflanze kamen sie doch wohl noch zugute. Es ist eigentlich gar nicht möglich, Speisen als solche aus der Welt zu schaffen. Als wir aber »Glückauf« Postsäcke hinüberjonglierten und dabei ein Privatbrief über Bord fiel, befahl der Sperrkommandant, trotz des hohen Seeganges sofort ein Boot zu Wasser zu lassen. Stuben, Eichmüller und ich sprangen in unser Rettungsboot, das sofort vom Sturm weit abgesetzt wurde. Als wir über das Minenfeld trieben, stießen wir aus Spaß mit den Riemen ins Wasser. Nach dem Brief aber sahen wir uns nicht lange um. Der war selbstverständlich in dem gischtschäumigen Wasserchaos nicht zu finden. Nur mit Mühe pullten wir uns nach »Glückauf« zurück. Aber der Sperrkommandant hatte mir diesmal gefallen. Wir ankerten. Ich zog auf Wache, peilte Voslapfeuer West zum Norden und entdeckte dabei unsere alte »Blexen«, die zwei Scheibenflöße vorbeischleppte. Dann leistete mir der Kommandant auffällig freundlich Gesellschaft, ich sah ihm an, daß er die ganze Nacht über gekotzt hatte. Es sei eine Meldung wegen der stibitzten Kartoffeln gekommen, sagte er und erteilte mir Ratschläge, wie ich die Sache vertuschen möchte. Dann verließ er mich, und ich hörte ihn unten noch zu Jessen sagen: »Jessen, ich gratuliere Ihnen, Sie sind zum Obermaaten befördert.«

      Also der war befördert! Ich nicht. Warum nicht ich, der ich genau so eifrig wie Jessen meinen Dienst versehen hatte und dabei bei weitem militärischer war als er. Hatte der Sperrkommandant meine Beförderung abgelehnt? Oder hatte Herr Kaiser sie gar nicht beantragt? Warum deutete man mir auch gar nichts darüber an? Ein dumpfer Groll bemächtigte sich meiner; ich verbohrte mich in feindselige Träume. Jessen selbst benahm sich ebenso taktvoll wie herzlich zu mir. Ich schenkte ihm meine Obermaatenabzeichen, die er sich schmunzelnd auf die Ärmel nähte. Am nächsten Tag übergab ich dem Steuermann ein Gesuch zur Befürwortung und Weitergabe an den Sperrkommandanten. Es war vorschriftsmäßig und im üblichen Tone abgefaßt und lautete wörtlich so:

      Ich bitte an den Kämpfen im Westen teilnehmen zu dürfen.

      Gründe: Ich glaube dem Vaterlande am besten im Gefecht dienen zu können und besonders dafür geeignet zu sein, auch spreche ich verschiedene Sprachen und bin ledig und kampfbegeistert.

      Ich war entschlossen, dieses Gesuch nötigenfalls bis zur höchsten Instanz durchzusetzen. Herr Kaiser schickte mich zum Kommandanten von »Glückauf«, der schickte mich zum Durchfahrtskommandanten und so ging es weiter, und alle schimpften und nannten mein Gesuch aussichtslos. Aber ich ließ es laufen.

      Einmal kam Herr Kaiser und erzählte mir von seiner Zivilstellung als vierter Steuermann auf dem Passagierdampfer »Imperator«. Damals hatte er ein monatliches Gehalt von 200 Mark, jetzt bezog er das Doppelte. Mir war es gar nicht recht, daß er mich auf Wache besuchte und mir stundenlang Privates erzählte, denn erstens würde er das später wieder bereuen und zweitens fror ich sehr, weil er im Redeeifer immer so lange an einer Stelle stehen blieb.

      Stuben war über Urlaub geblieben. Anstatt ihn streng zu bestrafen, wurde dafür den anderen, die nun daran waren, für lange Zeit der Urlaub gestrichen.


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