Ratsmädelgeschichten. Böhlau Helene

Ratsmädelgeschichten - Böhlau Helene


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      Ratsmädelgeschichten

      Erste Geschichte

      Ein dummer Streich trägt zwei schönen Kindern einen guten Freund fürs ganze Leben ein

      Mitten im großen deutschen Reiche liegt ein weit und breit berühmtes Städtchen, Weimar im Thüringerlande. Da regierte, als meine Großmutter noch ein Kind war, ein sehr kluger und guter Fürst, der durch seine Güte und Weisheit große Dichter, die zu jener Zeit lebten, dazu vermocht hatte, bei ihm in seinem Städtchen zu wohnen. Und da er ein so überaus kluger Herr war, den jedermann liebte und verehrte, so kamen Dichter und Gelehrte gerne von allen Seiten, lebten in der Stadt des Fürsten und schrieben dort so herrliche Dinge, daß alle Welt darüber in Staunen geriet. Und noch jetzt ist das, was diese Männer damals gedacht und gedichtet haben, das Schönste, was wir kennen, und wird noch lange, lange Zeit das Schönste bleiben.

      Von diesen Männern ist alles oftmals erzählt und genau beschrieben worden, und die Menschen werden in Jahrhunderten noch von ihnen reden. Aber neben ihnen wohnten in jenen Tagen gar viele Leute in der Stadt, von denen niemand mehr spricht. Die hatten auch ihre Freuden und Leiden, auch ihre guten Stunden, fühlten und empfanden tief, waren froh und litten, hatten auch Herzen wie jene. Sie sind gestorben und vergessen.

      Ueber viele gute Leute waren damals schwere Zeiten hereingebrochen, Krieg und Not. Einige wenige leben noch, die von den vergangenen Zeiten zu erzählen wissen.

      Von solchen habe ich es erfahren, daß damals in der engen, winkeligen Windischengasse in Weimar, die von jung und alt nur Wünschengasse genannt wurde, in einem hohen, schmalen Hause ein Herr Rat wohnte mit Frau und Kindern. Es waren zwei Buben, die in der Schule schon in den oberen Klassen saßen, und zwei jüngere Mädchen, welche Röse und Marie hießen und von den Nachbarsleuten, von den Gassenbuben und von jedermann die Ratsmädel genannt wurden. Und in der Wünschengasse und darüber hinaus war wohl keiner, der die Ratsmädchen nicht kannte und nicht recht wohl wußte, daß sie ein paar wilde Kreaturen waren, die ihrer Mutter Not machten. Spielten Röse und Marie mit den Schulbuben auf der Gasse, da that sich wohl ein Fensterchen in dem Hause auf, vor dem sie gerade ihr Wesen trieben, und eine Frau in großer Haube oder ein guter, alter Nachbar, der bedächtig das Wochenblatt las, rief hinaus: „Röse, binde deine Zöpfe zusammen! Marie, patsche nicht in den Pfützen! Wollt ihr wohl, Röse und Marie, oder es setzt etwas, wenn’s der Vater hört!“ An dergleichen Zurufe von seiten der Nachbarsleute schienen die Ratsmädchen gewöhnt. Es machte ihnen wenig aus. Im Gegenteil wurden sie desto lustiger, thaten, was sie wollten, machten ihre Sache in der Schule schlecht und waren in jeder freien Stunde auf der Gasse oder irgendwo vor der Stadt zu finden oder auch nicht zu finden. Sie hatten beide absonderlich dicke Zöpfe, die hingen ihnen schwer am Rücken herunter, und wenn sie miteinander in ihren Ginghamkleidern über die Straße schlenderten, und ein Gassenbube wollte mit ihnen Neckereien treiben, oder sie waren mit ihren guten Freunden in Streit geraten, da langten sie ihre Zöpfe vor und fuchtelten damit um sich her, daß so ein Vorwitziger, der mit ihnen angebunden, allen Respekt davor bekam. Denn ein fester, straff geflochtener Zopf hat schon seine Wucht, wenn er einem Bengel über Nase und Wangen fährt.

      Die Zöpfe haben den beiden manchen Spaß eingebracht.

      Röse und Marie konnten sich in ihr bräunlich blondes Haar, wenn sie es aufflochten, wie in einen Mantel wickeln. Und eine vornehme Dame, die Prinzeß Karoline, die den Herrn Rat und auch die Kinder kannte, ließ die beiden munteren Mädchen manchmal zu sich auf das Schloß kommen und hatte sie eines schönen Tages, um sich mit ihnen zu vergnügen, sich auf zwei Schemelchen setzen lassen, ihnen das Haar aufgeflochten und um sie herumgekämmt, daß es ihnen auch die Gesichter überdeckte, auch die Kleider und Füße und noch ein gut Stück auf der Erde hin lag. Darauf hatte sie allerlei vornehme Leute hereingerufen und sie raten lassen, was für wunderbare, glänzende Geschöpfe da vor ihnen kauerten. Der Anblick mochte ganz eigentümlich gewesen sein, so daß niemand recht wußte, was er davon halten sollte, bis die Ratsmädel verlegen aufstanden und sich das Haar aus den heißen Gesichtern strichen.

      Die Ratsmädel, das wissen wir nun schon, waren ein paar lose Vögel. Sie hatten aber auch in der wunderlichen Zeit Dinge erlebt, von denen heutzutage kein noch so wilder Junge sich eine Vorstellung machen kann; von einem Mädchen gar nicht zu reden. – Eine gute Weile lang sah man täglich fremdes Kriegsvolk durch die Straßen ziehen und hörte Kanonen und schwerrollende Pulverwagen über das Pflaster fahren. Mit Herzklopfen lauschten die Leute im Städtchen auf den dumpfen Kanonendonner, der bis nach Weimar dröhnte, als bei Jena die furchtbare Schlacht geschlagen wurde, in der Napoleon den Sieg errang.

      Und später, da gab es in der Wünschengasse oftmals russische Soldaten, Kosacken, die hatten dort ihr Lager aufgeschlagen. Die kauerten des Nachts auf Stroh und schnarchten, und ihre Pferde standen neben ihnen und ließen die Köpfe hangen. Damals haben die Ratsmädchen auch Plünderung mit erlebt. Als die Franzosen in Weimar wirtschafteten, haben sie gesehen, wie mir nichts, dir nichts, die Franzosen nahmen, was sie fassen konnten; – wie sie aus des Vaters Hause kamen und die schönen Schinken aus der Vorratskammer forttrugen, und diese Schinken hatten sie gar an rosa und blaue Schärpenbänder gehängt und so über die Schultern geworfen. Die Schärpenbänder aber waren die, welche die Mutter den Mädchen sonst Sonntags um die Kleider geknüpft hatte! Als Röse und Marie das vom Fenster aus gesehen, da kamen sie weinend zu ihrer armen Mutter gelaufen, die bleich im Lehnstuhl am Ofen saß, während der Vater sich draußen mit den Franzosen abplagen mußte.

      An demselben Tage, an dem dies geschehen war, hockten die beiden wieder auf dem Fensterbrett. Sie waren allein im Zimmer. Da sahen sie, wie ein paar Franzosen in dem Konditorladen, der Rats gegenüber lag, sich zu schaffen machten. Dieser Konditorladen war den Mädchen von jeher als das Verlockendste erschienen, was es auf der Welt geben konnte. Er gehörte einer alten Frau Ortelli, und die Mädchen schauten mit Spannung durch die Scheiben, was die lärmenden, schwadronierenden Franzosen wohl vorhätten. Da sahen sie, und der Atem stockte ihnen, wie die Soldaten aus einem Kasten die schönsten Figürchen, bunte Männerchen und allerhand farbiges Viehzeug, „hast du nicht gesehen“, mit vollen Fäusten zur Thüre hinauswarfen, dabei lachten und schrieen.

      Daß so etwas überhaupt möglich sei, hatten die Mädchen sich nicht träumen lassen. Ohne etwas darüber zu reden, sprangen sie beide wieder von ihrem Fensterbrett; Röse nahm ein blau-getupftes Tragkörbchen, das ihrer beider Eigentum war und hinter dem Ofen stand, und sie liefen stumm und eilig einmütig miteinander die Treppe hinab und sammelten unten die Zuckerfigürchen. Da war schon von den Herrlichkeiten manches von vorüberziehenden Soldaten und Pferden zerstampft und zertreten worden, aber wie Röse und Marie über dem Sammeln waren, half ihnen ein freundlicher Franzose, ein Soldat, dabei.

      Sie hatten solche und andere ganz unglaubliche Dinge erlebt. Ein alter Kosack, der bei ihnen im Quartier lag und dem diese Mädchen gut gefielen, wollte ihnen einmal einen Spaß machen und hatte sie in seinem zweirädrigen Wagen, den er „Kibitka“ nannte, mit über Land genommen; und das war eine Fahrt gewesen, die sie ihr Lebtag nicht vergessen konnten. Das ging wie der Wind, wie der Blitz!

      Der alte Kosack in seinem Pelzrocke hieb auf die Pferde ein, daß sie nur so rasten und daß die Funken sprühten; – so fahren die Kosacken! – und der zweirädrige Wagen stieß und flog, und die Mädchen klammerten sich an dem schmalen Holzsitze fest, und der Atem verging ihnen, so schnitt ihnen der Wind bei der Schnelligkeit, mit der sie fuhren, an den Gesichtern hin. Der alte Kosack lachte und sagte immer: „Nix, nix!“ und fuhr weiter und weiter, und die Bäume und Felder schwirrten nur so an ihnen vorüber, so schnell ging es, wie noch kein Mensch in Deutschland je gefahren war. Und als der Kosack sie endlich vor ihrem Hause abgesetzt hatte, da zitterten sie noch.

      Dann einmal hatten ihre Brüder von einem anderen Kosacken ein Pferd um achtzehn Pfennige gekauft, das hatte der durstige Kerl los werden wollen, da er es wegen Futtermangels doch nicht behalten konnte. Wie die Brüder aber das Pferd mit heimbrachten, da gab es Zank bei Rats, und die armen Buben mußten ihren Gaul mit schwerem Herzen wieder fortschaffen. Aber so darunter und darüber ging es dazumal her, daß die Schuljungen für ein paar Pfennige zu einem Pferde kommen konnten, für soviel, wie sie jetzt wohl für ein Dutzend Schußkugeln anwenden.

      Mit dem Essen und Trinken hingegen war es schlimmer bestellt, das nahm ihnen die Einquartierung vor der Nase weg. – Es gab, wenn die Soldaten im Hause lagen und mit am Tische aßen, eine braune Mehlbrühe, in die waren Fleischstücke und Brotstücke hineingeschnitten,


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