Ratsmädelgeschichten. Böhlau Helene

Ratsmädelgeschichten - Böhlau Helene


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Marie und der Junge vor der Mühle und keines wagte sich hinein. Da kam der Mühlknappe aus dem feuchten, kühlen Hofe und stellte sich breitspurig vor die Pforte, um eine Pfeife zu rauchen. Röse trieb den Jungen an, seine Ausrichtung zu machen, so daß er wohl oder übel gehen mußte, um seinen Spruch dem Knappen zu sagen.

      „Die Jungfer Veit in der Wünschengasse will mahlen lassen, einsäckiges Korn, und Ihr möchtet ihr einen Esel schicken, um sechs.“

      „Jawohl,“ sagte der Knappe, „heute um sechs.“

      Da schaute aber Budang zum Fenster heraus und guckte ein bißchen in die Luft und sah, ganz ohne etwas zu denken, die Ratsmädel stehen, erkannte den Jungen, dem er etwas aufgeblitzt hatte, und nickte ihm zu, als wollte er sagen: „Wir kennen uns schon.“

      „Das war dumm, daß Budang guckte,“ sagte Marie. Und sie gingen nun langsam in Erwartung der Dinge, die da kommen sollten, wieder zurück. Als sie die Treppe hinauf stiegen, rief die Mutter gerade nach ihnen, und sie antworteten etwas kleinlaut. „Kommt gleich herauf und geht in die Stube,“ sagte die Mutter. Sie hatte eine Schüssel in der Hand und mochte wohl in der Küche noch zu thun haben. „Geht nur, ich komme gleich,“ sagte sie, als die Mädchen noch standen und unentschlossen auf die Schüssel blickten. Im Zimmer war niemand, und Röse und Marie drückten sich, etwas unbehaglich gestimmt, am Fenster herum. Röse spielte mit dem Fingerhut der Mutter, ließ ihn auf dem Fensterbrett hin und her rollen, bis er hinunterfiel, und Marie schnippte mit der Schere einen festen, schönen Zwirnfaden in kleine Endchen. Es wurde ihnen mit der Zeit beklommen zu Mute. Da kam endlich die Mutter herein und sagte: „Ich bin recht bekümmert Euretwegen. Ihr seid doch schon große Mädchen und solltet verstehen, daß es Eurer Mutter manchmal sauer wird, mit allem fertig zu werden; aber da müssen mir fremde Leute sagen, was für faule, ungeratene Kinder ich habe. Ihr macht mir das Herz recht schwer.“

      Röse und Marie, als wären sie bis dahin blind gewesen, sahen mit einem Male, wie ihre Mutter so blaß war, und wie sich schon ein paar graue Fädchen durch ihr dichtes Haar zogen, und das bewegte sie. Sie sahen auch, daß ihre Augen rot geweint waren. Keine wagte etwas zu erwidern, aber beiden klopfte das Herz, und sie wünschten in diesem Augenblicke nichts weiter, als die Mutter möge nicht so traurig aussehen. Lieber hätten sie vom Vater einen gehörigen Sermon bekommen, der würde ihnen das Herz nicht so beschwert haben, wie die wenigen, ruhigen Worte der Mutter, die dieser so ganz aus der Seele kamen.

      „Morgen,“ sagte die Frau Rat, „werdet Ihr zu der Jungfer Concordia Loisette gehen, die wird Euch Nähstunden geben und zweimal die Woche einen französischen Unterricht. Ich ermahne Euch zu nichts. Macht, was Ihr wollt! denn wenn Euch Euer Herz nicht sagt, was Ihr von heute ab zu thun habt, ist jede Rede unnütz.“ Damit ging die Mutter wieder an ihre Geschäfte.

      „So! Das meinte sie vorhin auf dem Flur, wir sollen zu den Loisettens,“ sagte Röse und sah Marie bedenklich an. „Das hat uns die Veiten gut eingebrockt.“ Da schlug die Wanduhr in der Stube halb sechs, und beide sahen vor sich hin und schwiegen.

      „Marie,“ sagte Röse kleinlaut, „in einer halben Stunde sind die Esel da.“ Wie sie Marien anblickte, sah sie, daß diese eine erbärmliche Miene zog, und daß ihr eine Thräne schon bis herunter an das runde Kinn gelaufen war. „Hast Du Angst?“ fragte Röse mit etwas unsicherer Stimme.

      „Ja!“ sagte Marie schwer bedrückt, denn es war ein böses Zusammentreffen, der Mutter bedeutungsvolle Mahnung, die Aussicht, schon am nächsten Tage in der Gassenmühle zu Jungfer Loisette gehen zu müssen, und der Unfug, den sie gegen die Jüdin eingeleitet hatten. Wie bald konnten sie nun erwarten, daß die Müller von allen Seiten der Stadt sich in der Gasse vor dem Hause der Jungfer versammeln würden, und daß es da Hallo gäbe, das war vorauszusehen.

      Röse, die eine ruhigere Gemütsart als ihre Schwester hatte und sich nicht so leicht aus der Fassung bringen ließ, sagte: „Ach was! herauskommen wird es schon nicht, und was wird denn Großes dabei sein, einmal einen solchen Drachen zu ärgern. Wir gehen jetzt gleich hinauf zu Corniceliusens,“ das waren Beutlersleute, die der Jüdin gerade gegenüber wohnten, „und wenn es losgeht,“ fuhr die leichtsinnige Röse fort, „dann laufen wir hinunter in die Thorfahrt und gucken durch die Spalte.“ Sie machten sich also schnell auf die Beine, um noch hinüber zu den Nachbarn zu kommen. Diese freuten sich, als die Ratsmädchen bei ihnen eintraten, denn sie standen auf sehr gutem Fuße miteinander, und der Beutlermeister sagte zu seiner Frau: „Geh und hole doch von den Backpflaumen!“

      Die Ratsmädchen waren schon oft so regaliert worden; aber heute konnten sie sich auch nicht zu einer einzigen entschließen; denn vor lauter Aufregung und Angst wurde ihnen das Schlucken schwer, und sie betrachteten die guten Pflaumen, als wären es Kieselsteine. Sie wagten nicht, an das Fenster zu treten, und stellten sich beide neben den Meister Cornicelius, der an einer Bauern-Lederhose arbeitete, mit seiner kurzen, festen Nadel und dem blankgewichsten Faden ausholte und in das Leder einstach, stetig und unaufhaltsam, als wäre er durch ein Uhrwerk aufgezogen und könnte erst aufhören, wenn dieses abgelaufen sei.

      „Ja, ja, ja!“ sagte der Beutler und schaute während seiner Arbeit mit einem freundlichen Blick zu den Mädchen auf, die neben ihm standen und zusahen. „Für wen wird denn die Lederhose?“ fragte Röse, die es für nötig fand, etwas zu reden.

      „Die ist auf Vorrat, Röschen,“ erwiderte der Beutler, ohne innezuhalten.

      „Ja, was ist denn das?“ rief mit einem Male die Beutlersfrau und trat ans Fenster. „Kinder, kommt schnell einmal her!“ Den Ratsmädchen aber wurde es angst und bange; da hatten sie die Bescherung. Unten vor der Thüre der dicken Nanni waren die Müller mit samt den Eseln angelangt; die Jungfer war eben auch schon aus dem Hause getreten, und der Lärm ging los. Die Nachbarsleute rissen die Fenster auf, wer auf der Straße war, kam zugelaufen; es sammelte sich von allen Seiten, und Müller und Esel waren bald eingeschlossen von neugierigen Gaffern, mitten unter ihnen die dicke Nanni. Sie hatte ein weißes Linnen über dem Arme hängen, und die große Haube saß ihr schief auf dem Ohre.

      Die war in Rage; der Tausend, das ging wie Semmelbacken! Da hatte, wer nur den Mund aufthat, ohne daß er ausgesprochen, seine Antwort und zwar eine doppelt gesalzene und gepfefferte. Die Meisterin öffnete jetzt das Fenster und drängte die Mädchen, damit sie ja alles sehen sollten, ganz vorne hin. Der Meister machte sich auch in die Höhe und stellte sich mit eingestemmten Armen hinter die Frau. So waren die Ratsmädchen gefangen und mußten, sie mochten wollen oder nicht, mit ansehen, was sie angerichtet hatten. Sie hätten es sich noch vor zwei Stunden nicht besser wünschen können. Jetzt aber hätten sie sich am liebsten verkriechen mögen. Die Herzen waren ihnen ganz gehörig schwer; denn so einen Straßenlärm veranlaßt zu haben, das ist keine Kleinigkeit. Aber so viel hörten sie aus all dem Zank unten heraus, daß die Jüdin sich von den Müllern selbst zum besten gehalten glaubte; sie hatte kein gutes Gewissen gegen die Müller. Diese mochten noch so sehr auf ihrem Rechte bestehen, sie hörte nicht darauf, sondern, nachdem sie ihrem Herzen Luft gemacht, stemmte sie den linken Arm in die Seite, schaffte sich, wie es ihre Art war, tüchtig Platz, verschwand in ihrem Hause und warf die Thüre hinter sich zu. Nun räsonnierten die Müller noch eine Weile untereinander, und erst nach und nach wurde der Menschenknäuel unter dem Fenster lichter; die Müller mit ihren Eseln zogen ab, und alles verlief sich.

      „Da geht auch Budang!“ sagte Marie schüchtern zu Röse.

      „Ja!“ sagte Röse.

      Als die Mädchen miteinander die Treppe hinuntergingen, um nach Hause zu laufen, da stand, als sie aus der Thüre traten, Budang da, trat auf sie zu und sagte: „Das seid Ihr gewesen! Ich habe Euch wohl gesehen! Jetzt hier am Fenster und vorhin. Schämen solltet Ihr Euch!“ Jetzt trat er ihnen noch einen Schritt näher. „Wenn Ihr Jungens wär’t,“ sagte er mit zorniger, leiser Stimme, „da setzte es jetzt etwas; darauf könnt Ihr Euch verlassen!“

      Damit ließ Budang sie stehen. Er sah nur noch, daß Marien die Thränen in den Augen standen, und es auch Röse schon um den Mund zuckte, aber was ging ihn das an.

      Die Mädchen waren sehr betroffen, es hätte ihnen gar nichts Schlimmeres passieren können, denn Budang stand hoch in ihrer Meinung, und sie hatten nur immer ihren Ärger gehabt, daß er es nicht mit ihnen hielt. Sie waren ganz zerknirscht von Budangs offenbarer


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