Die Mumie von Rotterdam. Döring Georg

Die Mumie von Rotterdam - Döring Georg


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später, als ich Euch einige Schritte weit begleitete, gesagt habt, mag ich gar nicht gehört haben und lasse es in der Nacht der Vergessenheit begraben seyn. Ich habe mir nur einen Vorwurf zu machen. Es ist der, zu spät gekommen zu seyn. Aber da muß mein böses Schicksal, gerade als ich das Haus verlassen will, unsern Buchhalter, den alten Hoontschoten, von weiter Reise zurückführen, da nimmt mich der alte Mensch beim Kragen, jammert und heult mir Dinge vor, von denen ich kein Wort begreife, bis ich ihm endlich verständlich mache, daß mein Vater im Prinzencollegium ist, daß er dorthin gehn und seinen Jammer anbringen soll, wo er ohne Zweifel mehr Aufmerksamkeit und Begriffähigkeit dafür finden würde. Der seltsame Kauz war ganz außer sich. Ich habe ihn noch nie so gesehen und ich fürchte sehr, er wird mit seinen Litaneyen meinem Vater den beliebten Thee in betrübten Wermuthtrank verwandeln. Ach, Clelia,« fuhr der Gesprächige mit einem Seufzer fort, der ernsthaft seyn sollte, aber, indem er seinen Ursprung aus einem heitern Character nicht verleugnen konnte, eher komisch ausfiel: »welche Leiden hat doch die Liebe in ihrem Gefolge! Da ist die gespenstige Eifersucht, da ist Zweifelsucht, da ist die übele Nachrede anderer. Ja, liebwertheste Jungfrau, es giebt Leute, welche behaupten, wir paßten nicht für einander, weil Ihr viel denkt und wenig sprecht, und ich gerade das Gegentheil von diesen beiden Dingen thue. Welche Thorheit, oder gar welche Bosheit aus schwarzem Neide entsproßen! Eben um dieser Ursachen willen sind wir ganz für einander geboren. Ihr denkt für mich und ich spreche für Euch. So wandeln wir vereinigt durch’s Leben und jeder sorgt und handelt für den andern, lebt nur in diesem, vergißt sich selbst und ist so in der einzigen und wahren Liebe, welche allein die Sterblichen beglücken kann! Ach, wie viele unglückliche Ehen gäbe es weniger in der Welt, wenn jedermann in der Wahl des zu liebenden Gegenstandes so vernünftig zu Werke ginge, wie wir!«

      Langsam und unter dem Scheine der Unabsichtlichkeit war indessen Clelia mit ihrem Verehrer zu der Fensternische geschritten, in der zwei Sessel standen, auf denen sie nun einander gegenüber Platz nahmen.

      »Es ist wahr, Herr Cornelius,« begann jetzt Clelia in einem ruhigen und gemessenen Tone, »daß mein Vater von der Möglichkeit einer Verbindung zwischen uns beiden mit mir gesprochen hat, aber er hat mir auch nicht verhehlt, daß erst gewisse Bedingungen, die er mir nicht nennen wollte, erfüllt seyn müßten, ehe er sein Jawort in einer bestimmten Weise geben könne. Ich bin Euch von Herzen gewogen, Ihr habt ein gutes Herz, ein treues und offenes Gemüth. Ich glaube, daß ich glücklich mit Euch werden kann. Aber Ihr müßt immer bedenken, daß wir noch nicht am Ziele stehen, daß Alles noch sehr ungewiß ist. Deshalb müßt Ihr auch meinen Ruf schonen, nicht so oft an unserm Hause vorübergehn und heraufschauen, mich nicht an der Kirchthüre erwarten, auf der Straße mir nicht auflauern und geheimnißvoll zu mir flüstern. Euch recht dringend darum zu ersuchen, war allein die Ursache, daß ich Euere Gegenwart verlangte, was ich gleich nachher bereuete, da es doch auch zu übelm Leumund Anlaß geben kann. Aber ich bitte Euch recht sehr Herr Cornelius, bedenkt was ich Euch gesagt habe!«

      »O, das abscheuliche Denken!« rief Cornelius, indem er sich mit einer Gebehrde des Unmuths durch das krause Lockenhaar fuhr. »Fordert Alles von mir, vieltheuere Clelia, nur das nicht! Soll ich Euch irgend einen französischen Oberoffizier mitten aus seinen Leuten herausholen, mit Roß und Waffen? Bei dem Glücke Oraniens, Ihr sollt ihn haben! Befehlt sonst ein Wagstück, ein Unternehmen, bei dem es Blut und Leben gilt: Cornelius van Daalen, gewesener Hauptmann König Wilhelms, wird keinen Augenblick zaudern. Aber Denken? Das scheint mir gerade so schwer, wie Sprechen leicht! Auch ist es sicherlich in den weisen Einrichtungen der Natur nicht so begründet, wie das Sprechen. Gibt es doch unvernünftige Vögel, welche zum Sprechen abgerichtet werden können, ohne daß es noch je möglich gewesen wäre, sie auf einen gescheidten Gedanken zu bringen. Wenn ich mir einmal ein Herz fasse und mich bemühe zu denken, dann geht’s mir, wie den Krebsen, und ich schreite mit meinen Gedanken rückwärts in die Vergangenheit, statt vorwärts in die Zukunft hinein, in die ich eigentlich wollte. Dann fallen mir tausend dumme Streiche ein, die ich begangen habe, und noch mehr übereilte, zu denen ich mich in der Gutmüthigkeit meines Herzens hinreißen ließ und die meinen Vater Geld genug kosten. Dann ärgere ich mich und verschwöre das Denken auf lange hin. Glaubt mir, sehr theuere Jungfrau, es ist höchst weise von unsern Vätern gethan, daß sie für uns Geld und Gut in Fülle zusammengescharrt und gespart haben; denn, wenn wir von dem zehren sollten, was ich durch Denken und Speculiren aufzubringen vermöchte, als ein wohl ehrsamer Handels-Patron, so würde nicht allein das Salz auf dem Brode, sondern auch das Brod unter dem Salze fehlen. Aber Ihr könnt Euch darauf verlassen, daß ich mich, Euerm Wunsche zu Folge, in meinem Betragen ändern werde, bis die gestrengen Väter das Facit des Rechenexempels, das sie mit uns beiden anstellen, gezogen haben. Ihr werdet mich nicht mehr in der Kirchenthüre sehn, sondern in der Kirche selbst, wohin mich die christliche Pflicht ruft; ich werde Euch nicht mehr auf offener Straße anreden, sondern höchstens in einem verborgenen Gäßchen; ich werde bei der Fensterpromenade nicht mehr gerade zu Euern Fenstern hinaufschauen, sondern höchstens nur etwas Weniges hinaufblinzeln.«

      »Eine schöne Besserung!« lächelte Clelia. »Ich aber werde dazuthun, sie zu einer wirklichen zu machen. In der Kirche gibt es auch vergitterte Betstühle, verborgene Gäßchen werde ich zu vermeiden wissen, und meinen Sitz am Fenster werde ich in die Mitte des Zimmers verlegen.«

      »Welche strafbare Vorsätze!« rief Cornelius, indem er von seinem Sitze aufsprang. »Insubordination und Rebellion! Bei dem Degen des großen Marlborough! indem Ihr Euch zu meiner Liebsten bekannt, habt Ihr zu meiner Fahne geschworen und der dürft Ihr nicht untreu werden durch kaltes Zurückziehn, listige Winkelzüge und muthlose Flucht. Ich werde nach Kriegsgebrauch mit Euch verfahren. Ich werde Euch vor ein Gericht stellen, dessen Präsident, Beisitzer und Ankläger ich in einer Person seyn werde. Alles geht rasch nach Kriegsmanier. Ihr werdet verurtheilt, arquebusirt zu werden und das geschähe ohne Gnade und Barmherzigkeit, wenn ich mich nicht im letzten Augenblicke, da Ihr schon auf dem Sandhügel knieet, um den tödlichen Schuß zu empfangen, bereit erklärte, Euch zu heirathen, was bekanntlich ebenfalls nach einem alten Soldatenherkommen, den armen Sünder von der Todesstrafe retten kann. Doch Holland und Oranien! was höre ich?« unterbrach er plötzlich aufhorchend sich selbst. »Das ist Eueres Vaters Stimme, das ist die des meinigen, oder ich habe nie Pulver gerochen! Sie sind schon auf der Treppe, gleich wird sich die Thüre öffnen und wir werden die wohlmögenden Heern erscheinen sehen.«

      Während Cornelius noch sprach, waren seine Blicke im Zimmer nach einem Verstecke umhergeflogen. Clelia war keines Wortes mächtig, sie zitterte und mußte sich an der Fensterbank halten. Schon scharrte es vor der Zimmerthüre, schon wurde die Klinke ergriffen und man vernahm deutlich die beiden Herren, wie einer den andern zum Voranschreiten nöthigte. Es war kein Augenblick zu verlieren. Mit einem raschen Sprunge flog jetzt Cornelius zu dem Götzenbilde; indem die Thüre aufging und die kleine, runde Gestalt des Herrn van Daalen sich hereinschob, schlüpfte dessen liebe- und lebenslustiger Sohn in das Innere des indischen Heiligthums.

      Herr Jan ließ einige forschende und befremdete Blicke im Zimmer umherschweifen. Er besaß ein sehr scharfes Gehör und hatte vor der Thüre deutlich die Stimme seines Sohnes im Innern des Gemaches vernommen. Er kannte ihn hinlänglich, um ihm den verwegenen Versuch eines Stelldicheins mit Jungfrau Clelia van Vlieten zuzutrauen. Er sah auf das Mädchen, er gewahrte ihre Verlegenheit, er war seiner Sache gewiß. Aber wo war Cornelius hingekommen? Das Zimmer besaß nur die eine Thüre, durch welche die Väter es betreten hatten. Nirgends war ein Behältniß, eine verhängte Stelle zu bemerken, wo Cornelius ein Versteck gefunden haben konnte. Da fielen Herrn Jan’s Blicke auf das Götzenbild, da sah er hinter dessen gläsernen Augen etwas Bewegliches und nun wußte er auch, welche Kriegslist der theuere Cornelius angewandt habe, sich dem unerwarteten Rencontre mit dem Gegner zu entziehn.

      Bedeutungsvoll lächelnd näherte sich der alte Herr van Daalen der zagenden Jungfrau, bedauerte sehr, wenn sein, zu dieser Stunde ungewöhnlicher Besuch sie in irgend einer angenehmen Beschäftigung gestört habe und sprach die Hoffnung aus, daß sie wohl Zeit und Gelegenheit


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