Ratsmädelgeschichten. Böhlau Helene

Ratsmädelgeschichten - Böhlau Helene


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erzählten und ihren Spaß daran hatten. Die Brüder bekamen aber von dem Vater einen starken Verweis. Er wolle nicht, daß seine Söhne sich an solchen Rüpeleien vergnügten, sagte er, und so etwas von Scham und Ärger, wie die Mädchen jetzt fühlten, war noch nie in ihnen aufgestiegen. So früh es nur anging, schlichen sie sich hinauf in ihre Kammer. Den andern Tag sollten sie zur Jungfer Loisette in die Mühle gehen und würden Budang begegnen; das stand ihnen mit Entsetzen den ganzen Abend vor der Seele. Sie konnten darüber nicht zum Einschlafen kommen, und Marie kroch vor lauter Angst zu Rösen ins Bette, legte den Arm um die Schwester, und so schliefen die beiden Schelme, als sie trotz aller Sorge und Not gar zu müde wurden, ein und schliefen bis in den hellen Morgen.

      Das war eine schwere Stunde, als sie am anderen Tage nach der Vesperzeit, von der Mutter jede mit einer Näharbeit ausgerüstet, zu der Jungfer Loisette geschickt wurden. Als sie vor der Gassenmühle standen und sich nicht hineinwagten, hofften sie von Minute zu Minute, daß etwas geschehen würde, um sie zu retten. Röse hatte vor lauter Angst und Scham grausame Ideen, daß es ihr z. B. recht gewesen, wenn die Mühle mitsamt der Jungfer und Budang so vor ihnen in die Erde hineingerutscht wäre. – Aber was half’s; sie mußten sich entschließen. Zaghaft gingen sie durch das kleine Höfchen. Über das mächtige Rad rauschte der kalte, klare Mühlbach, und sie hörten das Mahlwerk klopfen und hämmern. Als sie in die Mühle traten, fühlten sie, wie die Dielen leise zitterten, denn alle Räder waren in Arbeit, und aus dem Mehlraum drang es wie feiner Staub, und das ganze Haus roch kräftig nach frischem, trockenem Mehl. Alles war rein und sauber, die Treppen schneeweiß, und die Mehl- und Kornsäcke lagen rings an den Wänden in Reih und Glied aufgeschichtet. Mit klopfendem Herzen stiegen sie die blanke Treppe zum ersten Stock hinauf, wo die Müllersleute wohnten. Röse faßte Mut und klopfte. „Herein!“ rief es. Röse öffnete, und sie traten beide in eine große, niedere Stube. Da kam ihnen die Mamsell Concordia Loisette entgegen; sie war ein feines Persönchen, sehr klein und schmächtig. Röse war fast schon größer, als sie. Die Mamsell Concordia hatte ein frisches Gesicht und lebhafte graue Augen.

      „Nun, da kommt Ihr,“ sagte sie, „da wollen wir einmal sehen, wie es um Eure Näherei steht!“ Die Ratsmädchen aber achteten kaum auf das, was die Mamsell sagte, denn in der großen Stube am Ofen saß Budang an einem Tischchen und drehte ihnen den Rücken zu. Er nahm keinerlei Notiz von ihrem Eintreten.

      Die Jungfer Concordia sah sich die beiden Ratsmädchen, die demütig und geduckt nebeneinander standen, lächelnd an und sagte, indem sie sich an Röse wendete: „Nun, wie ist es denn gekommen, daß sie Euch so Hals über Kopf hierher geschickt haben? Ihr habt es wohl ein bißchen arg getrieben?“

      Da wurden die beiden rot bis hinter die Ohren und erwiderten nichts. Concordia hatte sie in einem scherzenden, lustigen Tone gefragt, der ihnen gut gefiel, und sie bekamen gleich eine gute Meinung von der Jungfer.

      Concordia deckte den Tisch und setzte hübsche, bunte Tassen darauf, die große Kaffeekanne und ein Stück selbstgebackenen Kuchen.

      „Das ist zum Schulanfang,“ sagte sie.

      Daß es so zugehen könne, hatten die beiden armen Sünderlein sich nicht vorgestellt. Dann nahm Concordia noch ein Glas mit drei frischen Rosen, das im Fenster stand, und setzte es neben den Kuchen auf das weiße Tuch.

      Den Mädchen wurde es ganz feierlich zu Mute.

      Alle nahmen ihre Stühle, auch Budang, und setzten sich um den Tisch. Als die Jungfer eben eingießen wollte, da fiel eine von den drei Rosen aus. Sie hatte daran gestoßen, und die schönen rosa Blättchen lagen auf dem weißen Linnen. Die Jungfer nahm ein paar davon und streute sie in Rösens und Mariens Tassen, that ein Stückchen Zucker dazu, goß Milch darauf und sagte: „Das ist etwas sehr Gutes, dergleichen bekommt man nicht alle Tage. Nehmt Ihr auch ein Tröpfchen Kaffee dazu?“ Da nickten die beiden, und es gefiel ihnen trotz der Verlegenheit, in der sie sich befanden, außerordentlich.

      Als Budang sah, daß seine liebe Tante Concordia so sehr freundlich mit den Mädchen war, stimmte ihn das gegen die Rangen auch milder, und er rückte ihnen die Kuchenschüssel hin. Da sahen sie ihn bedenklich an und wurden rot. Sie trauten ihm nicht recht. Die Jungfer aber, der diese Feier unversehens zu groß geworden war, sagte: „Eure Lehrer sollen ja recht unzufrieden mit Euch sein. Die Jungfer Veit sagte mir, daß ihr die Schule schwänzt und am faulsten von allen seid – ? Ist das wahr?“

      Da nickte Marie, und der gute Bissen blieb ihr im Munde stecken. „Nun, ich will Euch einmal etwas sagen,“ begann die Jungfer nach einer Weile und hatte eine Stimme, so hell, wie ein Glöckchen, „das geht nicht mehr, daß Ihr so faul seid; denn sehr bald werdet Ihr ganz große Mädchen. Zeigt doch dem Heinrich manchmal Eure Arbeiten; der weiß, ob sie schlecht sind oder gut. – Nicht, Heinrich?“ wendete sie sich an ihn. „Das thätest Du? Du siehst den beiden ihre Sachen manchmal nach?“ Da fühlte Heinrich sich geehrt und sagte: „Ja!“, machte aber eine kühle und gleichgültige Miene dazu.

      Nun saßen sie mit der Lehrmeisterin über der Arbeit, und Budang war hinausgegangen, und sie hatten allerlei verfängliche Fragen betreffs des französischen Unterrichts, den sie bei der Jungfer beginnen sollten, zu bestehen. Als die Stunde zu Ende war und sie die Treppe hinuntergingen, da rief ihnen die Jungfer Concordia nach: „Geht nur, und laßt Euch von Heinrich sein Marmottchen zeigen; er wartet unten im Eselstalle.“

      Richtig, da stand Budang und sagte ziemlich mürrisch: „Kommt nur herein, da ist etwas!“ Schüchtern folgten ihm die Mädchen. Das war eine Herrlichkeit in dem Eselstalle. Sechs Esel und ein kleines Eselchen mit einem lockigen, dicken Kopf, das ihnen über alle Maßen verrückt und fidel entgegensprang. – Was war doch der Budang für ein glücklicher Junge!

      „Da seht die Esel,“ sagte er etwas spitzig und sah die Mädchen leicht spöttisch von der Seite an.

      „Budang,“ begann Röse und nahm sich zusammen, „wir waren’s.“

      Budang antwortete nichts. Das war den Ratsmädchen eigentlich sehr rätselhaft und etwas unheimlich. Aber er zeigte ihnen einen lebenden Hamster, den er im Eselstall in einer Kiste hatte und den er das „Marmottchen“ nannte und sagte ihnen, das sei ein französischer Name und hieße auf deutsch das „Murmeltier“. Er ließ sich das Hamsterchen in den Ärmel kriechen, aber er erlaubte nicht, daß Marie und Röse das Tier anfaßten, und alle drei machten im Eselstalle miteinander ab, daß Röse und Marie den nächsten Aufsatz mit Budang zusammen arbeiten wollten und bestimmten die Stunde dazu. Und wirklich half ihnen Budang so treulich dabei, daß Röse, die nebenbei gesagt, eine miserable Schrift hatte, vom Lehrer darunter gesetzt bekam: „Gut gedacht, aber schlecht geschrieben.“ Das war ihr nicht ganz angenehm, denn sie mußte Budang die Unterschrift zeigen. Budang lachte aber darüber.

      So saßen die dreie, des Müllers Heinrich und die Ratsmädchen, wie es sich gerade traf, oben bei Rats im Dachstübchen, oder in der großen Stube bei der Jungfer Loisette miteinander und arbeiteten. Das ging anders wie früher, wo den Mädchen die Schule und alles, was damit zusammenhing, ein rechtes Ärgernis war. Budang hatte eine außerordentliche Lust zum Arbeiten, es ging ihm leicht von der Hand, und es machte Rösen und Marien den Eindruck, als vergnüge er sich damit. Nie war er schlechter Laune dabei und immer eigentümlich liebenswürdig. Die Ratsmädchen waren über diese Erfahrung erstaunt und sahen in Budang eine Merkwürdigkeit, von der sie nicht recht wußten, was sie davon halten sollten.

      Einmal, als die Mädchen mit Budang über dem Arbeiten saßen, betrachtete sich Röse den Freund, der sich mit seinem Lockenkopf über das Buch gebeugt hatte, ernsthaft und kaute an der Feder. Budang saß ihr gegenüber, da fuhr sie mit ihrem Finger leise in sein dickes, blondes Haar, so daß er mitten in seinem Eifer aufblickte. „Budang,“ sagte sie noch immer nachdenklich, „Du willst wohl so ein großes Tier werden, wie wir hier so viele haben?“ Damit meinte Röse, die sich mit Vorliebe schlecht auszudrücken pflegte, die weltberühmten Dichter, von denen ich im Anfang erzählt habe und die zu jener Zeit in der Stadt wohnten. Budang verstand sie, denn er war an derlei Redensarten von ihr gewöhnt und sagte ernsthaft: „Ja, wer das könnte! – So dumm zu fragen. Du fragst doch manchmal wirklich dumm. – Ich werde Arzt!“ fügte er hinzu; und er wurde es später auch. „So?“ sagten die Mädchen, und wieder einmal erschien ihnen der Freund in einem anderen Lichte und außerordentlich verständig,


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